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www.rhetorik.ch aktuell: (01. Feb, 2009)

Ärzte vor Mikrofon und Kamera

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:


Wolfgang Koller ist ein renommierter Spezialist für Schwerstverletzte mit Mehrfachverletzungen ist am Universitätsspital Innsbruck. Als behandelnder Arzt von Daniel Albrecht erklärte er in der NZZ am Sonntag Therapien und Perspektiven des verletzten Skirennfahrers. Sein Interview ist vorbildlich. Es veranschaulicht, dass es auch für Ärzte möglich ist, sich mediengerecht auszudrücken, ohne dass sie unbedachte Mutmassungen oder voreilige Prognosen äussern. Koller hat bei allen bisherigen Medienauftritten überzeugt. Aus der NZZ am Sonntag vom 1. Februar 2009: Der behandelnde Arzt von Daniel Albrecht erklärt Therapien und Perspektiven:



NZZ am Sonntag: Herr Koller, wie geht es Daniel Albrecht?
Wolfgang Koller: Die Verletzungen im Gehirn gehen den normalen Verlauf. Sie waren in den letzten Tagen definitiv kein Problem. Hingegen hat es mit der Lunge Komplikationen gegeben: Wir stellten kleine Blutungen fest, dann kam es rasch zu einer massiven Lungenentzündung, und zuletzt ist die Lunge im Bereich der Blutungen geschrumpft. Das ist nicht unüblich und hat derzeit für uns Priorität.
NZZ am Sonntag: Muss man von einer Verschlechterung des Gesundheitszustands reden?
Koller: Das kann man so nicht sagen. In der Summe hat sich am Risiko nichts geändert. Wir brauchen nach wie vor einen künstlichen Tiefschlaf, aber nicht so sehr wegen der Gehirnverletzung, sondern wegen der Lunge.
NZZ am Sonntag: Weiss man, was Albrecht in diesem Schlaf wahrnimmt?
Koller: Wir gehen davon aus, dass in sehr tiefen Phasen des Tiefschlafs keine Impulse zum Gehirn des Patienten durchdringen. In oberflächlicheren Phasen kann das sehr wohl der Fall sein. Aber genau wissen wir das nicht.
NZZ am Sonntag: Man kann also nicht Träume und Emotionen über Gehirnströme messen?
Koller: In dieser Situation geht das nicht. Wir wissen jedoch, dass Patienten nach dem künstlichen Tiefschlaf praktisch keine Erinnerungen daran haben. Die meisten erinnern sich an die letzten ein, zwei Tage auf der Intensivstation. Das ist die Phase, in der die künstliche Beatmung beendet und der künstliche Luftweg sicher entfernt ist. Was vorher war, ist nicht präsent.
NZZ am Sonntag: Auch nicht der Moment des Unfalls?
Koller: Manche Skifahrer erinnern sich, dass sie in der Skihütte waren - und dann an nichts mehr. Andere haben noch den Sturz im Kopf. Die Erinnerungslücke ist typisch für ein Schädel-Hirn-Trauma . Meist ist es so, dass in der Rehabilitation gewisse Erinnerungen wieder auftauchen. Das ist wie ein Mosaik, und welche Stücke man findet, ist nicht voraussagbar.
NZZ am Sonntag: Kann ein langer Tiefschlaf das Gehirn zusätzlich schädigen?
Koller: Solange man sicherstellt, dass der Kreislauf gut funktioniert und das Gehirn mit Sauerstoff, Blut und Nährstoffen versorgt wird, rechnen wir nicht damit. Aber das ist eine künstliche Situation, die von aussen höchst aufwendig überwacht wird. Selbstverständlich ist für den wachen, lebenden Menschen der natürliche Schlaf besser.
NZZ am Sonntag: Lässt sich aufgrund von Untersuchungen abschätzen, wie gesund Albrecht nach dem Aufwachen sein wird?
Koller: Bei einem mittelschweren Schädel-Hirn-Trauma ist das nicht exakt voraussagbar. Den Patienten geht es aber viel besser, als der Volksmund behauptet. Hier hat die Medizin in den letzten zwanzig Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Auch andere innere Organe wie die Lunge erholen sich normalerweise erstaunlich gut.
NZZ am Sonntag: Wie erwacht ein Mensch nach längerer Zeit aus dem Tiefschlaf?
Koller: Das Aufwachen des Bewusstseins passiert so, dass die Funktionen allmählich wieder einsetzen. Das beginnt etwa mit der Kreislaufsteuerung und der Atmung. Es gibt eine Durchtrittsphase, die sehr stressig ist, weil der Patient zu spüren beginnt, dass da etwas passiert - aber er weiss nicht, was los ist. Später spricht er auf Berührungen an, auf Geräusche, auf Licht, kann das aber nicht zuordnen. Langsam geht es rauf, er versteht einzelne Worte. Ganz zum Schluss gibt es eine Phase, in der er kurze Sätze versteht, sie aber gleich wieder vergisst. Dann sagen wir immer wieder: Du hast einen Unfall gehabt. Du bist jetzt im Spital. Es kann dauern, bis er das im Kopf behält.
NZZ am Sonntag: Können Sie bereits sagen, wann für Albrecht die Aufwachphase beginnt?
Koller: Das ist noch offen. Jetzt müssen wir schauen, wie wir mit diesen Lungenschrumpfungen umgehen.
NZZ am Sonntag: Kurz nach dem Unfall sagten Sie: Wir reden von Tagen.
Koller: Jetzt reden wir von Wochen.
NZZ am Sonntag: Wie sieht der langfristige Ablauf aus?
Koller: Wenn Daniel Albrecht das Spital verlassen kann, beginnt die Rehabilitation, die sechs bis zwölf Monate dauert.
NZZ am Sonntag: Also ist es illusorisch zu glauben, Daniel Albrecht könne bereits in der nächsten Saison wieder Skirennen fahren?
Koller: Spitzensportler haben andere körperliche Voraussetzungen und eine andere Motivation. Unter Umständen kann bereits in der Rehabilitation der Wiederaufbau in Richtung Sport beginnen. Man geht am Anfang durch Depressionen und hat dann wieder übertriebene Hoffnungen. In dieser Phase wird sehr viel mit Psychologen gearbeitet. Wenn dieser Knackpunkt geschafft ist und der Sportler seine Motivation wieder abrufen kann, ist sehr viel möglich.




Das Interview ist medienrhetorisch vorbildlich. Die Antworten halten sich an Fakten. Auf Mutmassungen und Spekulationen und komplizierte Formulierunge voller fachchinesischer Ausdrücke wird oder vagen, diffusen Formulierungen wird verzichtet. Koller bleibt konkret, spricht einfach, verständlich, klar und sagt nur, was er belegen kann. Die Medien wollen Prognosen und neue Informationen. Journalisten haben das Recht, kritische Fragen zu stellen und möchten stellvertretend für das Publikum herausfinden, wie es mit dem verunfallten Sportler weitergeht:
  • Kann er wieder Wettkämpfe bestreiten?
  • Wie beeinflusst ein künstlicher Tiefschlaf den menschlichen Körper?
  • Weshalb wird der Sportler nicht geweckt?
  • Wie lange kann ein Mensch ohne gravierende Folgen im Tiefschlaf gehalten werden?
  • Hat der Sportler mit langfristigen Schäden zu rechnen? (Gehirn)
  • Weshalb schrumpfte die Lunge?
Ähnlich wie beim Knie Zurbriggens oder dem Herz von Bundesrat Merz beginnt sich die Bevölkerung plötzlich für medizinische Details zu interessieren. Die Medien versuchen desshalb, medizinische Sachverhalte vereinfachend zu erklären. Ärzte müssen dann fähig sein, komplexe medizinische Sachverhalte verständlich zu vereinfachen ohne sie inhaltlich zu verfälschen. Das ist eine Kunst, die gelernt werden kann.




Nachtrag vom Samstag, 14. Februar 2009 Mediengerechtes Informieren des Aertzeteams. Quelle Blick:
Riesiger Dank geht an die Ärzte am Uni-Spital von Innsbruck. Ihre Botschaft, die sie an der Pressekonferenz überbringen, könnte besser kaum sein. Doktor Stefan Schmid hat Dani als Oberarzt für chirurgische Intensivmedizin die ganzen drei Wochen betreut. "Wir haben sehr erfolgreich um Daniel Albrecht gekämpft", sagt er. "Die Hirnschwellung ging zügig zurück. Die Hirnblutung war nicht allzu gross. Es war die schwere Lungen-entzündung, die den Kampf schwierig gemacht hat. Am 11. Februar konnten wir ihn aber von der Beatmungsmaschine abhängen." Die Verletzung der Stimmbänder und die Schwellung der oberen Atemwege nach der Entfernung des Beatmungsschlauches bereiten ihm zur Zeit noch Schmerzen. "Aber der Patient wird bereits -sitzend mobilisiert. Und in den nächsten Tagen beginnen wir mit Stehversuchen." Auch Unfallchirurg Michael Blauth berichtet Erfreuliches. "Der Patient hat an Kopf und Brust -keine weiteren Verletzungen. Am rechten Knie haben wir eine leichte Bänderdehnung festgestellt. Die Kreuzbänder scheinen intakt, eine Kernspin-Tomographie wurde allerdings noch nicht gemacht." Erlösend auch der Befund von Neurologin Bettina Pfausler: "Am Mittwoch konnten wir das Hirn erstmals beurteilen. Herr Albrecht antwortet auf einfache Aufforderungen mit Ja und Nein. Er hat noch eine reduzierte Aufmerksamkeit. Sein Händedruck rechts ist -etwas reduziert. In einigen Wochen ist Daniel Albrecht aus neurologischer Sicht sicher gesund.


Die Medienkonferenz zeigt, dass Daniel Albrecht in guten Händen war. Die Reputation des Uni Spitals Innsbruck könnte nicht besser sein. Es wird hervorgehoben: Innsbruck informierte stets offen, professionell. Daniel Albrecht wurde von besten Fachleuten betreut. Die Aerzte haben immer souverän, ruhig gesprochen und die Oeffentlichkeit sei laufend über den jeweiligen Stand der Dinge informiert worden. Die konstante beschreibende Information ist bei der Medienkommunikation in heiklen Situation etwas vom Wichtigsten. Es gilt, möglichst keine Prognosen und Mutmassungen äussern. Die Arzte müssen mit "einer Stimme" reden- d.h. sie dürfen sich nicht widersprechen. Sie haben vor dem Auftritt zu klären, was gesagt wird und was noch nicht erwähnt wird. Was sie vor Mikrofon und Kamera äussern, muss immer wahr sein, doch muss nicht alles gesagt werden, das wahr ist. Das Ärzteteam hat bis zum heutigen Tage vorbildlich informiert. Die Aerzte konnten in diesem Fall nicht nur eine gute Botschaft verkünden. Sie verkündeten auch ihre Botschaften medienrhetorisch gut.


Nachtrag vom 16. Februar: Verlegung nach Bern "Blick:" Daniel Albrecht ist in einem speziellen Intensivtransporter von Innsbruck nach Bern gebracht worden. Der Zustand von Dani Albrecht sei so stabil gewesen, dass man auf eine Überführung im Helikopter verzichten konnte. Unter einem Intensivtransporter versteht man einen Rettungswagen, der mit allen Möglichkeiten ausgestattet ist, um den Patienten im Notfall intensiv zu betreuen", erläuterte ein Mitarbeiter des Sanitätsdienstes des Kanton Bern auf Anfrage von Blick.ch. Zudem sei die Liege luftgefedert, um allfällige Stösse abzufangen. Damit ist Daniel Albrecht nicht mehr in den Händen der Innsbrucker Ärzte.




Nachtrag vom Freitag, 20. Februar 2009: Genesung braucht Geduld

"Tagi"-online:

Albrechts Genesung wird offenbar länger dauern als angenommen Waren die österreichischen Ärzte zu optimistisch? Dem vor einem Monat in Kitzbühel schwer verunglückten Walliser steht offenbar ein langer, beschwerlicher Weg bis zur Genesung bevor. Von Beginn an in Schräglage: Daniel Albrecht erwischte den Zielsprung völlig falsch und wurde in die Luft katapultiert. Das lässt sich aus Communiqués des Berner Inselspitals und des GFC-Managements Chur herauslesen. In einer kurzen Mitteilung weist der Mediendienst des Inselspitals auf die "komplexen Verletzungen" hin, die eine "hochspezialisierte Betreuung" erfordern. Daniel Albrecht brauche absolute Ruhe. Auf medizinische Details oder Hinweise auf den allgemeinen Gesundheitszustand, wie sie jeweils noch in den Statements der Innsbrucker Uni-Klinik erwähnt waren, wird verzichtet. Aufgrund der Informationen von Giusep Fry, dem Manager von Albrecht, ist davon auszugehen, dass es Wochen beziehungsweise Monate dauert, bis sich der Athlet von den Folgen des Sturzes erholt hat. Ob und wann er wieder Skirennen fahren könne, sei zum jetzigen Zeitpunkt unerheblich. Diese Bemerkung steht im Widerspruch zu gewissen optimistischen Prognosen nach Albrechts Aufwachen und vor seiner Verlegung von Innsbruck nach Bern. Seit Sonntag befindet sich der 24-jährige Sportler im Inselspital. Es gehe vorerst darum, dass er sich wieder so weit erholt, um ein normales Leben führen zu können. Die zahlreichen Fans werden gebeten, Geduld zu üben, bis ihre Genesungswünsche beantwortet werden. Es würde wohl noch Monate dauern. Das Inselspital wird wöchentlich über die Entwicklung von Albrechts Genesung berichten.


Bei den Medienmitteilungen der Innsbrucker Ärzte haben die behandelnden Aerzte bewusst auf Prognosen verzichtet und sind nie auf Vermutungen von Journalisten eingegangen. Das Universitätsspital Innsbruck hat erfreulicherweise kontinuierlich und professionell informiert. Es gab keine optimistische Prognosen. Es wurde ehrfach deutlich betont: Es ist noch alles möglich.




Nachtrag vom 23. Februar, 2009: Das Inselspital informierte nach der Überweisung des Spitzensportlers sehr, sehr knapp: Zustand "befriedigend" Kürze ist zwar gut, richtig und wichtig: Doch fehlt der Referenzwert, d.h. der Massstab für den Laien. Für einen Intensivpatienten ging es ihm gut. Heisst dies, dass er für die Normalstation noch in einem "schlechten " Zustand wäre? Die Aussage scheint mir zu indifferent. Sie wirft Fragen auf. Wenn es heisst, der Patient "braucht Ruhe": könnte auch bedeuten: Das Spital braucht Ruhe ... Das Spital will nicht gestört werden. Wir informieren bewusst zurückhaltender und weniger optimistisch als Innsbruck. Der angebliche Optimismus der Ärzte in Innsbruck bezog sich jedoch immer nur auf den IST-Zustand und der hat sich von einem komatösen Patienten in Kitzbühel hin zu einem wachen Patienten, der zuletzt selbstständig sein Essen eingenommen hat und schon wenige Schritte gegangen war, bestimmt am Schluss erheblich gebessert, ohne viel Zweck in den Optimismus hinein interpretieren zu wollen. Die Aussagen in Innsbruck bezogen sich auf den Krankheitsverlauf eines Intensivpatienten, der natürlich nicht sofort in häusliche Pflege entlassen werden kann. Der Manager von Daniel Albrecht, der den Sportler möglichst dicht abschirmen wollte, agierte aus meiner Sicht sehr klug. Dies ist gut für den Sportler, aber schlecht für die Medien. Die Gretchenfrage steht im Raum: Wann kann Daniel Albrecht sein erstes Interview geben?


Nachtrag vom 9. März: Daniel Albrecht macht Fortschritte Blick online:

Daniel Albrecht, am 22. Januar in Kitzbühel schwer gestürzt, befindet sich ganz klar auf dem Weg der Besserung. Er erholt sich weiterhin von seinem Schädel- und Hirntrauma und der Lungenquetschung. Ein sehr gutes Zeichen: Sein Erinnerungsvermögen ist wieder zurück! "Albrecht kann sich an alle wichtigen Ereignisse des laufenden Winters erinnern", teilt sein Management mit. Nur die Erinnerung an seinen Horror-Sturz fehlt dem 25-Jährigen. Auch normale Alltagsabläufe verrichte Albrecht selbstständig und ohne fremde Hilfe. "Das Sprechen und die Kommunikation bereiten Daniel keine Probleme", lässt sein Manager Giusep Fry vermelden. Noch immer ist aber Ruhe angesagt, Besuche im Unispital Bern sind weiterhin nur für sein allerengstes Umfeld möglich.


Erstaunlich, dass nicht das Spital, sondern das Mangement jetzt die Kommunikation an die Hand genommen hat. Wenn es um gute Nachrichten geht, ist dies nicht so schlimm, wie bei Negativmeldungen. Doch wäre in diesem Fall wichtig, dass die Informationspraxis - während des Spitalaufenthaltes des Weltmeisters - nicht delegiert wird. Weil das Inselspital den defensiven Weg gewählt hat, merkt man jetzt, dass es viele Meldungen über den Patienten aus Nebenquellen gibt. Damit ist natürlich die Chance auf eine Selbstdarstellung des Spitals und eine gesteuerte Kommunikation korrumpiert. Ich hätte als Kommunikationschef des Spitals das Szepter nicht aus der Hand gegeben. Selbstverständlich müsste nicht mehr täglich informiert werden. Doch aussergewöhnliche Veränderungen dürften bei so einem grossen Medieninteresse nicht zurückgehalten werden.



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