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www.rhetorik.ch aktuell: (27. Okt, 2007)

Anne Will weiss, was sie will

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:


Schaffhauser Nachrichten vom 27. Oktober, 2007, Online link [PDF]
In der ersten Sendung ging es in der Medien "Will- Kür" um die Themen: Arbeit, Würde und Mindestlohn.

Anne Will stellte ihre Vorgängerin Sabine Christiansen in den Schatten. Sie verzichtete auf einstudierte Gesten, wie beispielsweise die ewige Halbbrillenfummelei der Vorgängerin. Sabine Christiansens Polit-Show war so konzipiert, dass eine Runde mit Promis alte Themen aufwärmte. Anne Will liess sofort erkennen, dass sie kein williges Werkzeug der Berliner Politindustrie sein möchte. Das Konzept der Sendung ist einfach: Die Politik mit der Realität konfrontieren. Als erster Gast kam in der zweiten Reihe eine Mitarbeiterin eines Callcenters zu Wort, die Ihre Situation mit einem "Billiglohn" detailliert schildern konnte.

Gefallen hat mir vor allem Wills Fragetechnik. Christiansens neigte in ihrer Talksendung vielfach zu Frageketten. Ein Fehler, der leider im Unterricht oder beim Moderieren vielfach anzutreffen ist.

Was mir später - in der zweiten Sendung - ebenfalls positiv aufgefallen ist:

Als Anne Will einem Teilnehmer eine eindeutige Frage gestellt hatte, riss eine andere Person der Gesprächsrunde das Wort an sich. In dieser Situation bewies Anne Will Führungsstärke: Freundlich aber bestimmt lenkte (führte) sie: Ich habe die Frage Herrn XY gestellt!. Die Moderatorin setzte sich freundlich durch. Die Beurteilung eines Kritikers, Will pflege "einen Schmusekurs", trifft sicherlich nicht zu. Anne Will nutzt das Harvard Prinzip indem sie das Gegenüber wertschätzt, aber in der Sache hart bleibt und nachfragt, wenn ausgewichen wird. Viele Journalisten glauben, sie müssten sich vor allem mit unfairer Dialektik profilieren (Unterbrechen, destabilsieren, irritieren usw.). Sie verstehen es nicht, das Gegenüber zum Reden zu bringen. Sei reden am meisten selbst, hören sich gern oder möchten beweisen, dass sie viel wissen (z.B. bei Frank A. Meyer)

Trotz einiger kleinen Versprecher (jedoch ohne grosse Patzer) kann Will mit den ersten Sendungen zufrieden sein. Ferner stellten wir fest: Anne Will moderiert eindeutig ruhiger als Christiansen, ohne das hektische Geschnatter der Vorgängerin.

Die neue Talkerin sitzt oft mit schräg gelegtem Kopf da, mit dem Blick von unten und liefert immmer wieder Kostproben ihres berühmt kritischen Fragestils.

Moderatorin Maybrit Illner sagte (Quelle SPIEGEL ONLINE): "Anne Will hat die Sendung genutzt, um einen Dauerbrenner zu diskutieren. Das ist einerseits leicht, andererseits schwer. Sie hat das handwerklich sauber gemacht. Und wir freuen uns auf die nächste Sendung." Auch Talk-Kollege Jörg Thadeusz, der sich die "Anne Will"-Show live im Studio anschaute, lobte Wills journalistische Leistung. "Frau Will wirkte auf mich entspannt, gut vorbereitet und in jeder Beziehung überzeugend. Ihre Fragen waren präzise, ihre Moderation ausgesprochen wendig", sagte er in SPIEGEL ONLINE. Problematisch fand der Moderator indes den Umgang mit einer Diplom-Bauingenieurin aus Bautzen, die in einem Callcenter arbeitet - für fünf Euro pro Stunde. Nachdem Will ihren Gast am Anfang der Sendung kurz interviewt hatte, sass die Frau 55 Minuten unbetreut auf dem Sofa (Ein plumper Fehler der Regie?)

Erwartungsgemäss begeistert zeigte sich die Programmdirektion der an der Produktion beteiligten Sender: Die Resonanz übertreffe seine Erwartungen, lobte ARD-Programmchef Günter Struve. "Sie kam, sah und siegte", frohlockte Volker Herres, NDR-Programmdirektor Fernsehen, "sie war überaus präsent, hat über die ganze Sendung hinweg den richtigen Ton getroffen."

Externe Detailschilderungen

Geschminkt war sie perfekt, hatte ich in einem Blog gelesen - kein Fältchen, keine Augenringe, das lange dunkle Haar umschmeichelt ihr Gesicht. Wenn ihr nur die zwölfköpfige Redaktion so perfekt wie die "Maske" zugearbeitet hätte! Als sie ihrem prominentesten Gast, SPD-Chef Kurt Beck, vorhält, er, der beharrlich gesetzliche Mindestlöhne fordert, sei noch vor einem Jahr dagegen gewesen, kontert dieser: "Stimmt nicht! Weiss nicht, wer hat Ihnen das gesagt?" Da kommt Will plötzlich ins Schwimmen, ihr Lächeln wirkt erstmals etwas verlegen. Eine Antwort bleibt sie in diese Fall schuldig. Das Studio ist neu und gewöhnungsbedürftig, liegt nicht mehr wie bei der Christiansen im Zentrum Berlins, sondern am Rande der Stadt, in Adlershof, mit einem Team am Sendetag von fast 100 Leuten! Was für ein Aufwand! Der weitläufige Raum ist in goldgelbem Ton gehalten, hat die Ausstrahlung einer Upperclass-Hotellobby. Diese Bemerkungen zähle ich zu den Feedbacks mit Gehalt, sie sind somit erwähnenswert. Fazit: Anne Will darf aufatmen. Sie hat den Start mit Bravour geschafft. Über 18 Prozent Marktanteil- Und zwar bereits erste Mal! Das darf sich sehen lassen. 5,04 Millionen Zuschauer hatten eingeschaltet! Bei Sabine Christiansens letzter Sendung Ende Juni - verfolgten nur 3,98 Millionen Zuschauer die Sendung. Bei Auftritten heisst es: Die Vorbereitung ist die halbe Miete. Bei der Beurteilung von neuen Sendegefässen könnte man es so formulieren: Die erste Kritik - der erste Eindruck - ist bereits der halbe Erfolg. Anne Will kann somit vom Goodwill des Publikums und der Kritiker zehren. Das erste positive Echo ist für sie der halbe Erfolg. Matthias Ackeret erlebte beispielsweise das Gegenteil bei der Kritik nach der ersten Ausstrahlung des Blocher TV im Internet und an Lokalfernsehstationen. Wenngleich er in den Nachfolgesendungen beweisen könnte, dass sein Interviewstil journalistisch korrekt ist (in seiner bekannten fairen Colombomanier) - professionell wie wir ihn kennen), bräuchte es für ihn dennoch viel mehr Aufwand, um dieses erste negative Echo zu korrigieren. Das will heissen: Anne Wills Kür am Sonntagabend kann sich nun Patzer leisten. Bis die Stimmung bei den Kritikern umschlägt, braucht es nun recht viel.

Zu den Folgesendungen:

Die nächsten Sendungen kamen auch gut an. Bei der Sendung am 6. Oktober (Chaostage bei der Bahn) griff Anne Will vermehrt auch inhaltlich ein. Ueber Strecken hatte ich den Eindruck, dass sie das Heu nicht auf der gleichen Bühne hat, wie der Chef der Deutschen Bahn hat. Einer guten Moderatorin dürfte man so etwas nicht anmerken. Was mir nach dieser Sendung auffiel. Anne Will ist zwar eine gute Zuhörerin, sie schaut die Redner an. Doch neigt sie immer mehr dazu, die Christiansen Manier zu übernehmen, die Gedanken zu schnell und zu fahrlässig zu formulieren. Beim genauen Beobachten kann festgestellt werden, dass es an der Kieferarbeit liegt. Wenn wir die Zähne während des Sprechens betrachten, so bleiben sie während des Artikulierens eng zusammen. Das behindert den Luftstrom. Anne Will müsste darauf bedacht sein, diesen Mangel auszumerzen, sonst festigt sich dieses Verhalten. Es wäre schade, wenn sich Anne Will innert weniger Jahre ein undeutliches Schnellsprechen angewöhnen würde.

Bei der Sendung vom 14. Oktober beobachtete ich Anne Will zum dritten Mal. Dabei stellte ich fest, dass die Moderatorin die festgestellten Schwachstellen der letzten Sendung noch nicht korrigiert hatte, Verschiedene Ungereimtheiten störten mich. Noch nie unterbrach Anne Will die Gesprächspartner so penetrant wie an diesem Abend. Dann fielen mir die Missbilligungskundgebungen (nonverbal) auf, wenn ihr eine Antwort nicht passte. Es unterliefen ihr noch weiterer gravierender Moderationsfehler: Sie beurteilte gewisse Antworten. Zudem wurde an diesem Abend deutlich, dass sie phasenweise die unangenehme Schnellsprechmarotte Christiansens übernahm. Ansonsten führte Anne Will die Gespräche überzeugend und gut. Sie fasste im richtigen Augenblick zusammen und hielt sich an den roten Faden.


Nachtrag vom 18. November: Anne Will outete sich

Quelle: Tagesanzeiger online Anne Will bestätigte "Bild am Sonntag", dass sie eine Liebesbeziehung mit ihrer Freundin Miriam Meckel verbindet. Das Paar erschien zur Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz an Altbundeskanzler Helmut Kohl und den Historiker Fritz Stern im Jüdischen Museum in Berlin. Beim Posieren mit ihrer Begleiterin vor den Fotografen bestätigte Will:

"Ja, wir sind ein Paar." Lächelnd habe sie hinzugefügt: "Aber wir möchten unser Privatleben privat halten."


Die 40-jährige Miriam Meckel hat ebenso wie Will eine Talkshow im Fernsehen; sie moderiert beim Privatsender n-tv.

Seit 2005 leitet sie das Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Schweizer Universität St. Gallen.

NDR-Programmdirektor Volker Herres erklärte in einer Pressemitteilung: "Mit wem Anne Will ihr Leben teilt, ist ganz und gar ihre Privatsache. Uns interessiert nur, wie sie ihren Job macht, und den macht sie grandios."

Kommentar: Wenn es Anne Will fertig bringt, Privatheit und Öffentlichkeit klar zu trennen, so wie sie es angekündigt hat, würde dies uns auch freuen.




Nachtrag vom 20. November 2007: Outing mit Folgen

Anne Will hätte sich bewusst sein müssen, welche mediale Lawine sie mit ihrem offizellen Outing lostreten wird. Nachträglich wäre es vielleicht besser gewesen, dieses Bekenntnis nicht vor den Medien offiziell abzulegen. Ich hätte Anne Will geraten, nie zu lügen, aber keine offizielle Bekenntiszeremonie zu veranstalten. BILD nahm die Geschichte am 19. November gerne auf die Frontseite und das prominente Lesben-Duo wurde noch zusätzlich in der Zeitung
  • Die Partnerin, Prof. Dr. Miriam Merkel, wurde ausführlich vorgestellt (Inzwischen sind alle Seiten Merkels im Internet eliminiert, bei denen man antworten oder Fragen stellen konnte)
  • alle Promis wurden auf der Innenseite abgelichtet, die eine Frauenbeziehung haben
  • Eine Sexualpädagogin beleuchtete zudem die Frauenliebe.




Die "Bild" Zeitung vom 20. November doppelt nach:

Nach dem Liebes-Outing von Anne Will und Miriam Meckel fordern nun die Lesben einen Anne-Will-Feiertag. Zitat BILD: Deutschlands Lesben jubeln! Die Freude über Wills Sensations-Outing ist so gross, dass der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) jetzt sogar einen offiziellen Lesben-Feiertag fordert. Denn noch immer haben die meisten von geschätzt zwei Millionen lesbischen Frauen in Deutschland Angst, sich zu outen. Sie schweigen, leben ihre Sehnsüchte im Verborgenen aus aus Furcht vor Diskriminierung, dem Druck der Gesellschaft. In den Internetforen überschlagen sich die lesbischen Will-Verehrerinnen vor Begeisterung: Und wie fühlt sich das prominente Pärchen nach dem Liebes-Outing? BILD erreichte Miriam Meckel gestern auf dem Handy in der Schweiz. Sie flog von Berlin nach Zürich, fuhr nachmittags mit dem Zug weiter nach St. Gallen, wo sie als Universitätsdirektorin an einer Verwaltungssitzung teilnahm. Ich möchte jetzt nicht über Gefühle sprechen, sagte sie freundlich, aber bestimmt. Es hat einen Grund, dass wir unser Privatleben auch privat halten wollen. Das Thema ist erledigt und das ist auch gut so. Denn jetzt ist diese wunderbare Frauenliebe endlich nicht mehr geheim.


Kommentar: Ich bin mir nicht sicher ab das Frauen Liebespaar mit diesem Medienecho gerechnet hat. Sicherlich war es nicht die Absicht der beiden Medien und Kommunikationsprofifrauen. Anne glaubt die Sache sei erledigt. Wir zweifeln daran. Oder- ob sie diese Geschichte bewusst so inszeniert hatten? Denn beide Frauen sind nicht naiv und kennen die Mechanismen der Boulevardmedien.




Nachtrag vom 23. November 2007:

Das Outing führt auch zu Humor.


Nachtrag vom 25. November 2007: Medienecho in der Sonntagszeitung

Das Medienecho war nicht nur in der Klatschpresse enorm. Überall wurde das Outing der beiden Profifrauen thematisiert. Hier zum Beispiel in der "SonntagsZeitung".



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