Rhetorik.ch

Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com
Aktuell Artikel Artikel Inhaltsverzeichnis Suche in Rhetorik.ch:

www.rhetorik.ch aktuell: (08. Dez, 2008)

Macht der Medien in der heutigen Medienlandschaft

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
In der heutigen Medienlandschaft wird immer mehr personifiziert, emotionalisiert, boulevardisiert, homogenisiert, simplifiziert, skandalisiert, moralisiert und kommerzialisiert. Es herrscht ein unerbittlicher Kampf um attraktivste Bilder und Einschaltquoten. Natürlich geht der Persönlichkeitsschutz zunehmend unter die Räder. Wie sollen Führungspersönlichkeiten unter diesen veränderten Gegebenheiten mit Journalisten umgehen?

Martin Senti, Quelle
An der Universität Zürich diskutierten am 2. Dezember Martin Senti und Kurt Imhof in der Weiterbildungsreihe "Medien,Macht und Qualität" über das Thema: "Macht der Medien, die Macht der Politik und den Trend zur Skandalisierung in der politischen Berichterstattung". Der Hörsaal war zum Bersten voll. Der riesige Aufmarsch machte bewusst, dass sich breite Kreise für den Themenkreis "Medien, Macht und Qualität" interessierten. Es ging um Rudeljournalismus, Lemmingejournalismus und Bewegungsmelderjournalismus.

Kurt Imhof, Quelle
Welche Ansätze könnten uns aus der heutigen Mediensituation retten, bei der vor allem die Einschaltquoten zählen?

Das Klima in der Medienlandschaft hat sich verschärft. Die Jagd nach exklusiven Geschichten ist mit Erfolgs und Konkurenzdruck verlinkt. Auch ethische Fragen im Grenzbereiche von Persönlichkeitsverletzungen werden akut. Welche Verhaltensmassregeln taugen im Zeitalter des Meutejournalismus? Politiker und Führungspersönlichkeiten kommen nich darum herum, sich mit der neuen Situation auseinandersetzen. Hier sind zwei Beispiele:
Samuel Schmid
Als Samuel Schmid vor laufender Kamera plötzlich Nasenbluten bekam, wurden die Kameras nicht abgestellt, obwohl der Verteidigungsminister die Journalisten bat: "Bitte nicht fotografieren". Die Bilder waren später im Fernsehen und Zeitung zu sehen. Schmid reagierte richtig. Er wandte sich nach dem Zwischenfall ab, verliess das Podium und schob eine Pause ein. Bei einer Live-Uebertragung waren die Aufnahme dieser Sequenz unvermeidlich. Als Bundesrat Hans-Rudolf Merz nach seinem Herzstillstand auf der Bahre vom Helikopter ins Spital in Bern überführt wurde, wurden fragliche Bilder vom Spitalgelände gezeigt. Der Magistrat war den Bilderjägern hilflos ausgeliefert. Weil der Konkurrenzkampf im Medienbereich immer mehr dazu führt, dass die verschiedenen Medien sich nacheifern, sprach Merz treffend von einem Goldfischsyndrom.
Hans-Rudolf Merz
Die Geschichten hatten Folgen. Nach dem Rücktritt Schmid's gerieten die Medien in die Kritik. Doris Leuthard verlangte, dass Verleger, Chefredaktoren und Presserat sich zusammensetzen müssten und die Lage in einem Krisengipfel analysieren sollten. Harte Kritik war auch vom Pressesprecher des Bundesrates, Oswald Sigg zu hören. Für ihn müssten die Medien zwei Worte aus der Abschiedsrede Samuel Schmids ernster nehmen: "Demut und Bescheidenheit!" Urs Altermatt Professor für Zeitgeschichte findet: "Samuel Schmid ist in einem gewissen Sinne Opfer einer Medienkampagne - einer unkoordinierten fast chaotischen Kampagne - geworden, die noch keine Verschwörungszüge trägt." Soziologe Kurt Imhof wirft den Journalisten Rudelverhalten oder gar Dummheit vor. Er empfiehlt ein Observatorium der öffentlichen Kommunikation zu gründen, das die Medienberichterstattungen kritisch begleiten müsste.

Chefredaktoren und Verleger wehrten sich im "Sonntag" vom 16. November" gegen jegliche pauschale Kritik. Eine Behauptung Imhofs lautete, dass die meisten Medien heute die gleiche Meinung vertreten, von den Gratis-, Boulevardblättern, Qualitätszeitungen bis hin zu Radio und Fernsehen: kurz, es fehle an publizistischer Vielfalt und man laufe einander wie Lemminge nach. Rudeljournalismus könne in vielen konkreten Fällen nachgewiesen werden. Diese Pauschalaussage befremdete natürlich die meisten Verleger und Chefredaktoren. Für sie gibt es nicht "die Medien" an sich. Auch heute gebe es immer noch verschiedene Medien mit intelligenten Journalisten.

Jahrzehntelang nutzten Spitzenpolitier ein Symbiose mit den Meiden. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Politiker frohlocken, wenn ihr politischer Gegner von den Medien verteufelt wird sprechen aber von Verketzerungen und Verteufelungen, wenn sie selbst im Schussfeld der Kritik sind.

Medienschelte hat es schon früher gegeben: In den 60'er Jahren zum Beispiel sind Medien lange als einseitig und "links" bezeichnet wurden. Armeekritische Beiträge oder gar Reportagen von 1. Mai-Kravallen führten zu Beschwerden. Damals wurde zum Beispiel beanstandet, die nur Bilder von verletzten Demonstranten und nicht von verletzten Polizisten gezeigt wurden. Später wurde dem Fernsehen eine zu bürgerliche, zu gouvernementale und zu wenig kritische Haltung unterstellt.

Die Auseinandersetzungen um Objektivität macht bewusst, wie schwierig es ist, Vorkommnisse sachgerecht und ausgewogen darzustellen. Absolute Objektivität gibt es natürlich nie, vor allem, weil es nicht leicht ist, eigene Meinungen zurückzustellen.

Medien haben in Demokratien eine wichtige Kontrollfunktion. Peter Studer Ex-Präsident des Schweizerischen Presserates verwies in der "Sonntag"sausgabe 47 auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hin, der die Medien als "Wachthund der Demokratie" bezeichnet. Heute werde aber immer mehr auf Personen gezielt. Journalisten seien vom Wachhund zum Wadenbeisser mutiert.

Anderseits sind Medien, auch auf Informationen durch öffentliche Personen wie Politiker oder Manager angewiesen, denn sie verkaufen Geschichten, Personen und Nachrichten.

Die Zusammenarbeit mit den Medien ist nie eine herzliche Freundschaftsbeziehung sondern eine Symbiose, wie es zwischen Verhandlungspartnern üblich ist. Ohne Medien werden Politiker zu Unpersonen und ihre Botschaften werden nicht mehr verbreitet. Die Medien benötigen Prominente, um sie den Lesern verkaufen zu können. Jede Seite ist auf die Gegenseite angewiesen. Es gibt nur dann Probleme, wenn gewisse Regeln der Ethik missachtet werden. Betroffene sollten nie schweigen, wenn Journalisten ethische Grundregeln missachten. Auch die vierte Macht muss sich in einer Demokratie gefallen lassen, dass man auch sie einer Kontrolle unterzieht.

Ich fragte Kurt Imhof, was er für einen gangbaren Weg aus der Einschaltqauotenfalle betrachte. Er meinte, dass vor allem die Wahrnehmungsverzerrungen schlimm seien. Weil die Kommunikation der wichtigste Rohstoff unserer Zeit sei, gelte es:
  • Die Medienreflexion zu fördern. Auch die Feedbackkultur müsste vermehrt gefördert werden.
  • Wir bräuchten Ombudsleute und eine vermehrte Mitsprache des Publikums.
  • Eine Berichtspflicht könnte eingeführt werden.
  • Vor allem aber die Medienkritik gelte es zu verbessern.
  • Der Abbau von Qualitätsmedien könne kaum rückgängig gemacht werden. Weil Online Redaktionen immer teurer würden, führe das zum Raubbau in den Redaktionen. Vor allem die Gratiszeitungen leben von "Brot und Spielen". Die andern Blätter ahmen diesen Trend nach.
  • Es fehlt immer mehr an offener Auseinandersetzungen bei politischen Inhalte. Hinsichtlich Abflachung der Meinungsvielfalt müsse Gegensteuer gegeben werden.


Dazu noch ein lustiger Nachtrag, der die Boulvardisierung unterstreicht. In der Diskussionsrunde im grossen Hörsaal der Universität Zürich las ein Teilnehmer aus der Gratiszeitung "Punkt ch" vom 19. November vor und bestätigte in einem Beitrag, der mit Schmunzeln quittiert wurde, dass bei den Medien eine Abflachung erfolgt. Kurt Imhof ergänzte mir im Apérogespräch nach der Veranstaltung, dass ihm Studierende ab und zu einen Beitrag aus einer Gratiszeitung unter die Nase halten und fragen, was er dazu sage. Wir müssen uns wahrscheinlich immer mehr damit abfinden, dass Qualitäts-Zeitungen mit vertiefenden Analysen immer seltener werden und sich die Öffentlichkeit zunehmend mit banaleren Geschichten zufrieden geben muss oder will.

Rhetorik.ch 1998-2011 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com