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www.rhetorik.ch aktuell: (05. Mai, 2008)

Kurt Imhofs Bestandesaufname der CH Politik

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Mich haben in der letzten von Urs Leuthard moderierten Arena die Voten von Kurt Imhof überzeugt. Ich erhielt von ihm die Erlaubnis zur Publikation folgender Gedankenszizzen, die er zur Vorbereitung geschrieben hat:




Schweizer-Politik - eine Bestandesaufnahme

Kurt Imhof

A) Lagerbildung:

Von einem klassischen dreiteiligen politischen Spektrum zu zwei Lagern: Rechtspopulistische Opposition gegen Mitte-Links. Wo zeichnet sich das ab?

1. Konfliktzuspitzung um direkte Demokratie versus Rechtsstaat.
Es geht um die mit der politischen Kultur eng verbindende Geltung von Institutionen: Legitimität der Entscheide der vereinigten Bundesversammlung; Legitimität des Bundesrates und des Bundesgerichts (Kampf gegen Richter: italienische Zustände); Geltung des Diskriminierungsverbots, des Willkürverbots und des Rechtsweges. Bestand der Konkordanz. Abwahldebatte, "Volk" nicht mehr in Regierung, Einbürgerungsinitiative, Ausschaffungsinitiative, Minarettinitiative. Zentrale Infragestellung der bisherigen und bewährten demokratischen Praxis in der Schweiz und aufklärungsliberalen Norm des demokratischen Rechtstaates. Zivilisatorische Errungenschaften der Rechtssicherheit und der Bestandessicherung der Errungenschaften der Verfassung und der internationalen Menschrechtspolitik in Frage. Gefährdet ist hier auch die Internationale Reputation der Schweiz. Bürgerliche, Grüne und Sozialdemokratie in einem Lager SVP im anderen Lager ist antitraditionale Kraft schlechthin. Hohes emotionales Potential auf beiden Seiten: Leserbriefe; Strasse, Initiativen, Stammtisch, Familie.

2. Konfliktzuspitzung bezüglich Europapolitik:
Gegenüberstellung der Freizügigkeit bez. Bulgarien und Rumänien vs. Steuerdebatte gefährdet den Bilateralismus. Bürgerliche, Grüne und Sozialdemokratie in einem Lager SVP im anderen Lager, ist antitraditionale Kraft schlechthin und erst noch Ursache für Bilateralismus. Bilaterale Verträge sind elementarste Verbindung der Schweiz mit der Welt, die Kompetitivität der CH-Wirtschaft in Frage. Ebenfalls hohes emotionales Potential via Druck auf die Schweiz über OECD und Nachbarländer.

B) Entwicklungsdynamik:

Mäandrierende Zuspitzung des Konflikts und der Lagerbildung: Elektoral gut für SVP aber Gefahr der inneren Spaltung sehr hoch; elektoral miserabel für FDP, könnte zerrieben werden, durch stärkere Positionierung besser für SPS und CVP. Richtungsentscheid im Masse der Zuspitzung des Konfliktes zuvor droht der Schweiz aber ein veritabler Kulturkampf um Identitätspolitik. Hinter dem Erfolg der SVP steht ein tiefes Unbehagen in der Kultur und zwar mit guten Gründen:

1. Souveränität der Schweiz als ausgesprochen hoher Wert.
Diese Souveränität ist in der Tat gefährdet: Realer Kontrollverlust der Demokratie: 1. durch die Entlassung der Regiebetriebe des Bundes in den Wettbewerb, insbesondere Verwerfungen in der bewährten Regionalpolitik. 2. die Globalisierung der Wirtschaft, d.h. den Regulierungsverlust über die Volkswirtschaft und die massive Bedeutungszunahme transnationaler politischer Gremien, d.h. die Bedeutung von Entscheiden in Brüssel ohne demokratische Legitimation und realer CH-Beteiligung.

Die CH findet sich gleichsam in einer Situation analog zu den 1830er Jahren im Hinblick auf 1848. Damals gab es ökonomischer Druck und Migrationsdruck durch Entwicklung der Ökonomie über die Bünde hinweg zum Bundesstaat und politischer Emanzipationsdruck für demokratischer Freiheiten und Mitbestimmung: es war eine schwierige Transformationsphase mit offenen Ausgang.

2. Neue Unsicherheit bezüglich Arbeitsplatzsicherheit bis weit in den Mittelstand hinein.
Bonimodell der Banken wahrscheinlich gescheitert; Neuadjustierung der Gehälter in Finanzindustrie; Arbeitsplatzloyalität und -sicherheit seit 90ern massiv gelitten, wahrscheinlich jetzt Rezession und Verschärfung der ökonomischen Situation des Mittelstandes und erst noch Einbusse des Gnomenimages.

Dagegen mit intensiver Resonanz:
  1. Identitätspolitik: Nationale Souveränität, Heimat; Kantone, Gemeinden, Volk d.h. direkte Demokratie gegen Classe politique; Kultur des Misstrauens gegen Richter, Intellektuelle Eliten, Experten
  2. Diffuser aber sehr emotionaler Widerstand gegen Political correctness, d.h. Moralisierungswellen von Links-Grün: Rassismusartikel; Gleichstellungspolitiken, Verbotsgesellschaft, Gutmenschentum in Sozial-, Verkehrs- und Umweltpolitik.

C) Akzeptanzvoraussetzungen der Lager

Akzeptanzvoraussetzungen des Mitte-Links Lagers:
  1. Tatsächlich gefährdete nationale Souveränität, sehr grundsätzliche Probleme einer Neubestimmung der Rolle des Nationalstaats; Identitätspolitik zentraler Faktor auch bei Jugendlichen und bis weit in den Mittelstand hinein (Rekrutenbefragungen, Swissness, Kampf um Rütli, Erfolg der SVP)
  2. Nötig sind deshalb neue Schweizmodelle, die offen sind gegenüber den neuen transnationalen Anforderungen und Verletzlichkeiten und gleichzeitig die demokratische Regulierung der Wirtschaft in Gestalt einer aktiven Regionalpolitik wieder berücksichtigen: PTT, SBB, Swisscom, Elektrizitätsversorgung können nicht nur nach rein marktlichen Kriterien agieren. Zum service public gehört wie bei der SRG/SSR Idee Suisse auch ein Integrationsauftrag.
Akteptanzvoraussetzung im rechtsbürgerlichen Lager:
  1. Demokratie oder Rechtsstaat ist keine Alternative: Beides gehört zwingend zusammen und damit auch die Akzeptanz der grundlegenden Verpflichtungen die Errungenschaften des Völker- und Menschenrechts Hierzu zählt insbesondere die relative "Heiligkeit" der Institutionen und bewährter Elemente der politischen Kultur insbesondere die Konkordanz.
  2. Die Souveränität des Nationalstaates lässt sich nicht auf den Stand des 19. Jahrhunderts zurückdrehen: die Globalisierung der Wirtschaft und die nachwachsende Entgrenzung der Politik sind Faktoren, die moderne Nationalstaaten berücksichtigen müssen. Die Schweiz muss sich einmischen in der Welt um mitsprechen zu können: souveräne Souveränität ist kein Reduit sondern Einmischung und Verhandlung.

D) Politischer Kontext:

Getrübtes Selbstbewusstsein durch Bankenkrise, Vertrauensverlust in bewährte CH-Regionalpolitik (Bellinzona); Ungelöste Sicherheitspolitik; Orientierungslosigkeit des Freisinns, der sich allein stellen möchte aber durch Lagerbildung nicht kann. Keine kohärente politische Programm der SPS und der CVP. Medien, die die Konfliktakzentuierung betreiben und dem Lager der rechtskonservativen weit überdurchschnittliche Beachtung geben, während das andere Lager in sich brüchig ist und wesentlich weniger Resonanz findet.

E) SVP-Credo:

"Volk" wichtiger als Staat oder Nation. Anmassung der Repräsentation des Volkes gegen die "classe politique" und gegen Fremde. Gegen aussen und gegen oben also. Das Volk der SVP ist vorpolitisch, es gibt es jenseits der politischen Auseinandersetzung und es ist seit dem 12.2007 nicht mehr in der Regierung vertreten. Neben "Volk", Familie, Trautes Heim, zentrale Sozialisationsinstanz mit passendem Frauenbild. Vs. Kinderkrippen und früher Einschulung vs. Zentralisierung der Schule. Individuum hat bei der Familie um Rückhalt zu suchen, nicht beim Staat.

Keine Ungleichheit, kein Verständnis von Chancenungleichheit: Dagegen darwinistisches Überleben des Fitten und Hartnäckigen; klassisches Kraft, Leistungs- und Potenzdenken der potestantischen Ethik- Helden sind Unternehmer, Selbständige, Fitte, Kapitalisten. Rechtschaffenheit des Volkes und Kultur des Misstrauens in den politischen Gegner, in die da oben, die classe politique, in die Intellektuellen, Experten, Richter, Eliten, Gutmenschen, Fremden aps potentielle Schmarotzzer (Sozialhilfe wieder mit Sozialkontrolle verbinden). Antizentralisierung; alles im Nahbereich. Wettbewerb des Marktes statt Wettbewerb der Argumente: Gut ist was Erfolg hat. Fehlt: Ungleichheit/Gleichheit; Schichten/Klassen: soziale Frage; Souveränitätsdebatte; Humanität, Menschenrechte.

F) Einbürgerungsinitiative/BV:

Niemand darf diskiminiert werden wegen Herkunft, Rasse, Geschlecht, Religion, Alter, Sprache, soziale Stellung, weltanschaulichen Überzeigungeb. Das Diskriminierungsverbot muss laut Bundesgericht auch bei Einbürgerungen gelten, deshalb sind negative Entscheide begründungsbedürftig. Verstösst gegen die Rechtsweggarantie der UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskirminierung und das recht auf wirksame Beschwerde in der Europäischen Menschenrechtskonvention (jedoch nicht das sogenannte zwingende Völkerrecht).

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