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www.rhetorik.ch aktuell: (04. Sep, 2009)

Schülerin als Tagesschausprecherin

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Dem Schweizer Fernsehen scheint es ernst zu ein, ein Kinderexperiment an der Tagesschau zu starten: Der "Blick":

Eine Primarklasse aus Dübendorf ZH übernimmt die Macht bei SF. Es ist kein Witz: Ab 6. September macht das Schweizer Fernsehen die "Tagesschau" zur Kindersendung. Die 18-Uhr-Ausgabe (Zuschauer-Marktanteil: über 20 Prozent) ist dann in Kinderhand. Und zwar nicht nur hinter den Kulissen. Nein, SF lässt eine 12-jährige Primarschülerin die wichtigsten News des Tages live verlesen. Alleine. Mit den Moderatoren (Béatrice Müller ist 48, Franz Fischlin und Katja Stauber werden bald 47) reift auch das Fernsehpublikum der Sendung. Dieses ist schon fast im Rentenalter: Der Zuschauerschnitt der Hauptausgabe liegt bei 59,5 Jahren. Das kann SF nicht gefallen. Also kann es wohl nicht schaden, wenn man es mal mit Kindern mitten im News-Geschehen probiert. "Eine Sechstklässlerin wird die Sendung moderieren", bestätigt "Tagesschau"-Chef Thomas Schäppi (46). "Sie wird von Profis geschult." Gefunden habe SF die Wunderkinder per Bewerbung. Ein Theaterstück einer 6. Primarklasse aus Dübendorf ZH überzeugte die TV-Macher vom Können der Kids. Lehrerin Linda Bärtschi (51): "Für die Kinder wird es ein grosses Abenteuer. Sie freuen sich sehr auf ihre Arbeit." Die junge Moderatorin heisst Anna und kommt aus Dübendorf. Ihr Vater ist Walliser, die Mutter stammt aus der Türkei. Anna hat Grosses vor. Sie soll ihre Texte möglichst allein schreiben. "Die Kinder sollen unbekümmert und unbedarft über alles berichten dürfen, was sie -interessiert", sagt Lehrerin Linda Bärtschi, begeistert vom Projekt. Wird die "Tagesschau" zum Kindergarten? Was geschieht, wenn ein schreckliches Ereignis passiert - ein Krieg, Bomben-Terror? Schäppi betont, dass brutale internationale News-Bilder, die im Laufe des Tages die Redaktion erreichen, vorher angeschaut werden. "Falls wirklich etwas sehr Schlimmes passiert, können die Redaktoren jederzeit einspringen." Und Lehrerin Bärtschi hofft sehr, "dass die Kinder nie in ungemütliche Situationen kommen." Medienprofis haben Bedenken: Kurt Felix findet das eine Superidee. "Für den KI.KA - den Kinderkanal - nicht für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen", sagt er. Als "Konzessionsverletzung" bezeichnet Ex-"Tagesschau"-Chef Anton Schaller das Projekt. "Der Grundgedanke wäre ja an sich gut, aber nur, wenn man so was im Anschluss an die 18-Uhr-Ausgabe sendet", sagt er. "So ist es Humbug. Man muss ja damit rechnen, dass man im Anschluss an die Sendung Fehler korrigieren muss." Schaller schlägt vor, "Glanz & Gloria zu kippen und im Anschluss an die "Kindertagesschau" beide Sendungen von Medienpädagogen analysieren zu lassen. Deutlicher wird "TeleZüri-Chef Markus Gilli: "Nachrichtenjournalismus ist kein Schülertheater. Ein 12-jähriges Mädchen bei CNN am Moderationspult - undenkbar", sagt er. Die SRG betreibe eine respektlose Quotenbolzerei auf dem Buckel der in der Tagesschau vermeldeten Opfer im Irak und in Afghanistan. "Showtime beim Staatssender - wir warten gespannt auf Naked News", sagt er. News-Profi Erich Gysling hingegen meint: "Von mir aus kann man dieses Experiment wagen. Die Sendungen fallen ja mitten in die Session - das wird ja spannend, wie Kinder darüber berichten." Frank Baumann (51,"Das volle Leben") findet die Idee nicht neu. "Schon Grönemeyer forderte ja, dass Kinder an die Macht gehören." Für Baumann ist klar, dass das Rennen für den "Superdirektor" von Radio und TV gelaufen ist. "Jetzt wird mein Nachbar Timmi Zingg den Job bekommen. Er ist 14 Jahre alt."


Es ist gut, wenn Schüler mit den Medien vertraut gemacht werden, denn die Auseinandersetzung mit modernen Medien ist enorm wichtig. Es gibt bereits unzählige medienpädagogisch wertvolle Möglichkeiten, Jugendliche mit Mikrofon und Kamera aber auch mit Printmedien aktiv auseinander setzen zu lassen, um die Medientätigkeit praxisorientiert kennen zu lernen. Dass man Jugendliche jedoch am offiziellen Informationskanal experimentieren lässt, ist ein Faux-Pas. Das wäre, wie wenn man Journalisten unausgebildet wursteln liesse, in der Hoffnung, sie würden an den gemachten Fehlern "on the Job" selbst wertvolle Erkenntnisse sammeln können. Offizielle Informationskanäle dürfen nicht zum Experimentierfeld medieninteressierter Jugendlichen werden. Jene Instanzen, die sich für die Kindertagesschau auf dem echten Kanal stark gemacht haben, würden wohl kaum diese Kinder im Informationszentrum einer Kantonspolizei experimentieren lassen oder sie als Mediensprecher in einer Firma medienspezifische Erkenntnisse sammeln lassen. Niemand würde es verstehen, wenn Kinder vorübergehend als Bundeshausprecher wirken - selbst wenn sie so einen wertvollen Einblick in die Welt der Politik erhalten könnten. Dies würde niemand begreifen. Erstaunlich, dass bei der offiziellen Tagesschau das Schweizer Fernsehen keine Bedenken hat. Deshalb müsste die Übung sofort abgebrochen werden, verbunden mit einer selbstkritischen Pressemitteilung, der Versuch sei leider ein gut gemeinter Fehlentscheid gewesen.


Nachtrag vom 6. September, 2009: Die 11 jährige Ana moderiert die offizielle Tagesschau. Ana möchte es so gut machen wie Katja Stauber. Die Profi Moderatorin zeigt der Schülerin, wie das geht und hat der Schülerin das Wichtigste auf einem Spickzettel notiert. Das Fernsehen liess sich von der heftigen Kritik nicht vom fragwürdigen Vorhaben abbringen. Wir wissen, die Schüler werden gut vorbereitet und begleitet. Falls etwas Hikles passiert, wird sofort eine Profi Moderatorin einspringen. Es kann damit gerechnet werden, dass der GAG problemlos über die Bühne gehen wird. Was jedoch verheerend ist, das ist die Botschaft, die mit diesem Projekt verbunden ist: Die Öffentlichkeit weiss nun,

  • Moderieren ist kinderleicht!
  • Nachrichten beschaffen ist ein Kinderspiel
  • Fernsehjournalist ist kein anspruchsvoller Beruf. Er ist von einem Primarschüler innert weniger Stunden erlernbar
  • Auf jahrelanges Training kann verzichtet werden
  • Ein Spickzettel genügt, um an der Front professionell moderieren zu können


Das Fernsehen demontiert so sein wichtigstes Sendegefäss. Die Verantwortlichen für diesen unbedachten Event müssen die Verantwortung auf sich nehmen, wenn nun das Vorurteil gefestigt wird, Journalismus sei ein Beruf für Leute, die sonst nichts können. Ich begreife nicht, dass der Chefredaktor grünes Licht gegeben hat, den Qualitätsjournalismus zu untergraben. Dies gibt zu denken, zumal Ueli Haldimann ab 1. Oktober Direktor des Schweizer Fernsehens wird. Betrachten wir den Spickzettel. Wir lesen darauf: Glaubwürdig sein. Es wäre interessant zu wissen, was sich die elfjährige Schülerin darunter konkret vorstellt.


Tips Von Katja Stauber:
  1. Ein Glas Wasser bereithalten
  2. Aufrechte und lockere Haltung
  3. Konzentration
  4. Freundlichkeit
  5. Gelassenheit und Ruhe
  6. Aussprache
  7. Seriös auftreten
  8. Glaubwürdig sein
  9. Nicht schauspielern
  10. Nicht sich selbst, sondern die Sendung in den Vordergrund stellen.


Nachtrag vom 7. September: Die erste Sendung hat stattgefunden Quelle: Blick:


Nachtrag vom 9. September 2009: Nicht live: Wie der Blick berichtet war die Kinder-Tagesschau nicht live. Die Sendung wurde eine halbe Stunde verzögert gesendet. Der "Blick": SF-Sprecher David Affentranger rechtfertigt den Schwindel:

"Wir zeichnen die Sendung nur auf, um Druck von den Kindern zu nehmen. Es ist eine reine Vorsichtsmassnahme. So können wir im Ernstfall noch eingreifen, falls etwas schiefläuft."


Ist es nicht eine Irreführung des Publikums, wenn man die Oeffentlichkeit im glauben lässt, der "herzige "Auftritt sei ein live Auftritt? Müsste nicht das Schweizer Fernsehen transparent informieren, so wie sie es von allen Institutionen verlangt? Viele Fachleute teilen mit mir die Ansicht, dass das Experiment fragwürdig und problematisch ist. Ich gehe mit Peter Studer einig. Der Event mit einer Schülerin als Sprecherin war nicht zu Ende gedacht. Ana selber sagte im nachhinein: " Ich bin froh, dass alles kurz vorher aufgezeichnet wird - sonst wäre ich viel mehr aufgeregt." Zum Vorwurf, man habe das Publikum mit der Kindertagesschau irregeführt, sagt Thomas Schäppi: "Kindertagesschau ist eine "Quasi Live Sendung!" Aus "Persönlich": Thomas Schäppi:

Es war eine reine Vorsichtsmassnahme, auch den Kindern gegenüber, um diese nicht einem zusätzlichen Druck auszusetzen. Im Gegensatz zu den Tagesschau-Moderatoren hat Ana zudem nie ein Pannentraining absolvieren können.


Wäre es nicht besser gewesen, im Vorfeld darauf hinzuweisen? Thomas Schäppi:

Man hätte dies offensiv kommunizieren können, das ist richtig. Wir haben es nicht an die grosse Glocke gehängt, weil die Tagesschau in der Regel live ist. Es wurde jedoch auch nie ein Geheimnis darum gemacht. Im Übrigen ist es eine Aufzeichnung, die quasi live ist. In einer halben Stunde hätten wir auch nicht mehr viel daran ändern können.


Schäppi gesteht immerhin, dass zu wenig offensiv kommuniziert wurde. Die Argumentation der "Quasi Live Sendung" ist aber eine eher billige Beschönigung. Entweder ist eine Sendung Live oder sie ist aufgezeichnet. Thomas Schäppi müsste nicht nur offener, sondern auch eindeutiger kommunizieren.



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