Dem Schweizer Fernsehen scheint es ernst zu ein, ein
Kinderexperiment an der Tagesschau zu starten: Der
"Blick":
Eine Primarklasse aus Dübendorf ZH übernimmt die Macht bei
SF. Es ist kein Witz:
Ab 6. September macht das Schweizer Fernsehen die "Tagesschau" zur
Kindersendung. Die 18-Uhr-Ausgabe (Zuschauer-Marktanteil: über 20
Prozent) ist dann in Kinderhand. Und zwar nicht nur hinter den Kulissen.
Nein, SF lässt eine 12-jährige Primarschülerin die
wichtigsten News des Tages live verlesen. Alleine.
Mit den Moderatoren (Béatrice Müller ist 48, Franz Fischlin
und Katja Stauber werden bald 47) reift auch das Fernsehpublikum der
Sendung. Dieses ist schon fast im Rentenalter: Der Zuschauerschnitt
der Hauptausgabe liegt bei 59,5 Jahren. Das kann SF nicht gefallen.
Also kann es wohl nicht schaden, wenn man es mal mit Kindern mitten im
News-Geschehen probiert. "Eine Sechstklässlerin wird die Sendung
moderieren", bestätigt "Tagesschau"-Chef Thomas Schäppi
(46). "Sie wird von Profis geschult."
Gefunden habe SF die Wunderkinder per Bewerbung. Ein Theaterstück
einer 6. Primarklasse aus Dübendorf ZH überzeugte die TV-Macher
vom Können der Kids. Lehrerin Linda Bärtschi (51): "Für
die Kinder wird es ein grosses Abenteuer. Sie freuen sich sehr auf
ihre Arbeit."
Die junge Moderatorin heisst Anna und kommt aus Dübendorf. Ihr
Vater ist Walliser, die Mutter stammt aus der Türkei.
Anna hat Grosses vor. Sie soll ihre Texte möglichst allein schreiben.
"Die Kinder sollen unbekümmert und unbedarft über alles
berichten dürfen, was sie -interessiert", sagt Lehrerin Linda
Bärtschi, begeistert vom Projekt.
Wird die "Tagesschau" zum Kindergarten?
Was geschieht, wenn ein schreckliches Ereignis passiert - ein Krieg,
Bomben-Terror?
Schäppi betont, dass brutale internationale News-Bilder, die im
Laufe des Tages die Redaktion erreichen, vorher angeschaut werden. "Falls
wirklich etwas sehr Schlimmes passiert, können die Redaktoren
jederzeit einspringen." Und Lehrerin Bärtschi hofft sehr, "dass
die Kinder nie in ungemütliche Situationen kommen."
Medienprofis haben Bedenken:
Kurt Felix findet das eine Superidee. "Für den KI.KA - den
Kinderkanal - nicht für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen",
sagt er.
Als "Konzessionsverletzung" bezeichnet Ex-"Tagesschau"-Chef Anton
Schaller das Projekt. "Der Grundgedanke wäre ja an sich gut, aber
nur, wenn man so was im Anschluss an die 18-Uhr-Ausgabe sendet", sagt
er. "So ist es Humbug. Man muss ja damit rechnen, dass man im Anschluss
an die Sendung Fehler korrigieren muss."
Schaller schlägt vor, "Glanz & Gloria zu kippen und im Anschluss
an die "Kindertagesschau" beide Sendungen von Medienpädagogen
analysieren zu lassen.
Deutlicher wird "TeleZüri-Chef Markus Gilli: "Nachrichtenjournalismus
ist kein Schülertheater. Ein 12-jähriges Mädchen bei CNN am
Moderationspult - undenkbar", sagt er. Die SRG betreibe eine respektlose
Quotenbolzerei auf dem Buckel der in der Tagesschau vermeldeten Opfer
im Irak und in Afghanistan. "Showtime beim Staatssender - wir warten
gespannt auf Naked News", sagt er.
News-Profi Erich Gysling hingegen meint: "Von mir aus kann man dieses
Experiment wagen. Die Sendungen fallen ja mitten in die Session - das
wird ja spannend, wie Kinder darüber berichten."
Frank Baumann (51,"Das volle Leben") findet die Idee nicht
neu. "Schon Grönemeyer forderte ja, dass Kinder an die Macht
gehören." Für Baumann ist klar, dass das Rennen für den
"Superdirektor" von Radio und TV gelaufen ist. "Jetzt wird mein Nachbar
Timmi Zingg den Job bekommen. Er ist 14 Jahre alt."
Es ist gut, wenn Schüler mit den Medien vertraut gemacht werden, denn
die Auseinandersetzung mit modernen Medien ist enorm wichtig.
Es gibt bereits unzählige medienpädagogisch
wertvolle Möglichkeiten, Jugendliche mit Mikrofon und Kamera
aber auch mit Printmedien aktiv auseinander setzen zu lassen, um die
Medientätigkeit praxisorientiert kennen zu lernen. Dass man
Jugendliche jedoch am offiziellen Informationskanal experimentieren
lässt, ist ein Faux-Pas. Das wäre, wie wenn man Journalisten
unausgebildet wursteln liesse, in der Hoffnung, sie würden an
den gemachten Fehlern "on the Job" selbst wertvolle Erkenntnisse sammeln
können. Offizielle Informationskanäle dürfen nicht
zum Experimentierfeld medieninteressierter Jugendlichen
werden. Jene Instanzen, die sich für die Kindertagesschau auf dem
echten Kanal stark gemacht haben, würden wohl kaum diese Kinder im
Informationszentrum einer Kantonspolizei experimentieren lassen oder sie
als Mediensprecher in einer Firma medienspezifische Erkenntnisse sammeln
lassen. Niemand würde es verstehen, wenn Kinder vorübergehend
als Bundeshausprecher wirken - selbst wenn sie so einen wertvollen
Einblick in die Welt der Politik erhalten könnten. Dies würde
niemand begreifen. Erstaunlich, dass bei der offiziellen Tagesschau
das Schweizer Fernsehen keine Bedenken hat. Deshalb müsste die
Übung sofort abgebrochen werden, verbunden mit einer selbstkritischen
Pressemitteilung, der Versuch sei leider ein gut gemeinter Fehlentscheid
gewesen.
Nachtrag vom 6. September, 2009:
Die 11 jährige Ana moderiert die offizielle Tagesschau.
Ana möchte es so gut machen wie Katja Stauber. Die Profi Moderatorin
zeigt der Schülerin, wie das geht und hat der Schülerin das
Wichtigste auf einem Spickzettel notiert.
Das Fernsehen liess sich von der heftigen Kritik nicht vom
fragwürdigen Vorhaben abbringen.
Wir wissen, die Schüler werden gut vorbereitet und begleitet. Falls
etwas Hikles passiert, wird sofort eine Profi Moderatorin einspringen. Es
kann damit gerechnet werden, dass der GAG problemlos über die
Bühne gehen wird.
Was jedoch verheerend ist, das ist die Botschaft, die mit diesem Projekt
verbunden ist:
Die Öffentlichkeit weiss nun,
Moderieren ist kinderleicht!
Nachrichten beschaffen ist ein Kinderspiel
Fernsehjournalist ist kein anspruchsvoller Beruf. Er ist von einem Primarschüler innert weniger Stunden erlernbar
Auf jahrelanges Training kann verzichtet werden
Ein Spickzettel genügt, um an der Front professionell moderieren zu können
Das Fernsehen demontiert so sein wichtigstes Sendegefäss. Die
Verantwortlichen für diesen unbedachten Event müssen die
Verantwortung auf sich nehmen, wenn nun das Vorurteil gefestigt wird,
Journalismus sei ein Beruf für Leute, die sonst nichts können.
Ich begreife nicht, dass der Chefredaktor grünes Licht gegeben hat,
den Qualitätsjournalismus zu untergraben. Dies gibt zu denken,
zumal Ueli Haldimann ab 1. Oktober Direktor des Schweizer Fernsehens wird.
Betrachten wir den Spickzettel. Wir lesen darauf: Glaubwürdig sein.
Es wäre interessant zu wissen, was sich die elfjährige
Schülerin darunter konkret vorstellt.
Tips Von Katja Stauber:
Ein Glas Wasser bereithalten
Aufrechte und lockere Haltung
Konzentration
Freundlichkeit
Gelassenheit und Ruhe
Aussprache
Seriös auftreten
Glaubwürdig sein
Nicht schauspielern
Nicht sich selbst, sondern die Sendung in den Vordergrund stellen.
Nachtrag vom 7. September:
Die erste Sendung hat stattgefunden
Quelle: Blick:
Nachtrag vom 9. September 2009: Nicht live:
Wie der Blick berichtet war die
Kinder-Tagesschau nicht live. Die Sendung wurde eine halbe Stunde verzögert
gesendet. Der "Blick":
SF-Sprecher David Affentranger rechtfertigt den Schwindel:
"Wir zeichnen die Sendung nur auf, um Druck von den Kindern zu nehmen.
Es ist eine reine Vorsichtsmassnahme.
So können wir im Ernstfall noch eingreifen, falls etwas schiefläuft."
Ist es nicht eine Irreführung des Publikums, wenn man die
Oeffentlichkeit im glauben lässt, der "herzige "Auftritt sei ein
live Auftritt? Müsste nicht das Schweizer Fernsehen transparent
informieren, so wie sie es von allen Institutionen verlangt?
Viele Fachleute teilen mit mir die Ansicht, dass das Experiment fragwürdig und
problematisch ist. Ich gehe mit Peter Studer einig. Der Event mit einer
Schülerin als Sprecherin war nicht zu Ende gedacht.
Ana selber sagte im nachhinein: " Ich bin froh, dass alles kurz vorher
aufgezeichnet wird - sonst wäre ich viel mehr aufgeregt."
Zum Vorwurf, man habe das Publikum mit der Kindertagesschau
irregeführt, sagt Thomas Schäppi: "Kindertagesschau ist eine
"Quasi Live Sendung!" Aus "Persönlich":
Thomas Schäppi:
Es war eine reine Vorsichtsmassnahme, auch den Kindern gegenüber,
um diese nicht einem zusätzlichen Druck auszusetzen. Im Gegensatz zu den
Tagesschau-Moderatoren hat Ana zudem nie ein Pannentraining absolvieren
können.
Wäre es nicht besser gewesen, im Vorfeld darauf hinzuweisen?
Thomas Schäppi:
Man hätte dies offensiv kommunizieren können, das ist
richtig. Wir haben es nicht an die grosse Glocke gehängt, weil die
Tagesschau in der Regel live ist. Es wurde jedoch auch nie ein Geheimnis
darum gemacht. Im Übrigen ist es eine Aufzeichnung, die quasi live
ist. In einer halben Stunde hätten wir auch nicht mehr viel daran
ändern können.
Schäppi gesteht immerhin, dass zu wenig offensiv
kommuniziert wurde. Die Argumentation der "Quasi Live Sendung" ist
aber eine eher billige Beschönigung.
Entweder ist eine Sendung Live oder sie ist aufgezeichnet.
Thomas Schäppi müsste nicht nur offener, sondern auch eindeutiger kommunizieren.