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www.rhetorik.ch aktuell: (27. Apr, 2009)

Vom Duchenne und Soziallächeln

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Die folgende amüsante Kolumne über zwei Grundformen des Lächelns ist von Thomas Widmer im Tagesanzeiger erschienen:

Thomas Widmer

Soziallächler

Quelle.

von Thomas Widmer


Das Lächeln unseres Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz am Sonntag in Genf ist um die Welt gegangen. Drückt es tatsächlich Komplizenschaft mit dem Bösen in Gestalt von Irans Präsident aus - warum empfinden manche dieses Lächeln als frivol?

Die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen, kennt zwei Grundformen des Lächelns: das sogenannte Duchenne-Lächeln, absichtslos, tief, aus wahrer Freude entspringend. Und das "soziale Lächeln", das auf die Umgebung reagiert. Es entkrampft, zeigt Grundsympathie, guten Willen, baut Beziehungen auf. Schon Säuglinge besitzen auch dieses soziale Lächeln.

Der sichtbare Unterschied: Beim zweckfreien Duchenne-Lächeln sind laut Forschern die Muskeln links und rechts der Augen beteiligt. Davon kann auf den Merz-Fotos von Genf nicht die Rede sein. Die Zähne sind gebleckt, die Muskeln um den Mund angespannt - aber die Augenpartie macht nicht mit.

Merz lächelte in Genf also sozial. Taktisch. An sich ist das professionell. Der Politiker sagt dem Politiker: "Hey, ich beisse nicht. Wir können reden."

Allerdings ist Merz ein forcierter Soziallächler. Man nehme das offizielle Bundesratsfoto. Ueli Maurer lächelt scheu; als Hardliner muss er auf der Strasse ja auch stets damit rechnen, dass einer ihm den Vogel zeigt oder schlimmer. Micheline Calmy-Rey grinst so ehrgeizig maskenhaft, dass die Mundwinkel die Ohren erreichen. Moritz Leuenberger lächelt moralisch-mitleidvoll aus erhabener Warte. Doris Leuthard, mit geschlossenem Mund schmunzelnd, spielt gutmütige Gotte. Pascal Couchepin markiert durch Knapplächeln etatistische Reserviertheit. Und Eveline Widmer-Schlumpf kneift die Lippen zur Linie zusammen. Sie will Respekt nur für ihre Leistung.

Von allen lächelt der Ausserrhoder Merz am festesten. Dazu etwas helvetische Physiognomik: Den Romand (Couchepin) steuert die Schwere der französischen Mission civilisatrice. Beim politisierenden Tessiner schleicht sich die Gravitas des römischen Senators ins Mienenspiel (Flavio Cotti). Der stoische Berner nutzt die Gesichtsmuskulatur kaum (Samuel Schmid, der unbewegte Mann). Merz, sympathie- und harmoniesüchtig, verkörpert die gewitzte Appenzeller Frohnatur.

Hans-Rudolf Merz in Genf, von der Seite fotografiert, lächelte also gar nicht breit - für seine eigenen Begriffe. Doch von aussen gesehen wirkte die Gebissentblössung heftig. Dies umso mehr, als der Merz-Schädel weitgehend haarlos ist: Jedes Signal in diesem nackt-hageren Gesicht ist ein starkes Signal. Leider ist es nun aber so, dass ein guter Politiker seine Mimik beherrscht und nicht umgekehrt. Zudem: Das diplomatische Genfer Parkett ist etwas ganz anderes als der Herisauer Obstmarkt.


Bei den Medienauftritten stellte ich immer wieder fest, dass Bundesrat Hans-Rudolf Merz auch bei ernsthaften Antworten immer wieder sein typisch kurzes Lächeln aufsetzt. Lächeln, das mit der Aussage nicht übereinstimmt, beeinträchtigt Kommunikationsprozesse. Es zählt zu den pardoxen Verhaltensweisen.

Nach Weltwoche: Lächeln für Achmadinedschad, ist die Foto mit Merz und Achmadinedschad ein Propaganda Coup der Iraner. Sowohl Merz wie auch früher Calmy-Rey sind nach Weltwoche in die Fotofalle gefallen:

Weil der Bundespräsident aber keinen Stress mit den Medien wollte, veranlassten seine PR-Berater, dass die Präsidenten von den Journalisten weitgehend abgeschirmt würden. Demokratie und Pressefreiheit hin oder her: Der Protokollchef bat die Fotografen sogar, auf Bilder vom Händedruck zwischen Merz und Achmadinedschad zu verzichten. Reporter wurden auf die andere Strassenseite verwiesen.

Aber Merz hatte nicht mit der Hartnäckigkeit der Iraner gerechnet. Diese marschierten mit einem Riesentross auf, der sich nicht um die Vorgaben aus Bern kümmerte. Die iranischen Presseleute überschritten die Sicherheitsschranken, um sich den Präsidenten zu nähern. Die Hofberichterstatter aus Teheran hatten einen klaren Auftrag: Sie sollten mit aktuellen Aufnahmen dokumentieren, wie angesehen und willkommen Achmadinedschad auch im Ausland sei. Weil sie ihren Job nicht verlieren wollten, war ihnen jedes Mittel recht. Achmadinedschad, der Hauptredner an der Antirassismuskonferenz, hat kein Verständnis für die Freiheit der Presse. Medien, die dem Regime nicht gehorchen, werden geschlossen.

Dass Fotos in Teheran propagandistisch ausgeschlachtet werden, musste letztes Jahr bereits EDA-Vorsteherin Micheline Calmy-Rey erfahren. Sie war nach Teheran gereist, um der Unterzeichnung des Gasvertrages mit der EGL die Ehre zu erweisen. Doch iranische Paparazzi überfielen Calmy-Rey, wie sie, Kopftuch tragend, Achmadinedschad herzlich lachend gegenübersass. Die Presse benutzte das Stelldichein der Aussenministerin prompt als Beweis dafür, dass der iranische Präsident trotz der Sanktionen von westlichen Ländern wie der Schweiz respektiert werde.

Dass sowohl Merz als auch Calmy-Rey in die Fotografenfalle gefallen sind, ist typisch und symbolhaft zugleich. Beide scheinen nicht zu verstehen, wie die reale Welt funktioniert. Weder haben sie je im Ausland gelebt noch internationale Erfahrung sammeln können. Die eine ist nicht weit über Genf, der andere nicht weit über Herisau herausgekommen.
Aus Sonntag



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