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www.rhetorik.ch aktuell: (02. Okt, 2009)

Medienwirbel um Roman Polanski

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Roman Polanski Selten schieden sich so die Geister und Leserbriefschreiber so sehr wie im Fall Polanski.

Auf der einen Seite Proteste und auf der andern Seite Null Toleranz einem mutmasslichen Täter gegenüber, der vor 30 Jahren ein einen 13 jährigen Teenager mit Drogen gefügig gemacht haben soll. Auf der anderen Seite wird die Art und Weise und das Timing der Verhaftung kritisiert:
Samantha Geimer, 1977 und heute
Für die Befürworter der Verhaftung gibt es bei dieser Tat keine Verjährung, zumal der Star-Filmemacher die Tat zugegeben hatte und sich der Justiz bewusst entzogen hatte. Bei Prominenten müsse das gleiche Recht angewendet werden, wie bei Müller und Kunz. Das Internationale Recht muss durchgesetzt werden und die Schweiz muss sich daran halten. Für Kritiker der Verhaftung sind 30 Jahre eine Verjährung. Die Schuldbekennung Polanskis könnte auch ein Befreiungsschlagsversuch gewesen sein, um die Geschichte schnell zu beenden. Das damailige Opfer selbst verlange die Einstellung des Verfahrens. Der neue Medienrummel helfe niemandem - ausser den Medien.
Uns geht es hier vor allem um die kommunikativen Aspekte des Falles, denn die Geschichte illustriert die Kommunikationskultur im Bundesrat: Einmal mehr gilt dort "alle gegen alle". Micheline Calmy-Rey kritisiert öffentlich ihre Kollegin: bei der Festnahme des Filmemachers Roman Polanski haben die Verantwortlichen nach Ansicht von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Rechtlich habe die Schweiz aber keine andere Wahl gehabt, sagte Calmy-Rey. Da die USA ein Auslieferungsbegehren gestellt hätten, habe die Schweiz keinen Spielraum gehabt. Die Schweiz halte sich an Abkommen. Es sei aber ein "Mangel an Finesse", dass für die für die Festnahme Polanskis ausgerechnet eine Einladung zu einem Anlass in der Schweiz genutzt worden sei. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten sei vom Justiz- und Polizeidepartement nicht über die Festnahme vorgängig informiert worden. Der "Blick" spricht hernach vom "Tanz der Vampire":

Jeder beisst jeden: Den "Tanz der Vampire", den der Bundesrat aufführt, hätte Roman Polanski nicht besser inszenieren können. In Polanskis Kultfilm "Tanz der Vampire" will jeder jeden beissen. Genau das läuft auch als Realsatire im Bundesrat ab: Bei jeder neuen Krise fahren die Magistraten ihre Zähne aus. Jüngste Szene im Horrorstreifen Bundesrat: Sololauf der Justizministerin bei der Verhaftung Polanskis in Zürich. Formal-juristisch völlig korrekt lässt Eveline Widmer-Schlumpf den früheren Kinderschänder Polanski auf Gesuch der USA verhaften. Einsam und alleine beisst sie zu. Gestern gestand ihr Sprecher, das Bundesamt für Justiz habe am Freitagabend die Departementschefin informiert, "weil es erkannte, dass es sich um einen besonderen Fall handelt, der Reaktionen auf der politischen Ebene auslösen dürfte". Aber Widmer-Schlumpf entschied, ihre Kollegen nicht einzuweihen. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigte sich gestern an einem Medien-Treffen brüskiert. "Das EDA war nicht informiert", hielt sie fest. Und biss sogleich zurück: "Man kann die Frage stellen: Fehlte es an Fingerspitzengefühl?" Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Justizministerin, mit der sie vor einigen Monaten in Sachen UBS noch prima kooperierte. Aber alles schon wieder vorbei. Die einen wollen Polanski ehren, die anderen ihn verhaftenCalmys Ärger ist nicht unberechtigt: Schliesslich hatte sie anderntags die stinksauren Kollegen aus Paris und Warschau am Apparat. Blitzableiter zu spielen gehört zwar zum Job der Aussenministerin. Aber keiner tut das gerne, wenn er nicht vor aufziehenden Unwettern gewarnt wird. Im Regen stehen gelassen hat Widmer-Schlumpf auch den Direktor des Bundesamtes für Kultur, Jean-Frédéric Jauslin. Sein Amt subventioniert nicht nur das Zürcher Filmfestival mit jährlich 50#000 Franken. Jauslin persönlich wollte auch die Laudatio auf Polanski halten. Womit dessen Ehrung einen quasi-offiziellen Charakter erhielt. Groteske Situation: Eine Behörde will Polanski ehren, die andere lässt ihn verhaften, die dritte darf die Scherben aufwischen. Mittendrin in der Kakofonie: Bundesratssprecher André Simonazzi. Verzweifelt versuchte er Montag und Dienstag, Ruhe ins Chaos zu bringen. Die Departementssprecher wurden aufs Stillhalten eingeschworen, nur das EJPD solle Auskunft erteilen. Doch Calmy-Rey konnten die Schweige-Appelle des Sprechers nichts anhaben. Heute wird die Polanski-Affäre laut BLICK-Informationen ein Nachspiel in der Bundesratssitzung haben. Der Tanz der Vampire geht weiter.


Nicht nur agiert die Aussenministerin gegen die Justizministerin. Auch der Innenminister kritisiert die Aussenministerin öffentlich. Wieder der "Blick":

Der scheidende Bundesrat Pascal Couchepin ist uneins mit Kollegin Micheline Calmy-Rey. Seiner Meinung nach ist man bei der Verhaftung von Filmemacher Roman Polanski richtig vorgegangen.


Der neugewählte Bundesrat wünschte sich, dass künftig der Bundesrat mit einer Stimme sprechen sollte. Es gab in der Vergangenheit zu viele Pannen. Vorläufig bleibt dies ein frommer Wunsch. Denn: In Wirklichkeit schaut jeder Bundesrat nur für sich. Nach dem Sololauf des Bundespräsdidenten in der Geiselaffaire und dem Hickhack zwischen Calmy-Rey und Merz versagt nun der Bundesrat schon wieder im Fall Polanski. Wann endlich lernt unserer Landesregierung die notwendigen Auseinandersetzung intern auszufechten, um nachher geschlossen als Einheit aufzutreten?


Cartoon in Rue890: Journalisten: Die Affaire Polanki ist super für uns. Man kann all seine Filme nohchmals zeigen. Quelle. Judith Surkis, die ein Buch über sexuelle Skandale in Frankreich schreibt, meint dazu:

Es gibt nichts besseres für die Quoten als eine Mischung von Sex, Crime, Prominenz und internationale Politik.


Nachtrag vom 3. Oktober:

Auch die Stadt Zürich ist betroffen weil der Star-Gast Roman Polanski bei der Einladung vom Zürcher Filmfestival verhaftet worden ist. Der "Blick":

Der ehemalige Justizminister Christoph Blocher bringt es in der neusten Ausgabe seines "Teleblocher" auf den Punkt: "Man hätte Herrn Polanski gar nie offiziell einladen dürfen. Man hätte ihm nur sagen müssen, dass man ihn wegen des Auslieferungsbegehrens verhaften müsste. Dann wäre er gar nicht erst gekommen und der Mais wäre uns erspart geblieben."

Auf diese Idee kam offensichtlich niemand in Zürich. Zwar war die Vergewaltigungsstory und der Haftbefehl bekannt. Trotzdem dachten die Gastgeber keine Sekunde daran, dass die Polizei ihnen einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Schliesslich war Polanski kurz vor seiner Zürich-Visite noch Gast in Wien. Trotz Haftbefehl liess man Polanski dort in Ruhe.

Die grossen Negativ-Schlagzeilen hat jetzt die "kleine Weltstadt" Zürich, wie sie sich selber gerne nennt


Quelle: Blick.
Nachtrag vom 3. Oktober: Arena:

Auch in der ARENA (SF) wurde Polanski kontravers diskutiert. Im Radio Munot äusserte ich mich in einem Stammtischgespräch über das Dauerthema Polanski.

Nach meinem Dafürhalten kann erst eine gerichtliche Beurteilung Klarheit schaffen über die Schuld oder Unschuld des weltbekannten Filmers. Eine Person, die ich gecoacht hatte (Bereich Untersuchungsrichteramt) machte mir einen Vorschlag, der nirgends erwähnt wurde: Sie sagte mir, es wäre geschickt gewesen, den Filmer die Auszeichnung zuerst unbehelligt entgegennehmen zu lassen um ihn dann ohne grosses Aufsehen zu verhaften. Damit wäre Polanski für sein Lebenswerk geehrt worden und das Gericht hätte nachher mit weniger Lärm die Schuldfrage klären können. Blochers Vorschlag, man hätte den Künstler warnen müssen, sei gar nicht rechtens. Dies wäre eine eindeutige Begünstigung gewesen. Alle Fakten sprechen für diese Person für eine Festnahme und eine Auslieferung. Alle Bedingungen sind erfüllt - Zwischen den USA und der Schweiz besteht ein Auslieferungsabkommen - In den Staaten und in der Schweiz gibt es neu bei Missbrauch von Minderjährigen keine Verjährungsklausel. Die Verjährungsklausel gilt. die Unverjährbarkeit einer Straftat hat im ersuchenden Staat Gültigkeit. - Der mutmassliche Strafbestand ist in der Schweiz und in den USA unbestritten.

Wenngleich andere Staaten bei der Festnahme ein Auge zugedrückt haben, ist der Haftbefehl in der Schweiz rechtens. Alle Argumente zur Verteidigung Polanskis sind derzeit nicht relevant. So wenig seine Schuld ohne gerichtliche Untersuchung bewiesen ist, dürfen wir all die genannten Entlastungspunkte des Filmemachers Lyssi (wie in der ARENA) nicht einfach als absolut gesichert und richtig betrachten. Es wurde bei vielen Sendungen ins Feld geführt: Das Kind sei ja beinahe 14 Jahre alt gewesen. Das Opfer habe ferner dem Peiniger verziehen. Die Erlebnisse des jungen Polanski müsste unbedingt strafmindernd berücksichtigt werden (er verlor die Mutter in Auschwitz usw.)

Können harte Schicksalsschläge einer Person vor einer Strafverfolgung schützen? Kann jemand sich selbst der Strafverfolgung entziehen, nur weil er an der Kompetenz des Richters zweifelt? Bleibt nicht ein Kindsmissbrauch ein Kindsmissbrauch? Wenn die jüngsten Informationen zutreffen, dass Polanski dem Opfer eine grosse Geldsumme versprach, ist es begreiflich, wenn sich die Bevölkerung bei Polanski an all die fragwürdigen Schweigegeldgeschichten, von Roland Nef angefangen bis hin zu den grossen Geldsummen, die Jackson einem wichtigen Zeugen bezahlt hat, um nicht angeklagt zu werden. Nach der ersten Empörung vieler Künstler nach der Verhaftung ihres grossen Meisters Polanski zeigen nun die ersten Recherchen von Journalisten in Los Angeles: Es kam kein Kavaliersdelikt zum Vorschein, sondern das Protokoll einer perfiden geplanten mehrfachen Vergewaltigung. Die Aussage Polanskis, dass er eine Vorliebe für junge Mädchen habe, spricht kaum nicht für den mutmasslichen Täter. Was alle Diskussionen immer wieder erwähnt wurde: Kindsmissbrauch muss strafrechtlich verfolgt werden, wie prominent auch der Beschuldigte ist.



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