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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Feb, 2008)

Couchepins Erfolgsrezept: Relativieren

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift Persönlich (www.persoenlich.com), dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft im Februar, 2008 erschienen. Der Abdruck hier ist mit Genehmigung von "Persoenlich" erfolgt.

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Im Jahre 2008 erhielt Pascal Couchepin bereits zum zweiten Mal das Amt des Bundespräsidenten. Er ist wie Christoph Blocher ein Vollblutpolitiker und unbestritten das Alphatier im Bundesrat. Dass es zwischen ihm und Blocher, sowie der Bundesratskollegin Micheline Calmy-Rey verschiedentlich zu Spannungen kam, war offensichtlich. Obschon Couchepin recht fragwürdige und zu Teil so gar beleidigend formuliert, gelingt es dem allzu selbstsicherem, stark von sich eingenommenem Walliser stets, sich durchzusetzen. In die Enge getrieben, relativiert er meist seine Aussagen. Nachfolgend sind einige typischen Antworten aus verschiedenen Interviews, die um den Jahreswechsel herum gemacht worden sind.

1. Sequenz:

In einem Interview mit dem zukünftigen Bundespräsidenten im Tagesanzeiger. Pascal Couchepin befragten Daniel Foppa und Philipp Mäder in Bern.


Tagi: Wie halten Sie es mit der Religion?
Couchepin: Ich bin gläubig.
Tagi: Sie sind also praktizierender Katholik?
Couchepin: Das ist meine Angelegenheit.
Tagi: Der Vatikan will die Schweizer Katholiken wieder auf Kurs bringen: So bei der Beichte oder der Laienpredigt. Macht das Sinn?
Couchepin: Ich bin tief davon überzeugt, dass die Kirche zwar die Gemeinschaft der Gläubigen ist, diese aber eine gewisse Freiheit haben sollten. Ich respektiere, was die Kirche sagt. Aber ich behalte meine Freiheit.
Tagi: Das tönt eher kritisch gegenüber Rom.
Couchepin: Als ich noch im Gymnasium war, hat mir ein Domherr gesagt: Der grösste Beweis dafür, dass das Christentum richtig ist, liegt darin, dass die Kirche es auch in zweitausend Jahren nicht töten konnte.
Tagi: Was ist mit dem Gleichstellungsgesetz? Sollte das für die Kirche auch gelten?
Couchepin: Das ist etwas Anderes. Man kann nicht verlangen, dass Männer Kinder gebären. Es gibt nun mal Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Tagi: Frankreich trennt Kirche und Staat konsequent. Wäre das in der Schweiz sinnvoll?
Couchepin: Das kann jeder Kanton machen wie er will. In Genf und Neuenburg gibt es diese Trennung. Der Bundesstaat soll Respekt für die Kirchen haben, diese aber nicht aktiv unterstützen. Die streng laizistische Haltung wie in Frankreich ist aber eine Illusion. Und zudem falsch.
Tagi: Sie stören sich nicht an Kreuzen in Schulzimmern?
Couchepin: Nein.
Tagi: Und an Kopftüchern bei Lehrerinnen?
Couchepin: Auch nicht. Aber ich finde es schade. Denn das Kopftuch ist ein Zeichen dafür, dass sich jemand selbst ausschliesst.
Tagi: Gibt es auch Grenzen der Toleranz - etwa wenn ein muslimisches Mädchen nicht zum Schwimmunterricht darf?
Couchepin: Als ich in Martigny mit einem solchen Fall konfrontiert war, sagte ich: Das arme Mädchen hat sicher einen Schnupfen. Damit war sie vom Schwimmen dispensiert.
Tagi: Ist das nicht falsch verstandene Toleranz?
Couchepin: Ist diese Frage wirklich so entscheidend, dass man ein Mädchen zum Schwimmen zwingen soll? Man muss eine pragmatische Lösung finden.
Tagi: Seit der Abwahl von Bundesrat Blocher ist mit der SVP die grösste Partei der Schweiz in der Opposition. Wie gehen Sie als Bundespräsident damit um?
Couchepin: Im Moment stelle ich fest, dass diese selbsternannte Oppositionspartei als erste politische Tat ihre Gesundheitsinitiative zu Gunsten eines im Parlament beschlossenen Kompromisses zurückzieht. Das nenne ich eine ziemlich konstruktive Opposition.
Tagi: Sind Sie der richtige Mann, um die Gräben zwischen den Anhängern der SVP und den übrigen Schweizern zuzuschütten? Immerhin haben Sie mit Ihrem Vergleich zwischen Herrn Blocher und dem Duce selbst Position bezogen.
Couchepin: Ich habe den Duce und Herrn Blocher nicht direkt verglichen. Ich habe gesagt: Wenn alles von einer Person abhängen würde, wären wir im System des Duce.
Tagi: Man macht Ihnen den Vorwurf, Sie würden Westschweizer fördern, indem Sie ihnen wichtige Posten Ihres Departements geben.
Couchepin: Was ist falsch daran?
Tagi: Das sieht nach Kumpanei aus.
Couchepin: Ich bevorzuge die Westschweizer nicht. Aber ich vernachlässige sie auch nicht. Denn die Minderheiten sind in der Bundesverwaltung untervertreten.


Analyse erster Teil

Couchepin bestätigt, seine Gläubigkeit, doch beantwortet er die Frage nicht, ob er praktizierender Katholik sei. Ich finde es richtig, solche persönliche Fragen nicht zu beantworten. So, wie Intimes nicht offen gelegt werden muss, sollte man alle persönlichen Fragen einfach stehen lassen. Weil Pascal Couchepin dem Kirchenvolk gewisse Freiheiten zugesteht, schliesst der Journalist, der Politiker habe eine kritische Haltung der katholischen Kirche gegenüber. Couchepin relativiert seine Meinung spontan mit dem Zitat eines Domherrn.

Der Gleichstellungsfrage begegnet Couchepin mit dem Spruch, man könne nicht verlangen, dass Männer Kinder gebären. Eindeutige Positionen versteht Couchepin zu umschiffen, indem er die liberale Karte zieht. Jeder kann machen, was er will: Bei der Trennung von Kirche und Staat wie auch beim Tolerieren von Kreuzen oder Kopftüchern. Erstaunlich, wie es Couchepin gelingt, mit einer sonderbaren Argumentation das Fernbleiben vom Schwimmunterricht zu entschuldigen. Seine allwettertaugliche Antwort - man müsse pragmatische Lösungen finden - wird von den Journalisten akzeptiert. In einem Kommentar (Sonntagsblick 6. Jan.08) geht Frank A Meyer auch auf zwei Sätze Couchepins in einem Interview ein: #Ist diese Frage wirklich so entscheidend, dass man ein Mädchen zum Schwimmen zwingen soll?" und der Satz: #Das Kopftuch ist ein Zeichen, dass sich jemand selbst ausschliesst". Frank A Meyer begründet, weshalb diese Sätze auf dem Kopf stehen und umgedreht werden müssen. Denn: Nicht die Schule zwingt die Mädchen zum Schwimmunterricht, sondern die muslemischen Väter zwingen die Töchter zum Verzicht. Auch nicht die Frauen schliessen sich durch das Kopftuch von der Gesellschaft aus. Es sind die muslemischen Männer, die ihre Frauen von der Gesellschaft ausschliessen. Dieser Hinweis macht deutlich: Couchepins Versuch, Sachverhalte zu relativieren können Sachverhalte verzerren.

Couchepin behauptet, er habe Blocher nur indirekt mit dem Duce verglichen. Recherchen zeigen jedoch: Im September 07 sagte Couchepin laut 10 vor 10: "Wenn die Wiederwahl nicht stattfindet (Aussage bezieht sich unmissverständlich auf die SVP und die Wahl Blochers), dann gäbe es eine Reihe von Katastrophen. Dies erinnert an den Faschismus. Wenn der Duce fehlt, geht alles unter." Damit hat Couchepin nicht nur indirekt sondern eindeutig Blocher gemeint! Heute relativiert Couchepin auch bei dieser Behauptung seine alte Aussage.

Bereits im Interview vom 3. Oktober 2004 in der "NZZ am Sonntag" wurde Couchepin gefragt: "Wollen Sie sagen, dass Blocher - indem er das Volk emporstilisiert und mythisiert - die Demokratie gefährdet?" Couchepin: "Ja, ich glaube, dass Christoph Blochers Haltung gefährlich ist für unsere Demokratie." In diesem Fall hatte Couchepin die Frage eindeutig beantwortet. Nachträglich versuchte er dennoch, solch klare Aussagen zu relativieren und abzuschwächen.

Auf den Vorwurf, als Bundesrat habe er bei Stellenausschreibungen die Westschweizer bevorzugt, bezeichnet er die einseitige Auswahl nicht als Bevorzugung, sondern als selbstverständlichen Ausgleich, hervorgerufen durch die #Untervertretung" der Welschen. Quotendenken hat somit für ihn nichts mit Bevorzugung zu tun, obschon es ein willkürlicher Auswahlakt (eine Bevorzugung) ist. Wiederum punktet Couchepin mit seiner Relativierungstaktik.

2. Sequenz

Die folgenden Antworten stammen aus der "Samstagrundschau" vom 29.12.2007 im DRS1. Pascal Couchepin wird von Urs Siegrist befragt.


Journalist: Haben Sie nach der Abwahl von Blocher Angst vor Blockaden - beispielsweise im Blick auf die Personenfreizügigkeit? Oder.. (Journalist wird von Couchepin unterbrochen)
Couchepin: Es wird wahrscheinlich eine Konfrontation geben -äh - beim Personenverkehr. Aber, ich bin überzeugt: wir werden in der Lage sein, die Leute zu überzeugen, dass unser Wohlstand der letzten Jahre ist das Resultat dieses freien Personenverkehrs. Es ist nicht - wie man oft gesagt hat - wegen des Scheiterns des EWR- dass wir so einen grossen Wohlstand gehabt haben. Es ist wegen der bilateralen Verträge. Es ist wegen etwas Positivem, dass wir mit dem Europa gestimmt haben und nicht weil wir eine Absage gegeben haben. Es ist wegen eines positiven Entscheides des Volkes.
Journalist: Würden Sie auch sagen. Als Sie letztes Mal Bundespräsident wurden, ging es der Schweiz viel schlechter. Das Wachstum war gedämpfter. Ist es der Personenfreizügigkeit zu verdanken, dass es der Schweiz wirtschaftlich wieder viel besser geht?
Couchepin: Teilweise natürlich. Die Öffnung der Grenzen hat etwas gebracht- auch einige Probleme gebracht. Aber, warum haben wir weniger Spannungen auf dem Arbeitsmarkt? Warum waren wir in der Lage mehr zu produzieren? Warum waren wir in der Lage unsere Wirtschaftzweige zu verbessern? Es gab Wettbewerb, Öffnung der Grenzen und es gab die Möglichkeit im Ausland Arbeitkräfte zu finden, die man vielleicht in der Schweiz nicht finden könnte. Es bringt uns auch einige Probleme, das werde ich nicht vergessen. Auch grosse Probleme. Insgesamt ist die Bilanz sehr positiv und niemand wird dies ernst bestreiten.
Journalist: Herr Couchepin, Sie sind ein markanter Politiker... Als habe es der Befragte geahnt, dass nun einige heiklen Punkte zur Sprache kommen könnten, fährt der Bundesrat sofort dem Journalisten über den Mund. Einige Sekunden reden beide gleichzeitig, dann setzt sich der Bundesrates durch:
Couchepin: Ich weiss nicht, ob dies ist eine Beerdigungsrede, weil,... (Dann wehrt sich der Journalist und beide reden beide wild durcheinander - Unverständlicher Wortsalat)...
Couchepin: Bosheit? (ist zu hören)
Journalist: Nein, nein - nicht Bosheit.... Sie fallen als Politiker immer wieder auf - mit Ihren Vorschlägen. Ich nenne Rentenalter 67. Ich nenne Frühpensionierung- oder höhere Krankenkassenprämien für Senioren...
Couchepin: (Interveniert hartnäckig) Nein, das habe ich nicht vorgeschlagen
Journalist: O.k.
Couchepin: Ich bin dagegen.
Journalist: Streichen wir das- Beide reden gleichzeitig (Aussagen wiederum völlig unverständlich) ...
Couchepin: Ich habe gesagt, in den nächsten 10 Jahren werden wir ein Finanzierungsproblem für die AHV haben. Unter den Möglichkeiten gibt es die Möglichkeit, das Rentenalter um ein Jahr im Jahre 2015 zu erhöhen und um zusätzlich ein Jahr im Jahre 2025. Das ist rational.
Journalist: Was ich eigentlich fragen wollte, ob die Schweiz ein Land ist, wo es schwierig ist solche Ideen zu platzieren?
Couchepin: Ja natürlich. Ich kann das verstehen. Wenn man den Leuten sagt, dass sie früher die gleiche Rente haben, dann würden sie ja sagen. Doch die schweizerischen Bürger wissen, dass es etwas kostet und sie wollen wissen, wie man das bezahlt. Es ist ganz einfach: Während der letzten Jahre hat man 1% mehr Mehrwertsteuer für ie AHV gehabt. Man hat andere Erhöhungen gehabt. Man hat Geld von der Nationalbank in die AHV gebracht. Und schlussendlich gibt es eine gesunde AHV Situation - wegen dieser Massnahmen. Das Verhältnis der Rentner und Aktiven wird sich verschlechtern, wegen der Demographie. Dann wird es noch schwieriger, um die AHV zu finanzieren. Dann müssen wir neue Lösungen finden.


Analyse 2. Teil:

Erst verdankt die Schweiz nach Couchepin ihren Wohlstand den bilateralen Verhandlungen und vor allem dem freien Personenverkehr. Auf die Nachfrage des Journalisten relativiert der Interviewte seine These, der Erfolg sei nur teilweise diesem Umstand zu verdanken. Der Vorwurf, Couchepin sei auf einem Auge blind, wird entkräftet. Als der Journalist die unpopulären Vorschläge ansprechen will, irritiert ihn Couchepin. Durch die penetrante Unterbrechungstaktik, dann durch das Korrigieren einer Aussage, welche der Journalist zu wenig genau recherchiert hatte. Der wird dadurch in die Defensive gedrängt. Die Zuhörer beziehen Couchepins #Nein" eher auf die Krankenkassenprämien. Doch zeigt es sich, ihm geht es um die AHV. Er relativiert die vorgeschlagene Rentenerhöhung indem er die Verschiebung des Renteneintrittes aufteilt. Die Zuhörer haben das Gefühl, Couchepin wolle das Rentenalter gar nicht erhöhen. Er setzt sich immer wieder mit seinem forschen aggressiven Eingreifen durch. Erstaunlicherweise führt dieses offensive Verhalten - verbunden mit einer geschickten Relativierung der früheren Aussagen - zum Erfolg. In einem Interview in SONNTAG vom 30. Dez. beantwortet Couchepin den Journalisten Patrick Müller und Florence Vuchard Frage nach der Erhöhung des Rentenalters eindeutig: "Wegen der demographischen Entwicklung werden wir nicht darum herum kommen", und gibt den möglichen Zeithorizont der Erhöhung bekannt: #Die erste Erhöhung - um ein Jahr- vielleicht 2015 und die zweite im Jahre 2025. Das werden dann meine Nachfolger entscheiden." Obschon Pascal Couchepin hart austeilten kann, versteht er es immer wieder, den Geschlagenen die Hand zur Versöhnung anzubieten, wie beispielsweise in der jüngsten Neujahrsansprache. Obschon es Couchepin war, der Blocher und die SVP massiv angegriffen hatte (er schade der Demokratie/ Ducevergleich) bemühte er in der Neujahrsansprache - nachdem Blocher geschlagen war - die Metapher der Kappeler Milchsuppe als Symbol zur Versöhnung. Couchepin fand, nun sollten sich alle wieder friedlich vereint um den Kessel setzen. Ein gutes mediengerechtes Bild, das überall zitiert wurde, das Couchepin als Sieger- nicht hätte vermitteln dürfen. Doch stellen wir fest: Couchepin kann sich sehr viel leisten. Er übersteht alle Tiefs nahezu unbeschadet.

Erkenntnis Couchepin ist ein Politiker mit langjähriger Erfahrung, mit allen Wassern gewaschen und einer rhetorischen Begabung, die sich hören lassen kann. Sein Amt als Bundespräsident erfordert aber nicht nur seine politische Schläue, Redekunst und Durchsetzungsvermögen, sondern darüber hinaus die Fähigkeit, sich über das politische Gezänk der Parteien zu erheben und, quasi als Ueber-Mediator, die verschiedenen Interessen seiner Bundesratskollegen auszugleichen und sie unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte unter einen Hut zu bringen. Seine Beherrschung des rhetorischen Relativierens kann ihm dabei gute Dienste leisten. Hervorheben möchte ich noch, dass Aussagen zu relativieren nur bedeutet, der wörtlichen Aussage andere Zusammenhänge zu geben, nicht aber sie in ihrem Kern zu verändern.



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