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www.rhetorik.ch aktuell: (17. Apr, 2008)

Eine Erkenntnis aus der Sozialphysik

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Das in diesem Jahr erschienene Sachbuch "Warum die Reichen reicher werden und ihr Nachbar so aussieht wie sie" von Mark Buchanan widmet sich der empirischen Verhaltensforschung. Es geht Fragen nach wie: Wie entstehen Aufstände? Wodurch bildet sich ein Stau auf der Autobahn? Warum schichten sich Gruppen in Ärmere und Reichere? Warum sind Märkte irrational und nicht berechenbar?

Es illustriert die aus der Verhaltensforschung bekannte Tatsache, dass die Verhaltensweisen von Gruppen nicht verstanden werden kann, wenn die individuell beteiligten Menschen isoliert betrachtet werden. Sozialphysik hat das Ziel, physikalischen Gesetze des menschlichen Zusammenlebens zu versehen. Wenn Einzelentscheidungen sich summieren und zu Massenphänomenen werden, entwicklen sich im grösseren Massstab naturgesetzliche Muster, ähnlich wie in der Physik.

Zum zweiten Teil des Buchtitels: Wir können als Individuen zwar überzeugt davon sein, dass ethnisch gemischte Wohnviertel erstrebenswert sind, doch schon der Wunsch nach einer minimalen Präsenz von Nachbarn der eigenen Gruppe führt in kurzer Zeit zum fast vollständigen Verlust der Vielfalt. Und deshalb sieht Ihr Nachbar aus wie Sie.

Auch Kommunikationsberater stellen fest, dass die menschliche Gemeinschaft voller Rätsel ist: Menschen treffen täglich Entscheidungen nach Mustern. Dieses Sortieren des Verhaltens kann durch Psychologie alleine nicht verstanden werden. Es gibt gruppendynamische Regeln und Gesetzmässigkeiten des Verhaltens: im Alltag, beim Wohnen, in der Bildung oder beim Sport. Die Menschen richten sich Gesetzmässigkeit aus: Wir wählen die gleiche Gruppe, bilden unsere Meinungen in Gruppen.

Buchmann vergleicht unser Verhalten mit Gesetzmässigkeiten aus der Physik. Das Phänomene der Segregation von Bevölkerungsgruppen, also die Trennung von Bevölkerungsgruppen aus religiösen, ethnischen oder sozialen Gründen ist analog zu Musterformierungen in der Physik.
Aus dem Kapitel "Das soziale Atom": "Seit dem letzten Jahrhundert zielen viele physikalische Experimente darauf ab, erklären zu können, wie Atome miteinander dem Muster ihrer chemischen Reaktion- entstehen Flüssigkeiten oder Feststoffe, leitende Metalle oder isolierender Gummi, Halbleiter und Supraleiter, Flüssigkristalle oder Magneten. In der modernen Physik kommt es gar nicht so sehr auf die Eigenschaft der Teilchen an, sondern auf ihre Muster und Formen und darauf, wie sie sich organisieren.
Vieles von dem was sich in der sozialen Welt eregnet, ist auch Mustern und den Regeln der Selbstorganisation unterworfen, auch wenn wir dies oft nicht erkennen können.
In der eisigen Tundra Norwegens, auf dem Arcipel Svalard mit seiner Haupinsel Spitzbergen, rund 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt, stösst man auf Gebilde, die wie Überbleibsel einer urzeitlichen Zivilisation anmuten. Auf den mit Steinen überhäuften Untergrund finden sich an manchen Stellen exakt kreisförmige Wälle mit einem Durchmesser von knapp zwei Metern. Diese geometrisch perfekten Gebilde scheinen mit äusserer Sorgfalt und Geduld erschaffen worden zu sein - doch von wem und wozu?
Steinkreise in Kvadehuksletta, Spitzbergen
Wissenschafter haben herausgefunden, dass sich diese Muster durch natürliche, wenn auch nicht offensichtliche Kräfte von selbst entwickelt hat, ganz ohne menschliches Zutun und tieferen Sinn. Die Geophysiker Brad Werner und Merk Kessler konnten schon vor Jahren nachweisen, dass zyklische Gefrier- und Schmelzvorgänge dafür verantwortlich sind. Wir können davon ausgehen, dass es zunächst keine ringförmigen Wälle gab, die Mischung aus Erdreich und Steinen jedoch ungleichmässig war, mancherorts gab es mehr Stein, anderswo weniger. Sinkt nun die Temperatur unter den Gefrierpunkt - was in dieser Gegend sehr häufig passiert-, vereisen die steinigen Steine etwas schneller, weil der eher erdige Untergrund mehr Wasser enthält, weshalb Stellen mit mehr Erdreich langsamer erstarren. Diese geringfügige Abweichung führt zu dem von Geophysikern als Frosthub bezeichneten Phänomen, bei dem die Ausdehnung des gefrierenden Wassers eine natürliche Trennung bewirkt und sich Steine zu Steinen und Erdreich zu Erdreich gesellen."


Diese Analogie des Sortierens überträgt der Autor auch auf unser Verhalten. Menschen sortieren sich ebenfalls nach bestimmten Gesetzmässigkeiten.


Die analogie mit physikalischen Prozessen ist nicht die einzige:
  • In der Soziologie nennt man die individuelle Wünsche Mikromotive und die grössere Gruppenstrukturbildung das "Makroverhalten". Diese Begriffe wurden schon in den 70 er Jahren vom amerikanischen Nobelpreisträger Thomas Schelling eingeführt. In dieser Hinsicht gibts im Buch von Buchanan viel Aufwärmung wohlbekannter Ideen.
  • In der Mathematik werden einfache Prozesse mit Zellulaeren Automaten untersucht. Beim einfachsten Modell aendert sich jede Zelle in einem Zeitschritt in den populästen Zustand in der Umgebung. Das führt zur Segregation.
  • In der Biologie hat man das Erscheinen von grösseren Farbstrukturen wie zum Beispiel von Schmetterlingen durch lokale Gesetze erklärt. Die Segretation von Farben kann durch lokale Regeln generiert werden.
    Strukturbildung auf dem Fell von Tieren
Zum Autor: Mark Buchanan ist Wissenschaftsjournalist und Autor der Bücher "Das Sandkorn, das die Erde zum Beben bringt" und "Small Worlds". Nach der Promotion in theoretischer Physik war er für die Zeitschriften Nature und New Scientist tätig. Aus dieser Zeit resultieren Kontakte zu bedeutenden Wissenschaftlern. Buchanan lebt in der Normandie.

Zum Buch: Buchanan, Mark: Warum die Reichen reicher werden und Ihr Nachbar so aussieht wie Sie. Neue Erkenntnisse aus der Sozialphysik. Aus dem Englischen von Birgit Schöbitz. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 2008.

Links: Pressestimmen:
  • Neues Deutschland, Die Magie des Kollektivs "Ein ebenso provokantes wie anregendes Buch."
  • Wirtschaftswoche Einfache Muster "Kenntnisreich, aktuell und interessant."
  • Der Physiker Werner Fuchs schreibt in einer Amazon Rezension:
    "Mark Buchanan geht von der These aus, dass sich auch in komplexen Systemen Muster bilden, die wir erkennen und steuern können. Weshalb Buchanan sich mit dem Begriff Muster nicht zufrieden gab und die Atome ins Spiel brachte, weiss ich nicht. Ich finde die Analogie zu diesem Bauteil der Physik nicht zwingend und oft sogar verwirrend. Will ich das Verständnis für Muster im sozialen Zusammenleben der Menschen fördern, würde es genügen auf ähnliche Muster in der so genannten unbelebten Welt hinzuweisen. Und wo Mark Buchanan dies macht, gewinnen seine Ausführungen sofort an Klarheit. Wieso passt sich der Mensch an und nach welchen Gesetzmässigkeiten? Warum zählt Nachahmung zu den Erfolgsrezepten der Evolution und was sind ihre Auslöser? Wann kooperieren wir und welches Umfeld ist für ein solches Verhalten von Nutzen? Sind vereinende und trennende Kräfte von der gleiche Natur? Und was hindert uns Menschen eigentlich daran, von der Vorstellung Abschied zu nehmen, wir seien einzigartige Sondermodelle und daher Naturgesetzen weniger unterworfen? Auf all diese Fragen gibt Mark Buchanan spannende Antworten. Bedauerlich ist nur, dass er kein grosser Didaktiker ist und seinem Hang zum munteren Geschichtenerzähler allzu sehr frönt."

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