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www.rhetorik.ch aktuell: (02. Jan, 2008)

Couchepins Neujahrsansprache

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Ob ein Bundespräsident seine Rede schreiben lässt oder ob er sich selbst verfasst, ist nicht relevant. Wichtig ist, dass er sich voll und ganz mit der Botschaft identifiziert. In der Regel werden diese Reden so verfasst, dass sie zeitlos sind. Eine Neujahrsansprache muss immer adressatengerecht formuliert werden. Denn sie wird in allen Medien besprochen oder übertragen. Dies ist für jeden Bundespräsidenten immer eine Chance, bei der Bevölkerung Vertrauen zu wecken. Er kann gleichzeitig die Öffentlichkeit für aktuelle Probleme sensibilisieren. Dieses Jahr war Pascale Couchpin zu hören.

Nehmen Sie sich nun zwei Minuten Zeit und lesen Sie folgende Passagen aus seiner Neujahrsrede durch. Ich stelle Ihnen nachher eine Frage:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Sehr verehrte Damen und Herren

Im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat und in meinem eigenen Namen wünsche ich Ihnen zuallererst ganz einfach ein gutes Jahr!

Warum wünschen wir uns eigentlich Gutes zum neuen Jahr? Sicher nicht weil wir glauben, Wünsche könnten die Wirklichkeit ändern und auf magische Weise Nöte und Zweifel beseitigen und eitel Freude und Wohlbefinden auslösen.

Nein, mit unseren Wünschen drücken wir Freundschaft und Sympathie aus. Wir wollen unseren Freunden und Lieben sagen, dass wir ihr Leid oder ihren Kummer mittragen wollen und dass Erfolg und Glück der einen keineswegs die Chancen der andern mindern - ganz im Gegenteil. Kurz, mit unseren Wünschen sagen wir: "Ich mag dich gut, und ich möchte, dass es dir gut geht."

Mein erster konkreter Wunsch ist deshalb, dass heute viele Wünsche ausgetauscht werden, dass niemand sich einsam fühlt und alle sich fragen, wie sie mitten in der kalten Jahreszeit etwas mehr Wärme verbreiten können.

Unser Land muss wieder Vertrauen finden, Vertrauen in sich selbst, und es muss seinen Institutionen und all denen vertrauen können, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen. Ich mache diesen Aufruf nicht aus dem naiven Glauben heraus, es sei alles einfach und löse sich auf wundersame Weise von selbst ...

Mein zweiter Wunsch ist, dass wir uns zum Handeln und für die Zukunft entscheiden. Wer in den letzten Jahren das öffentliche Leben in Europa und besonders in der Schweiz verfolgt hat, stellt eines fest: Es ist viel leichter zu kritisieren als zu tragfähigen Lösungen für die Probleme unserer Zeit beizutragen. Auch in der Schweiz ist diese Tendenz offensichtlich. Die direkte Demokratie gibt aber jeder Bürgerin und jedem Bürger das Recht, konkret zu entscheiden. In unserem Land ist es gar nicht möglich, sich nicht für die Politik zu interessieren!

... In unserem Land werden berechtigte Eigeninteressen im Allgemeinen mit einer gewissen Zurückhaltung geäussert. Dadurch erhält jede und jeder Raum, die persönlichen Zukunftsprojekte zu verwirklichen und teilzuhaben am gemeinsamen Wohlstand.

Heute aber ist das Gleichgewicht in wichtigen Bereichen gestört. Mit dem enormen Tempo, in dem sich Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Wertvorstellungen verändert haben, ist vieles, dessen wir uns sicher glaubten, ins Wanken geraten.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich bekräftige Ihnen persönlich und im Namen des Bundesrates und der Behörden unseres Landes: Wir glauben an die Schweiz, wir haben Vertrauen in ihre Institutionen und in ihre Fähigkeit, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Aber ohne Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wird nichts gelingen. Wir brauchen Ihre Entscheide, und wir brauchen Ihr Engagement in der Familie, im Beruf und in der Politik.

Zum Schluss wünsche ich nur, dass dieses Engagement für jede und jeden eine Quelle der persönlichen Zufriedenheit wird und wir uns am Ende des Jahres sagen können: "Wir haben nicht alle Probleme unseres Landes gelöst, aber wir haben Fortschritte gemacht in einem demokratischen Geist, im gegenseitigen Respekt, in der Offenheit für die Bedürfnisse der andern und im Wohlwollen füreinander."


Soweit die Passagen aus der Neujahrsrede. Was haben Sie festgestellt? Ich weiss nicht wie viele Zeilen Sie gelesen haben, bis Ihnen bewusst wurde, dass es sich nicht um die aktuelle Rede handelt, sondern um die Neujahrsansprache Couchepins als er im Jahre 2003 erstmals als Bundespräsident zum Schweizervolk sprach.

Wenn Sie nicht gemerkt haben, dass es die alte Rede war, so ist dies verständlich. Sie würden zu den Normalbürgern zählen. Da die meisten Aussagen zeitlos sind, könnte so eine Rede jedes Jahr gehalten werden (Die meisten Politikerreden basieren bewusst auf Plausibilitätsgedanken, die immer und überall passend sind). Neujahrsansprachen sind deshalb in der Regel zeitlos.

Mir wurde dieses Phänomen im Jahre 86 erstmals so richtig bewusst, als im deutschen Fernsehen Kohls Neujahrsansprache des Vorjahres (versehentlich?) ausgestrahlt wurde. Die wenigsten der Zuhörer hatten es damals auf Anhieb gemerkt. Kohl protestierte zwar nachträglich. Er glaubte an eine übles Spiel, das bewusst inszeniert worden sei, um ihm zu schaden.

Kappeler Milchsuppe

Falls Sie dieses Jahr Couchepins aktuelle Neujahrsansprache mitangehört haben, so ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass er erstmals konkret wurde und ein aktuelles Bild eingebaut hatte, das in den meisten Medien zitiert wurde. Das Bild der "Kappeler Milchsuppe". Das Bild wurde deshalb beachtet, weil es auf die Abwahl Blocher anspielt:

"Die Schweiz war schon immer ein Land in Bewegung, im Wandel. Die Veränderungen, welche die letzte Legislatur und insbesondere deren Endphase gebracht haben, sind - geschichtlich betrachtet - keine ausserordentliche Erscheinung."


Couchepin erinnerte damit an die halb historische und halb legendäre Kappeler Milchsuppe von 1529. Während der Religionskriege hätten sich die Soldaten der beiden verfeindeten Heere rund um einen grossen Suppenkessel verbrüdert und ihre Befehlshaber gezwungen, im gemeinsamen Interesse aller Frieden zu schliessen.

Couchepin hat mit diesem Bild der Versöhnung ein aktuelles Thema angesprochen, das seiner Neujahransprache zu mehr Beachtung verhalf als die üblichen Plausibilitätsformulierungen, die nie haften bleiben. Ob wir die Haltung Couchepins teilen oder nicht. Das Bild der "Kappeler Milchspuppe" bleibt jedoch im Langzeitgedächtnis verankert.

Eine Bemerkung zum Bild der Versöhnung nach der Blocherabwahl: Für mich ist bei diesem Appell der Bundespräsident unglaubwürdig, wenn er nun nach der unwürdigen Abwahl die geschlagenen Gegner wohlwollend an den Suppentopf bittet, selbst aber gegenüber Blocher recht unfair verhalten hatte. Denken wir an seine persönlichen Angriffe gegen den Rivalen Blocher (Blocher schade der Demokratie - Blocher verglich er sogar eindeutig mit Duce). So oder so. Couchepin hat immerhin rhetorisch etwas gelernt bei seiner jüngsten Neujahrsansprache: Er hat eine Kernbotschaft mit einem Bild gekoppelt. Damit hat er gepunktet. Im zeiten Teil hat er einige zeitlose Plausibiltätsformulierungen eingebaut:

"Das Nebeneinander von Fortbestand und Veränderung ist etwas Selbstverständliches!"


"Es gibt historische Momente, in denen Fortbestand und Veränderung unmittelbar erfahrbar und erlebbar sind." Dies beweise, dass die Schweiz, ihre Institutionen und ihre politische Kultur lebendig seien.


"Wir müssen darauf achten, dass wir den nachfolgenden Generationen ein solides Staatswesen übergeben, finanziell gesund und fähig, langfristig das zu halten, was es im sozialen Bereich und im Bereich der Bildung versprochen hat"




Wer nachhaltig reden will, muss konkret werden und eine Kernaussage mit einem Bild koppeln.


Tips von "Komma-net - Newsletter":

  • Würzen Sie Ihre Ansprache mit einer Prise Humor.
  • Bauen Sie in Ihre Neujahrsrede Anekdotisches ein.
  • Wecken Sie mit Ihrer Neujahrsrede Begeisterung.
  • Beginnen Sie mit dem Dank an Ihre Mitarbeiter.
  • Beurteilen Sie das vergangene Jahres mit Augenmass und Fairness.
  • Sprechen Sie konkret über die Planung für das neue Jahr.
  • Fordern Sie auch in Ihrer Neujahrsrede nichts Halbherziges.
  • Konkretisieren Sie das, was Ihrer Meinung nach das Beste ist.



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