Uns geht es hier vor allem um die kommunikativen Aspekte des Falles,
denn die Geschichte illustriert die Kommunikationskultur im Bundesrat:
Einmal mehr gilt dort "alle gegen alle".
Micheline Calmy-Rey kritisiert öffentlich ihre Kollegin:
bei der Festnahme des Filmemachers Roman Polanski haben die
Verantwortlichen nach Ansicht von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey
Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Rechtlich habe die Schweiz
aber keine andere Wahl gehabt, sagte Calmy-Rey. Da die USA ein
Auslieferungsbegehren gestellt hätten, habe die Schweiz keinen
Spielraum gehabt. Die Schweiz halte sich an Abkommen. Es sei aber ein
"Mangel an Finesse", dass für die für die Festnahme Polanskis
ausgerechnet eine Einladung zu einem Anlass in der Schweiz genutzt worden
sei. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten
sei vom Justiz- und Polizeidepartement nicht über die Festnahme
vorgängig informiert worden. Der "Blick" spricht hernach vom
"Tanz der Vampire":
Jeder beisst jeden: Den "Tanz der Vampire", den der Bundesrat
aufführt, hätte Roman Polanski nicht besser inszenieren
können.
In Polanskis Kultfilm "Tanz der Vampire" will jeder jeden beissen.
Genau das läuft auch als Realsatire im Bundesrat ab: Bei jeder neuen
Krise fahren die Magistraten ihre Zähne aus. Jüngste Szene im
Horrorstreifen Bundesrat: Sololauf der Justizministerin bei der Verhaftung
Polanskis in Zürich. Formal-juristisch völlig korrekt
lässt Eveline Widmer-Schlumpf den früheren Kinderschänder
Polanski auf Gesuch der USA verhaften. Einsam und alleine beisst sie
zu. Gestern gestand ihr Sprecher, das Bundesamt für Justiz habe am
Freitagabend die Departementschefin informiert, "weil es erkannte, dass es
sich um einen besonderen Fall handelt, der Reaktionen auf der politischen
Ebene auslösen dürfte". Aber Widmer-Schlumpf entschied, ihre
Kollegen nicht einzuweihen. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigte
sich gestern an einem Medien-Treffen brüskiert. "Das EDA war nicht
informiert", hielt sie fest. Und biss sogleich zurück: "Man kann
die Frage stellen: Fehlte es an Fingerspitzengefühl?" Ein Wink
mit dem Zaunpfahl in Richtung Justizministerin, mit der sie vor einigen
Monaten in Sachen UBS noch prima kooperierte. Aber alles schon wieder
vorbei. Die einen wollen Polanski ehren, die anderen ihn verhaftenCalmys
Ärger ist nicht unberechtigt: Schliesslich hatte sie anderntags die
stinksauren Kollegen aus Paris und Warschau am Apparat. Blitzableiter
zu spielen gehört zwar zum Job der Aussenministerin. Aber
keiner tut das gerne, wenn er nicht vor aufziehenden Unwettern gewarnt
wird. Im Regen stehen gelassen hat Widmer-Schlumpf auch den Direktor des
Bundesamtes für Kultur, Jean-Frédéric Jauslin. Sein Amt
subventioniert nicht nur das Zürcher Filmfestival mit jährlich
50#000 Franken. Jauslin persönlich wollte auch die Laudatio auf
Polanski halten. Womit dessen Ehrung einen quasi-offiziellen Charakter
erhielt. Groteske Situation: Eine Behörde will Polanski ehren,
die andere lässt ihn verhaften, die dritte darf die Scherben
aufwischen. Mittendrin in der Kakofonie: Bundesratssprecher André
Simonazzi. Verzweifelt versuchte er Montag und Dienstag, Ruhe ins
Chaos zu bringen. Die Departementssprecher wurden aufs Stillhalten
eingeschworen, nur das EJPD solle Auskunft erteilen. Doch Calmy-Rey
konnten die Schweige-Appelle des Sprechers nichts anhaben. Heute wird
die Polanski-Affäre laut BLICK-Informationen ein Nachspiel
in der Bundesratssitzung haben. Der Tanz der Vampire geht weiter.
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Nicht nur agiert die Aussenministerin gegen die Justizministerin.
Auch der Innenminister kritisiert die Aussenministerin öffentlich.
Wieder der "Blick":
Der scheidende Bundesrat Pascal Couchepin ist uneins mit
Kollegin Micheline Calmy-Rey. Seiner Meinung nach ist man bei der
Verhaftung von Filmemacher Roman Polanski richtig vorgegangen.
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Der neugewählte Bundesrat wünschte sich, dass künftig der
Bundesrat mit einer Stimme sprechen sollte. Es gab in der Vergangenheit
zu viele Pannen. Vorläufig bleibt dies ein frommer Wunsch. Denn:
In Wirklichkeit schaut jeder Bundesrat nur für sich. Nach dem
Sololauf des Bundespräsdidenten in der Geiselaffaire und dem
Hickhack zwischen Calmy-Rey und Merz versagt nun der Bundesrat schon
wieder im Fall Polanski. Wann endlich lernt unserer Landesregierung die
notwendigen Auseinandersetzung intern auszufechten, um nachher geschlossen
als Einheit aufzutreten?
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