Ob ein Bundespräsident seine Rede schreiben lässt oder ob
er sich selbst verfasst, ist nicht relevant. Wichtig ist, dass er sich
voll und ganz mit der Botschaft identifiziert. In der Regel werden diese
Reden so verfasst, dass sie zeitlos sind. Eine Neujahrsansprache muss
immer adressatengerecht formuliert werden. Denn sie wird in allen Medien
besprochen oder übertragen. Dies ist für
jeden Bundespräsidenten immer eine Chance, bei der Bevölkerung
Vertrauen zu wecken. Er kann gleichzeitig die Öffentlichkeit für
aktuelle Probleme sensibilisieren. Dieses Jahr war Pascale Couchpin
zu hören.
Nehmen Sie sich nun zwei Minuten Zeit und lesen Sie folgende Passagen
aus seiner Neujahrsrede durch. Ich stelle Ihnen nachher eine Frage:
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Sehr verehrte Damen und Herren
Im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat und in meinem
eigenen Namen wünsche ich Ihnen zuallererst ganz einfach ein
gutes Jahr!
Warum wünschen wir uns eigentlich Gutes zum neuen Jahr? Sicher nicht
weil wir glauben, Wünsche könnten die Wirklichkeit ändern
und auf magische Weise Nöte und Zweifel beseitigen und eitel Freude
und Wohlbefinden auslösen.
Nein, mit unseren Wünschen drücken wir Freundschaft und
Sympathie aus. Wir wollen unseren Freunden und Lieben sagen, dass
wir ihr Leid oder ihren Kummer mittragen wollen und dass Erfolg und
Glück der einen keineswegs die Chancen der andern mindern - ganz im
Gegenteil. Kurz, mit unseren Wünschen sagen wir: "Ich mag dich gut,
und ich möchte, dass es dir gut geht."
Mein erster konkreter Wunsch ist deshalb, dass heute viele Wünsche
ausgetauscht werden, dass niemand sich einsam fühlt und alle sich
fragen, wie sie mitten in der kalten Jahreszeit etwas mehr Wärme
verbreiten können.
Unser Land muss wieder Vertrauen finden, Vertrauen in sich selbst,
und es muss seinen Institutionen und all denen vertrauen können,
die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen. Ich
mache diesen Aufruf nicht aus dem naiven Glauben heraus, es sei alles
einfach und löse sich auf wundersame Weise von selbst ...
Mein zweiter Wunsch ist, dass wir uns zum Handeln und für die Zukunft
entscheiden. Wer in den letzten Jahren das öffentliche Leben in
Europa und besonders in der Schweiz verfolgt hat, stellt eines fest: Es
ist viel leichter zu kritisieren als zu tragfähigen Lösungen
für die Probleme unserer Zeit beizutragen. Auch in der Schweiz ist
diese Tendenz offensichtlich. Die direkte Demokratie gibt aber jeder
Bürgerin und jedem Bürger das Recht, konkret zu entscheiden. In
unserem Land ist es gar nicht möglich, sich nicht für die
Politik zu interessieren!
...
In unserem Land werden berechtigte Eigeninteressen im Allgemeinen mit
einer gewissen Zurückhaltung geäussert. Dadurch erhält jede
und jeder Raum, die persönlichen Zukunftsprojekte zu verwirklichen
und teilzuhaben am gemeinsamen Wohlstand.
Heute aber ist das Gleichgewicht in wichtigen Bereichen gestört. Mit
dem enormen Tempo, in dem sich Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und
Wertvorstellungen verändert haben, ist vieles, dessen wir uns sicher
glaubten, ins Wanken geraten.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich bekräftige Ihnen
persönlich und im Namen des Bundesrates und der Behörden
unseres Landes: Wir glauben an die Schweiz, wir haben Vertrauen in ihre
Institutionen und in ihre Fähigkeit, sich den neuen Herausforderungen
zu stellen. Aber ohne Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
wird nichts gelingen. Wir brauchen Ihre Entscheide, und wir brauchen
Ihr Engagement in der Familie, im Beruf und in der Politik.
Zum Schluss wünsche ich nur, dass dieses Engagement für jede
und jeden eine Quelle der persönlichen Zufriedenheit wird und wir
uns am Ende des Jahres sagen können: "Wir haben nicht alle Probleme
unseres Landes gelöst, aber wir haben Fortschritte gemacht in einem
demokratischen Geist, im gegenseitigen Respekt, in der Offenheit für
die Bedürfnisse der andern und im Wohlwollen füreinander."
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Soweit die Passagen aus der Neujahrsrede. Was haben Sie festgestellt?
Ich weiss nicht wie viele Zeilen Sie gelesen haben, bis Ihnen bewusst
wurde, dass es sich nicht um die aktuelle Rede handelt, sondern um
die Neujahrsansprache Couchepins als er im Jahre 2003 erstmals als
Bundespräsident zum Schweizervolk sprach.
Wenn Sie nicht gemerkt haben, dass es die alte Rede war, so ist
dies verständlich. Sie würden zu den Normalbürgern
zählen. Da die meisten Aussagen zeitlos sind, könnte so eine
Rede jedes Jahr gehalten werden (Die meisten Politikerreden basieren
bewusst auf Plausibilitätsgedanken, die immer und überall
passend sind). Neujahrsansprachen sind deshalb in der Regel zeitlos.
Mir wurde dieses Phänomen im Jahre 86 erstmals so richtig
bewusst, als im deutschen Fernsehen Kohls Neujahrsansprache des
Vorjahres (versehentlich?) ausgestrahlt wurde. Die wenigsten der
Zuhörer hatten es damals auf Anhieb gemerkt. Kohl protestierte
zwar nachträglich. Er glaubte an eine übles Spiel, das bewusst
inszeniert worden sei, um ihm zu schaden.
Kappeler Milchsuppe
Falls Sie dieses Jahr Couchepins aktuelle Neujahrsansprache
mitangehört haben, so ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass er
erstmals konkret wurde und ein aktuelles Bild eingebaut hatte, das in
den meisten Medien zitiert wurde. Das Bild der "Kappeler Milchsuppe".
Das Bild wurde deshalb beachtet, weil es auf die Abwahl Blocher anspielt:
"Die Schweiz war schon immer ein Land in Bewegung, im Wandel. Die
Veränderungen, welche die letzte Legislatur und insbesondere
deren Endphase gebracht haben, sind - geschichtlich betrachtet - keine
ausserordentliche Erscheinung."
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Couchepin erinnerte damit an die halb historische und halb legendäre
Kappeler Milchsuppe von 1529. Während der Religionskriege hätten
sich die Soldaten der beiden verfeindeten Heere rund um einen grossen
Suppenkessel verbrüdert und ihre Befehlshaber gezwungen, im
gemeinsamen Interesse aller Frieden zu schliessen.
Couchepin hat mit diesem Bild der Versöhnung ein aktuelles
Thema angesprochen, das seiner Neujahransprache zu mehr Beachtung verhalf
als die üblichen Plausibilitätsformulierungen, die nie haften
bleiben. Ob wir die Haltung Couchepins teilen oder nicht. Das Bild der
"Kappeler Milchspuppe" bleibt jedoch im Langzeitgedächtnis verankert.
Eine Bemerkung zum Bild der Versöhnung nach der Blocherabwahl:
Für mich ist bei diesem Appell der Bundespräsident
unglaubwürdig, wenn er nun nach der unwürdigen Abwahl die
geschlagenen Gegner wohlwollend an den Suppentopf bittet, selbst aber
gegenüber Blocher recht unfair verhalten hatte. Denken wir
an seine persönlichen Angriffe gegen den Rivalen Blocher (Blocher
schade der Demokratie - Blocher verglich er sogar eindeutig mit Duce).
So oder so. Couchepin hat immerhin rhetorisch etwas gelernt bei
seiner jüngsten Neujahrsansprache: Er hat eine Kernbotschaft
mit einem Bild gekoppelt. Damit hat er gepunktet. Im zeiten Teil hat er einige
zeitlose Plausibiltätsformulierungen eingebaut:
"Das Nebeneinander von Fortbestand und Veränderung ist etwas
Selbstverständliches!"
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"Es gibt historische Momente, in denen Fortbestand und Veränderung
unmittelbar erfahrbar und erlebbar sind." Dies beweise, dass die Schweiz,
ihre Institutionen und ihre politische Kultur lebendig seien.
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"Wir müssen darauf achten, dass wir den nachfolgenden Generationen
ein solides Staatswesen übergeben, finanziell gesund und fähig,
langfristig das zu halten, was es im sozialen Bereich und im Bereich
der Bildung versprochen hat"
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Wer nachhaltig reden will, muss konkret werden und eine Kernaussage mit
einem Bild koppeln.
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Tips von "Komma-net - Newsletter":
- Würzen Sie Ihre Ansprache mit einer Prise Humor.
- Bauen Sie in Ihre Neujahrsrede Anekdotisches ein.
- Wecken Sie mit Ihrer Neujahrsrede Begeisterung.
- Beginnen Sie mit dem Dank an Ihre Mitarbeiter.
- Beurteilen Sie das vergangene Jahres mit Augenmass und Fairness.
- Sprechen Sie konkret über die Planung für das neue Jahr.
- Fordern Sie auch in Ihrer Neujahrsrede nichts Halbherziges.
- Konkretisieren Sie das, was Ihrer Meinung nach das Beste ist.
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