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www.rhetorik.ch aktuell: (08. Jun, 2008)

Anne Will: Zu spätes Mea Culpa

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Anne Will, die Nachfolgerin Christiansens hatte erfolgreich gestartet. In der Sendung vom 1. Juni - "Alles auf Rot - warum nicht mit den Linken?" - hatte in der vergangenen Woche für Debatten gesorgt.

In der Sendung war behauptet worden, dass Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit 2001 von der Grossen Koalition 60 Milliarden Euro Schulden geerbt habe. Tatsächlich betrug der Schuldenstand damals etwa 38 Milliarden Euro und ist seitdem auf rund 60 Milliarden gestiegen. Anne Will verpasste es, selbstkritisch eine Standortbestimmung vorzunehmen, um rechtzeitig Gegensteuer zu halten. So kam es zu einem "TV-Eklat": Zitat bild.de: Tatsächlich wunderten sich viele Zuschauer wie engagiert und einseitig Anne Will für die Rot-rote Regierung Position bezogen hatte.

Ich habe die Professionalität der Moderatorin Will verschiedentlich gelobt und ihre journalistische Arbeit analysiert. Anne Will kam damals bei mir sehr gut weg. Leider fielen mir bei den letzten Sendungen immer mehr Unzulänglichkeiten auf. Anne Will begann mitzudiskutieren. Ihre Position schimmerte zu oft durch. Eine penetrante Unterbrechungstaktik schien bei ihr ihr zu einer lästigen Marotte zu mutieren.

Eine Moderatorin müsste immer eingreifen, wenn jemand über die Schnur haut.


Schlimm war vor allem, dass Anne Will nicht reagierte, als Lafontaine Merkel als Kommunistin bezeichnet hatte.


Will hätte den "Sünder" nicht aus der Sendung entlassen müssen, so wie es Kerner bei Eva Herman getan hat. Die Moderatorin wäre jedoch verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass die Spielregeln eingehalten werden. Sie hätte reagieren müssen! Das gehört zu ihrem Job. Bei der Anmoderation ging die Moderatorin von der These aus, dass man mit der Linkspartei erfolgreich Politik machen kann, das wisse der Chef der einzigen rot- roten Koalition in Deutschland, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit und spielte sie dann einen tendenziösen Film ein - als angeblichen Beweis, dass diese These zutrifft.

Diese These war für das Publikum nicht als Provokation oder Diskussionsanstoss gemeint. Es offenischtlich: Die Moderatorin unterstützte auch persönlich diesen tendenziösen Anspielfilm.

Gegenargumente würgte Will ab unwirsch und vertrat als Moderatorin persönliche die präsentierten fragwürdigen Zahlen. Es zeigte sich hernach: Die Journalistin hatte sich schlecht vorbereitet, denn die Fakten beleglten das Gegenteil. Will war auf einem Auge blind. Eine Moderatorin darf gesinnungsmässig nie voreingenommen sein. Persönliche Stellungsnahmen sind beim Moderieren ein Kapitalfehler.

Moderat sein - heisst neutral sein
Am 4. Juni eskalierte dann der Streit um die Wowereit-Nähe der ARD-Lady Anne Will wehrte sich und Pflüger feuert nach. Anne Will wies Pflügers Kritik zurück. Eine Talkshow voller Unwahrheiten, Falschinformationen, Einseitigkeit - mit diesen Vorwürfen schoss CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger schriftlich gegen TV-Moderatorin Anne Will. Die Hauptkritik war: Anne Will sei zu woweristisch gewesen!

Pflüger bezog sich erneut auf die Sendung vom Sonntag (Titel: "Alles auf Rot - warum nicht mit den Linken?"). Er wirft Anne Will "Lobhudelei" auf den Regierenden Klaus Wowereit (SPD) vor. "Die Zahlen, die gemachten Interviews verfolgen ein Propaganda-Ziel: Rot-Rot ist super", kritisierte Pflüger in einem Brief an Anne Will. Pflüger weiter: "Das ist Ideologie und Liebesdienerei. Sie missbrauchen einen privilegierten Sendeplatz und werben für eine politische Richtung." So hat Will in der Talkshow behauptet, Rot-Rot habe 2001 von der grossen Koalition 60 Milliarden Euro Schulden geerbt und Berlin "auf die Erfolgsspur" geführt. "Das sind falsche Fakten", unterstrich Pflüger. "Die Verschuldung Berlins ist von rund 38,5 Milliarden Euro 2001 auf heute rund 61 Milliarden Euro gestiegen." Falsche Fakten? Anne Will wies hierauf alle Vorwürfe "entschieden zurück". Sie habe sich "auf die gesamten finanziellen Altlasten" bezogen und "nicht auf den Schuldenstand am Tag des Regierungswechsels".
Einige Presse Kommentare:
  • Die "Bild.de":
    Böse Entgleisung von Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine: In der ARD-Sendung "Anne Will" griff er Bundeskanzlerin Angela Merkel an, beschimpfte sie als "überzeugte Jungkommunistin". Damit wollte er davon ablenken, dass viele Linkspartei-Politiker früher für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet haben. (...) Und dann greift Lafontaine Bundeskanzlerin Angela Merkel an, sagt zum bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein (CSU): "Und noch etwas - ich will Sie einmal aufklären: Sie haben eine überzeugte Jungkommunistin zur Kanzlerin gewählt. Ist Ihnen das überhaupt klar? Denn Frau Merkel war FDJ-Funktionärin für Propaganda und Agitation. Das konnte nur eine überzeugte Jungkommunistin. Und sie durfte in Moskau studieren. Das waren nur Linientreue. Also: Sie haben doch Integrationsleistungen vollbracht. Seien Sie doch stolz darauf!" Doch da lag Lafontaine falsch: Angela Merkel hat nie in Moskau studiert! Friedbert Pflüger (CDU) forderte hierauf die Absetzung von Anne Will Es wurde beanstandet, dass Anne will nicht eingegegriffen hatte und kritisierte, dass im Einspeilfilm falsche Zhalen präsentiert wurden. Pflüger: "Die Talkshow sollte durch Frank Plasbergs "Hart aber Fair` ersetzt werden. Der hat das Zeug zum harten, aber fairen Fragestellen, da kommt der Journalismus nicht missionarisch-ideologisch daher. Anne Will hat nicht gehalten, was sich viele - auch ich - von ihr versprochen haben." Er wolle sich als Mitglied des Rundfunkrates des rbb Berlin für eine Ablösung von Frau Will einsetzen. Pflüger war aber besonders empört über die Anmoderation von Anne Will ("Dass man mit der Linkspartei erfolgreich Politik machen kann, das weiss der Chef der einzigen rot- roten Koalition in Deutschland, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit") und den darauf folgenden Einspiel-Film. Im Film wurde behauptet, die rot-rote Koalition in Berlin habe 2001 von der Grossen Koalition in Berlin 60 Milliarden Euro Schulden "geerbt" und Berlin ! "auf die Erfolgsspur" geführt. "Die Fakten widerlegen Frau Will", sagt Pflüger: "Die Verschuldung Berlins ist von 38,5 Milliarden Euro im Jahr 2001 auf 61 Milliarden Euro zum heutigen Zeitpunkt angestiegen."
    Man kann es auch anders machen:
    • Reto Brennwald zeigte beispielsweise in der vorletzten Arena Nationalrat Lang die rote Karte, weil er kurz vor der Abstimmung in der ARENA Wahlpropaganda betreiben wollte. Das war angemessen.

    • Am 3. Juni durfte ich dafür im Schweizerfernsehen jüngst erleben, wie die Schweizer Moderatorin Christine Maier in dem ad hoc einberufenen Club (aus aktuellem Anlass) professionell moderierte und alle Klippen der Gesprächsleitung souverän meisterte. Es ging um das brandaktuelle Thema "Spaltung der SVP Schweiz". Es war keine einfache Runde. Es waren auch keine pflegeleichten Teilnehmer. Der Moderatorin gelang es dennoch - mit langer und kurzer Leine - zu demonstrieren, wie erregte Diskutanten moderat und manchmal energisch gebändigt oder diszipliniert werden können. Die erfahrende Moderatorin griff nur dann ein, wenn es notwendig war, setzte sich durch , wenn jemand versuchen wollte, das Szepter zu übernehmen. Ich bin überzeugt, vielen Promi Moderatoren - wie beispielsweise Anne Will - täte es gut, diese Leistung einer Schweizer Profifrau als Lehrstück zu nehmen (Sie müssten nicht einmal Schweizerdeutsch verstehen). Die Diskussionsrunde "Club" hatte einen roten Faden, war dynamisch und hat gewiss auch eine beachtenswerte Einschaltquote.
  • FOCUS-online vom 5. Juni

    Nachspiel im Rundfunkrat! Talkte Will zu einseitig?: Der Kulturstaatsminister im Kanzleramt, Bernd Neumann, sprang damit seinem Berliner Parteifreund Friedbert Pflüger (CDU) bei, der das Thema Anfang der Woche aufgebracht hatte. In der Sendung am vergangenen Sonntag habe es Falschinformationen gegeben, sagte Neumann der "Bild"-Zeitung. "Ich würde mir im Interesse der Zuschauer wirklich wünschen, dass in einer so bekannten und renommierten Sendung die Fakten als Informationsgrundlage der Talkshow stimmen", sagte er.
  • Welt online vom 5. Juni:
    "Die Sendung von Anne Will "Alles auf Rot- warum nicht mit den Linken?" von letztem Sonntag hat nun offenbar aufgrund ihrer falschen Zahlen ein Nachspiel und wird noch diese Woche in den ARD-Gremien diskutiert. Der Kulturstaatsminister im Kanzleramt, Bernd Neumann, kritisiert die falschen Zahlen der Politsendung. Das Problem von Anne Will ist jedoch nicht die Manipulation der Fakten, Einseitigkeit oder eine Lagerkampffrage, sondern eine Frage von persönlicher und politischer Kompetenz."
  • Nachtrag: Welt online vom 8. Juni:
    Anne Will wird sich in ihrer Sendung entschuldigen
    "Nach dem Streit über den korrekten Schuldenstand Berlins will Anne Will ihre ARD-Talkshow heute mit einer Richtigstellung beginnen. "Wenn wir uns in der letzten Sendung missverständlich ausgedrückt haben, stellen wir das selbstverständlich klar", sagte Nina Tesenfitz von der Will Media GmbH und bestätigte Zeitungsberichte vom Samstag. In der Sendung vom 1. Juni hiess es, die rot-rote Koalition habe 2001 vom CDU-geführten Senat 60 Milliarden Euro Schulden geerbt. Da der tatsächliche Schuldenstand damals aber nur 38 Milliarden Euro betrug und erst nach dem Machtwechsel auf 60 Milliarden stieg, hatte der Vorsitzende der Berliner CDU-Fraktion, Friedbert Pflüger, eine Absetzung der Sendung gefordert. Nachdem sich die Anwälte auf eine Richtigstellung geeinigt haben, lässt Pflüger die Forderung fallen: "Wir freuen uns, dass die Falschmeldung korrigiert wird und Frau Will ihr Bedauern zum Ausdruck bringt.""
Eine Zahlenkorrektur. Es wäre eine Lapalie gewesen. Die verzögerte Entschuldigung und das vorerst sture Verhalten Wille's hatte es möglich gemacht, dass die Geschichte zu einem "TV Eclat" oder "Skandal" aufgebauscht werden konnte.
Wills Entschuldigung hatte Konkurenz durch die Euro. Die Medien und das Publikum schaltete um und haben die "Will Geschichte" wieder relativiert. Die 3D Animation der Tore interessierte die Masse natürlich mehr, als eine verspätete Zahlenkorrektur.
Nachtrag vom 9. Juni, 2008:

Anne Will löst den Auftrag, sich zu entschuldigen elegant und raffiniert: Sie berichtigt und entschuldigt sich nicht. Sie bettet sich ins Team ein. Damit ist sie nicht allein für den Fehler verantwortlich. Kaum jemand wird jedoch die Sendung geschaut haben, hat doch parallel Deutschland ein EM Spiel gespielt.


Wo gearbeitet wird, gibt es Fehler. Doch lohnt es sich solche Fehler rasch zu bereinigen. Wills Fehler war, tagelang den Fehler zu bestreiten. Nur dadurch kam es zum Medienwirbel und für die Medien wurde das Ganze zum "Skandal".


Nachtrag vom 16. Juni 2008: FOCUS findet noch einen Fehler

Wenn die Medien sich auf jemand eingeschossen haben, besteht die Gefahr, dass nachträglich weitere Mängel gefunden werden. So bei Anne Will. Nachdem sich die Moderatorin öffentlich für falsche Zahlen entschuldigen musste, fand FOCUS heraus, dass Anne Will die Korrektur eines Hörers, der mehrfach angerufen hatte, ignorierte. Oskar Lafontaine behauptete in der Sendung Merkel habe in Moskau studiert. Doch Angela Merkel studierte in Leipzig und war nur auf einer Austauschreis (als Doktorantin) in Moskau.

Wir gehen davon aus, dass auch diese zweite Unzulänglichkeit ohne Folgen bleiben wird. Wo gearbeitet wird gibt es Fehler. Anderseits wäre Anne Will gut beraten, künftig kritische Stimmen doch zu prüfen, wenngleich die ARD voll und ganz hinter der Moderatorin steht und sogar diese Pannensendung im Internet unterschlägt.




Nachtrag vom 23. Juni

Focus kocht das Süppchen weiter und kann die Geschichte der sog. Fehlleistung der ARD Talkerin Annen Will mit dem Entscheid des Rundfunkrates aufwärmen. Nochmals: Ein Fehler kann immer geschehen. Doch machen die FOCUS Fortsetzungsgeschichten deutlich: Das späte Mea culpa Wills rächte sich. Ich bin überzeugt. Es wäre gewiss schon Gras über die Geschichte gewachsen, wenn sich Anne Will am Anfang nicht so sperrig verhalten hätte. Der Rüffel des Rundfunkrates ist für FOCUS ein weiterer Artikel wert.



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