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www.rhetorik.ch aktuell: (18. Dez, 2008)

Wanze im Bundeshaus

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:



Medien haben keinen Zutritt zum Ratssaal vom Bundeshaus. Der Ort ist deshalb ideal zum Aushecken geheimer Strategien, ohne von Journalisten gehört zu werden. Während der Bundesratswahl vom 10. Dezember haben SF-Dokumentarfilmer ein Knopfmikrofon bei Toni Brunner montiert, um Material für einen Dokumentarfilm zu sammeln. Das Mikrofon zeichnete dabei auch Aussagen von Politikern auf die nichts vom offenen Mikrofon wussten. SP-Fraktionschefin Ursula Wyss, deren Stimme ohne ihr Wissen aufgezeichnet worden ist, meinte:

"Ich finde ein offenes Mikrofon im Saal inakzeptabel. Ich finde es seltsam von ihm, dass er als lebendige Wanze herumläuft."
SF Redaktionsleiter Christoph Müller findet die Aufnahme unproblematisch:

"Der Nationalratssaal ist kein privater Raum, sondern einsehbar und einhörbar. Das Knopfmikrofon war am Jacket sichtbar angebracht."
fügte aber bei
"Es wäre ohne Zweifel klüger gewesen, Ursula Wyss im Voraus anzufragen."


Links:


Die Geschichte ist verzwickt. Einerseits wäre es für die Öffentlichkeit interessant zu hören, welche politischen Spielchen im Bundeshaus getrieben werden. Andererseits verstösst das Mikrophon gegen die Regeln der Parlamentsverordnung und gegen das Strafgesetz:
Parlamentsverwaltungsverordnung Art. 15 : Personen, welche in den Räten selber Aufzeichnungen machen wollen, bedürfen einer Bewilligung des Büros des jeweiligen Rates.
Strafgesetz 179: Wer ein fremdes nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung aller daran Beteiligten, mit einem Abhörgerät abhört oder auf einen Tonträger aufnimmt, wer eine Tatsache, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie auf Grund einer nach Absatz 1 strafbaren Handlung zu seiner Kenntnis gelangte, auswertet oder einem Dritten bekannt gibt, wer eine Aufnahme, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie durch eine nach Absatz 1 strafbare Handlung hergestellt wurde, aufbewahrt oder einem Dritten zugänglich macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Wer als Gesprächsteilnehmer ein nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung der andern daran Beteiligten, auf einen Tonträger aufnimmt, wer eine Aufnahme, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie durch eine nach Absatz 1 strafbare Handlung hergestellt wurde, aufbewahrt, auswertet, einem Dritten zugänglich macht oder einem Dritten vom Inhalt der Aufnahme Kenntnis gibt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft. Quelle.


Nachtrag vom 19. Dezember: SF Chefredaktor Ueli Haldimann schreibt im "Chefredaktor-Blog":

"Dass Film- und Tonaufnahmen im Nationalratssaal angeblich verboten seien, war Roland Huber (und auch Toni Brunner) nicht bekannt. Huber und sein Kameramann waren normal akkreditiert. Wir sind daran, zu überprüfen, ob wirklich Vorschriften übertreten worden sind. Ich sehe keine Rechtfertigung, die Aufnahme eines Gesprächs zwischen zwei erwachsenen Menschen zu verbieten, wenn beide einverstanden sind. Es gehört klar zu den Aufgaben der Medien, zu berichten, wie die Volksvertreterinnen und -vertreter ihre Rolle wahrnehmen. Das war ja das Anliegen dieses Films. Er wollte ein bisschen in die Mechanik einer Bundesratswahl hineinleuchten. Das ist Roland Huber ein schönes Stück weit gelungen. Spannend die Reaktion der SVP-Spitze auf die ersten zwei Wahlgänge. Erhellend, wie Toni Brunner Hansjörg Walter zur Brust nahm. Aufschlussreich auch die Szene, in der alt Nationalrat Ernst Mühlemann (der als Kommentator für Telezüri im Bundeshaus war) als Berater der SVP auftrat und Toni Brunner warnte, Rita Fuhrer sei "die schwächste Stelle" bei der SVP."


Adrian Müller schreibt in "20 Min":
"Eine völlig neue Angelegenheit ist die unwilligte Tonaufzeichnung im Bundeshaus für Peter Studer, ehemaliger SF-Chefredaktor, Ex-Präsident des Presserates und Experte für Medienrecht. "Von so einem Fall habe ich noch nie gehört", erklärt er auf Anfrage. Er will sich nicht dezidiert über den Fall äussern, stellt aber klar: "Auch Fernsehjournalisten haben sich an die Hausordnung zu halten". Er hofft, dass der SF-Reporter Brunner über die Gesetzeslage instruiert hat. Genau dies bestreitet aber Brunner."


Die Präsidentin des Nationalrats will den Vorfall untersuchen und verlangt vom Fernsehen Auskunft darüber. (Quelle)


Blick vom 19. Dezember: Nationalratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi wird aktiv. Sie verlangt eine Abklärung des Sachverhalts. Für solche Aufnahmen brauche es gemäss Reglement die Bewilligung des Büros der Vereinigten Bundesversammlung, sagte die Nationalratspräsidentin. "Es gab aber keine Anfrage und keine Bewilligung."

Quelle




Nachtrag vom 21. Dezember:

Laut "Tagesanzeiger" vom 21. Dezember hat sich Chefredaktor Ueli Haldimann bei SP-Fraktionschefin Ursula Wyss entschuldigt. (Das schreibt Haldimann in seinem Chefredaktor blog). Für Ursula Wyss wiegt der Vertrauensmissbrauch zwischen dem Fernsehen und den Parlamentariern schwer. Nach "20 Minuten" sollen auch Ex-FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann und Tele-Züri-Chef Markus Gilli nichts von Tonaufnahmen gewusst haben.

Ob die Entschuldigung Haldimanns genügt? Ueli Haldimann hat noch alte Klagen am Hals. Die Geschichte mit der versteckten Kamera in einer Arztpraxis ist noch nicht vom Tisch.

Nach "Sonntagsblick" soll das SF hat bereits bei der Blocher-Wahl 2003 unbewilligt Tonaufnahmen im Nationalratssaal gemacht haben. Christoph Mörgeli war damals mit einem Knopfmikrofon durch den Nationalratssaal gelaufen. Sanktioniert wurde das SF damals für Kamerazooms auf Stimmzettel. Seither darf das Fernsehen im Nationalratssaal nur noch Standkameras benutzen. Die Mikrofon-Affäre dürfte noch Konsequenzen haben. Nach "Blick" soll das Büro der Bundesversammlung prüfen, dem Fernsehen das Aufnahmerecht für die Parlamentssäle vorübergehend zu entziehen.



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