Nachtrag vom 15. September, 2009 Kurz vor der Wahl: Nach BLICK könnte es Schwaller schaffen:
Blick:
Auf den ersten Blick ist die Ausgangslage für die Bundesrats-Wahl am
Mittwoch klar. Die Partei, welche nach der Fusion mit ihren welschen
Gesinnungsgenossen neu FDP.Liberale heisst, hat zwei Kandidaten bestimmt:
den Genfer Nationalrat Christian Lüscher und den Neuenburger
Ständerat Didier Burkhalter. Die CVP aber will Rache für die
Abwahl ihrer Ruth Metzler. Sie wurde 2003 von SVP-Übervater Christoph
Blocher verdrängt, mit voller Unterstützung der FDP. Deshalb
schickt sie ihr Paradepferd, den Freiburger Ständerat Urs Schwaller,
ins Rennen. Wählen wird die Vereinigte Bundesversammlung aus
normalerweise 200 National- und 46 Ständeräten. Wegen der
Vakanz nach dem Tod von SP-Ständerat Ernst Leuenberger sind es
diesmal aber nur 245 Parlamentarier. Die Stimmenverhältnisse
sind klar:
Zum Mitte-Links-Lager gehören 52 Köpfe der CVP/glp/EVP-Fraktion,
50 von der SP-Fraktion und 24 Grüne.
Im Mitte-rechts-Lager werden 66 Mitglieder der SVP/EDU-Fraktion
gezählt, plus 47 FDP-Köpfe und 6 von der BDP.
Zusammengerechnet macht das 126 für Mitte-Links gegen
119 für Mitte-Rechts. Das absolute Mehr beträgt 123
Stimmen. Stimmt Mitte-Links also geschlossen für Schwaller, wird er
gewählt! Trotzdem ist zwei Tage vor der Wahl noch alles offen, denn
wie die Politiker tatsächlich stimmen, ist überhaupt nicht klar.
Es gibt folgende Szenarien:
Zwar steht CVP-Schwaller der SP politisch nahe. Aber längst nicht
alle SP-Parlamentarier werden ihn wählen. Sie fürchten die
FDP-Retourkutsche, wenn die SP demnächst einen Bundesrat zu ersetzen
hat, vermutlich Moritz Leuenberger. Auch die Grünen könnten
kalte Füsse bekommen. Verhelfen sie nämlich jetzt der CVP
zu einem zweiten Sitz, hat Mitte-Links, zusammen mit der SP, vier von
sieben Bundesrats-Sitzen. Da wird die Bundesversammlung auf absehbare
Zeit keinen Grünen in den Bundesrat wählen. Andererseits
ist längst nicht garantiert, dass die SVP geschlossen für
einen FDP-Kandidaten stimmt. CVP-Schwaller ist nämlich gegen den
Agrarfreihandel mit der EU. Und das dürfte den Bauern-Vertretern der
SVP gefallen. Was sagen Politik-Experten: Wer wird am Mittwoch Bundesrat?
Georg Lutz, Politologe bei der Stiftung FORS in Lausanne, (stöhnt):
"50,001 Prozent für Schwaller. Weil es mir realistisch scheint, dass
der Schlussgang Lüscher gegen Schwaller heisst. Und dann dürfte
Schwaller gewinnen." Silvano Möckli, Politik-Professor in St.Gallen:
"Das kann man nicht voraussagen. Da läuft ein Kommunikationsprozess
bei den Parteien, der noch bis Mittwochmorgen gehen dürfte." Michael
Hermann, Politik-Experte an der Uni Zürich: "Ich denke, Didier
Burkhalter dürfte genügend rot-grüne Stimmen erhalten,
um gewählt zu werden. Aber: Heisst der Schlussgang Lüscher
gegen Schwaller, dürfte Urs Schwaller gewinnen." Wir sehen: Auch die
Experten lassen sich also nicht auf die Äste hinaus. Und dann ist da
noch der Tessiner Dick Marty. Der am linken Rand der FDP politisierende
Ständerat hat Sympathien bei SP-Parlamentariern. Die wollen ihn als
wilden Kandidaten ins Spiel bringen. Marty werden allgemein aber keine
grossen Chancen eingeräumt. Aber man weiss ja nie. Mit Eveline
Widmer-Schlumpf hatte bei der Wahl auch niemand gerechnet. Und dann
verdrängte sie niemanden anders als SVP-Übervater Christoph
Blocher.
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Szenarien nach "Bund"
Folgende Szenarien zeichnen sich ab: Die SVP verzichtet darauf, ihren
Kandidaten Jean-François Rime ins Rennen zu schicken und setzt
auf Lüscher. Dieser käme in den ersten Wahlgängen auf 70
bis 80 Stimmen. Auf Burkhalter entfielen 50 bis 60 Stimmen von der FDP
und zum kleinen Teil von der Linken. Urs Schwaller kann in den ersten
Wahlgängen mit rund 100 Stimmen rechnen, wenn SP und Grüne zu
zwei Dritteln für ihn stimmen.
Schwenkt die SVP im letzten Moment um?
Ab dem dritten Wahlgang fällt der Kandidat mit den wenigsten Stimmen
aus dem Rennen. Das könnte zuerst der Tessiner FDP-Ständerat
Dick Marty sein, der von SP-Nationalrat Andreas Gross als Sprengkandidat
lanciert wurde. Sukkurs dürfte Marty von links, von Tessinern und
Linksfreisinnigen erhalten. Die Linke muss aber aufpassen, dass sie
mit Stimmen für Marty nicht Burkhalter aus dem Rennen wirft.
Nach Martys Ausscheiden heisst im vierten Wahlgang die Frage:
Burkhalter oder Lüscher? Stimmt die Linke weiter für
Schwaller und die SVP für Lüscher, verdrängt dieser
Burkhalter, und es kommt zum Duell Lüscher - Schwaller. Dann hat
der Freiburger CVP-Ständerat die besseren Chancen: Die Linke wird
den Mitte-Politiker dem Rechtsfreisinnigen vorziehen. Für die SVP
stellt sich die Frage, ob sie im vierten Wahlgang nicht von Lüscher
auf Burkhalter schwenken will, um Schwaller zu verhindern.
Unfallgefahr für die Linke
Die SP ist hingegen im Dilemma, ob sie den frei werdenden FDP-Sitz der
CVP geben will. Aufgrund der politischen Positionen müsste sie
auf Schwaller setzen. Der CVP-Mann steht der Linken näher. Jedoch
trauen manche grüne und SP-Parlamentarier Schwaller nicht. So
dürfte schätzungsweise ein Drittel der SP Burkhalter
wählen. Die Wahlversprechen des Mitte-Politikers seien zu vage,
sagt etwa Nationalrätin Margrit Kiener Nellen (BE). Auch die
Sprachenfrage spricht für Burkhalter: Für linke Romands ist
der Deutschfreiburger Schwaller kaum wählbar.
Aus strategischen Überlegungen müsste die SP auch zu Burkhalter
halten. Denn verhilft die SP Schwaller zur Wahl, droht sie bei einer
Vakanz einen ihrer Sitze zu verlieren. Schliesslich muss sich die
Linke überlegen, ob sie es zu einer Endausmarchung Lüscher -
Schwaller kommen lassen will. Denn Lüscher könnte auch gewinnen
- für die Linke ein Horrorszenario. Damit die Koalition von SP,
Grünen, CVP, GLP und EVP das absolute Mehr schafft, braucht es
nämlich die gleiche Geschlossenheit wie bei der Blocher-Abwahl.
Mitte-Links bringt es auf 126 Stimmen, SVP, FDP und die der FDP zugeneigte
BDP auf 119. Die Vereinigte Bundesversammlung hat zurzeit 245 Mitglieder;
ein Solothurner Ständeratssitz ist nach dem Tod von Ernst Leuenberger
vakant. Mitte-Links müsste 123 Stimmen vereinen, um Lüscher zu
verhindern. Die SP-Stimmen wären Schwaller sicher, da selbst welsche
Sozialdemokraten den Deutschschweizer Schwaller dem Romand Lüscher
vorziehen. Bei den Grünen könnte es Leerstimmen geben, die
Lüscher helfen. Hintergrund: Ein zweiter CVP-Sitz schmälert
die Chance der Grünen auf einen eigenen Sitz im 2011.
Was machen die SVP-Bauern?
Winkelzüge könnte es auch in der SVP geben. So erwägen
einige SVP-Bauern, Schwaller zu wählen, weil dieser sich
skeptisch zum Agrarfreihandel mit der EU geäussert hat. Die
Landwirte hören heute die Kandidaten an. Für die SVP
ginge die Rechnung beim Duell Lüscher - Schwaller so oder so
auf: Wird Lüscher gewählt, kommt es im Bundesrat zu einem
Rechtsrutsch. Wird Schwaller gewählt, kann die SVP zwei Jahre lang
auf jene "Mitte-links-Koalition" eindreschen, die Christoph Blocher
abgewählt hat.
Offiziell heisst aber das oberste Ziel der SVP: Schwaller verhindern.
Dafür rät SVP-Stratege Blocher der Fraktion gar, den
europafreundlichen Burkhalter zu wählen: "Schreibt den Namen
Burkhalter auf den Stimmzettel, auch wenn euch dabei fast die Hand
abfällt", sagte er auf Teleblocher.
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