Nachtrag vom 24. Oktober, 2009:
Im Tagesanzeiger
schreibt Thomas Widmer über die Polemik:
Polemik wirkt oft krampflösend
Von Thomas Widmer
Das rechtsbürgerliche Anti-Minarett-Plakat empört seit Wochen
viele Leute im Land. Und jetzt, in den letzten Tagen, regen sich manche
über die JungsozialistInnen Schweiz auf. Deren Chef, Cédric
Wermuth, verantwortet ein Plakat gegen den Kriegsmaterial-Export, das
Bundesrätin Doris Leuthard mit bluttriefenden Händen zeigt. "An
Niveaulosigkeit kaum zu überbieten", klagt eine Sprecherin der
CVP. "Absoluter Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit", lässt sich
ein PR-Berater zitieren. Allenthalben wird verlangt, dass Wermuth sich
entschuldigt.
Wofür? Er hat nichts falsch gemacht. Im Gegenteil! Sein Plakat
zeigt, dass er eine Gegenwartstendenz begriffen hat. Nämlich diese:
Wir leben in einer Gesellschaft, deren Gruppen und Exponenten ihre
Beleidigbarkeit herauskehren, um jegliche Anzweiflung und Anfeindung
von vornherein abzuwenden. Politik ist das harte Geschäft des
gesellschaftlichen Interessenausgleichs, doch es darf in ihr kaum
etwas hart gesagt werden, ohne dass der Vorwurf mangelnden Anstandes
fällt. Interessant ist, dass auch die Spielregelmissachter von einst,
die Linken, Tag für Tag Fairness und Stil einfordern.
Das hat Wermuth richtig gesehen. Er hat - wie die Anti-Minarettler auf
der anderen Seite des politischen Spektrums - gefolgert, dass man starke
Effekte erzielen kann, indem man gegen die verordnete Moralität
verstösst. Und er hat im Fall des umstrittenen Plakats nicht
mehr getan, als die guten alten Kernprinzipien der öffentlichen
Kommunikation anzuwenden. Erstens: Personalisierung. Die für
Kriegsmaterial-Exporte zuständige "Politik" wird konkret in
Doris Leuthard, der Wirtschaftsministerin. Das zweite Prinzip heisst
Zuspitzung. Es riecht stets nach Heuchelei, wenn unsere Politiker sich
winden beim Erklärungsversuch, wieso Kriegsgerät in gewisse
Länder exportiert wird und was die Folge sein kann. Denkt man die
Sache zu Ende, bedeutet es, dass Blut fliesst. Waffen haben nun einmal
diese Wirkung. Das dritte Prinzip ist die Emotionalisierung: Argumente
sind das eine, was Menschen bewegt. Gefühle sind das andere, oft
sind sie stärker als der Kopf. Wermuths Plakat ist, weil blutige
Hände jeden irritieren, ein Bauchplakat.
Der stilbildende Staeck
Bei seinem Tun hat der Juso-Chef die Tradition auf seiner Seite. Lassen
wir die leninistische Agitprop beiseite, die in den Zwanzigerjahren
das Plakative auf plumpe Weise zur Methode erhob. Reden wir lieber
von den Siebzigerjahren, als in Deutschland der sozialdemokratische
Politgrafiker Klaus Staeck aufkam. Er wurde - auch für die Schweiz
- stilbildend. Während die Verbürgerlichung und Verbravung
der ausserparlamentarischen Opposition anlief, lancierte Staeck mit
Riesenerfolg eine provokative Bildsprache gegen Strauss, Barzel, Kohl &
Co. Auch Umweltsünden brachte er immer wieder auf den Punkt. Typisch
für Staeck das Motiv "Generationenvertrag": ein Giftmüllfass
in grellem Gelb. Darunter steht der Spruch: "Damit unsere Enkel noch in
10'000 Jahren an uns denken."
Die Linken von früher waren keine Zimperliesen. Vielleicht sollten
ihre heutigen Nachfolger die Medienrealität akzeptieren, welche die
pointierte, die krasse Botschaft begünstigt. Sich ein wenig frecher
ausdrücken, ein Stück Unbekümmertheit zurückgewinnen
und das Jammern über den Sittenzerfall der Mitte überlassen:
Die SP geht mit Vorteil diesen Weg. Von Jungfunktionär Wermuth
kann sie lernen, wie man agiert, statt zu reagieren. Im Übrigen
profitieren wir alle, wenn die wichtigen Diskussionen forsch geführt
werden. Aggressionslose Gespräche wirken oft keimfrei. Umgekehrt
kann Polemik Krämpfe lösen.
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