Rhetorik.ch | Knill+Knill Kommunikationsberatung |
Knill.com |
---|
Aktuell Artikel | Artikel Inhaltsverzeichnis | Suche in Rhetorik.ch: |
Rhetorik.ch Artikel zum Thema: |
Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift
Persönlich (www.persoenlich.com),
dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft
im Mai, 2007 erschienen. Der Abdruck hier ist mit Genehmigung von
"Persoenlich" erfolgt. PDF version (zum Ausdrucken), |
|
Regine Aeppli
|
Tagelang machte eine Zürcher Schulklasse mit ihrem chaotischen
Verhalten Schlagzeilen. Primarschüler im Zürcher
Friesenberg-Quartier haben in zweieinhalb Jahren sechs Lehrer
aufgerieben. Es gab unter den Jugendlichen Wetten, wie lange es die
neue Lehrkraft schaffe, die Terrorklasse zu betreuen. Die Schüler
verweigerten Hausaufgaben und eine aktive Teilnahme am Unterricht. Sie
schwatzten, wann und so laut es ihnen passte. Anordnungen wurden nicht
befolgt. Leistungsbereite Schüler wurden als Streber verhöhnt,
beschimpft und teilweise gar bedroht. Die Klasse im Schulhaus Borrweg soll
schon seit Herbst 2004 völlig aus dem Ruder gelaufen sein. Von den
22 Schülern stammen 17 vom Balkan und angrenzenden Ländern. Das
Dilemma soll schon in der 4. Klasse begonnen haben. Patrik Wülser befragte in der Samstagsrundschau (DRS1) vom 7. April die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli zu dieser aktuellen Krise. Seit Tagen kam es in den Medien zu zahlreichen Schlagzeilen. Nicht nur im Kanton Zürich in der ganzen Schweiz wurden Themen, wie ausgebrannte Lehrer, Disziplinlosigkeit, Vergewaltigungen, Schulhäuser als Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen, Integrationsprobleme, überforderte Eltern, überforderte Lehrer diskutiert. Probleme, die eine Erziehungsdirektorin im Grunde genommen beschäftigen müssten. |
1. Sequenz: Wülser: Man konnte lesen, dass dies kein Einzelfall sei. Lehrerinnen und Lehrer werden täglich im Schulzimmer bedroht. Frau Aeppli, wir sitzen hier im Radiostudio Lugano. Sie machen hier im Tessin Ferien. Hat Ihnen die Woche in Zürich so zugesetzt? Aeppli: Nein ich habe jetzt gerade zwei Monate Wahlkampf hinter mir und habe mich die ganze Zeit gefreut auf den Osteraufenthalt im Tessin und bin dann auch am Donnerstagabend angereist und geniesse das schöne warme Wetter ganz abgesehen davon, dass ich ja nicht wirklich so jetzt direkt beteiligt war an diesem Schulkonflikt. Wülser: Aber Sie sind immerhin die Zürcher Bildungsdirektorin! Aber hat Ihnen schon zu denken gegeben, als Sie das gehört hatten, was in dieser Schule abgeht? Aeppli: Ich äh- selbstverständlich und ich habe auch mit meinem äh - Kollegen, dem Schulvorstand der Stadt Zürich mit Herrn Lauber darüber geredet, um zu wissen, was ist wie - weil ich nicht alles, was in der Zeitung steht, muss man immer nur 1:1 äh glauben und habe mich ins Bild setzten lassen und habe gewusst, was abgegangen ist und habe auch Position bezogen. Wülser: Also ich schliesse daraus, dass Sie erst letzte Woche erfahren haben, was in diesem Schulhaus passiert ist? Aeppli: So ist das. Ich habe am Montagmorgen bin ich noch im Kantonsrat gewesen und habe dort die Zeitung gelesen und dann fragten natürlich schon die ersten Medien, was ich denn dazu sage und ich habe gesagt, vorderhand kann ich nur etwas sagen zu dem, was ich in der Zeitung gelesen habe und habe mich aber darüber sofort darüber informiert in der Stadt. Wülser: Und Sie sind überrascht gewesen, dass so etwas vorkommen kann? Aeppli: Aeh ja ich bin schon- e überrascht und auch wie soll ich sagen ein wenig - - für e enttäuscht - oder oder- äh- schockiert gewesen, dass man ein Problem so lange hat anstehen lassen dass doch mehrere Lehrpersonen die es nicht geschafft hatten mit dieser Klasse dann das Weite gesucht hatten und ich glaube, man das Problem zu lange hat anstehen lassen. |
Analyse dieser ersten Sequenz: Wenn eine Bildungsdirektorin bei so einer gravierenden Krise in einem Schulhaus tut, als habe sie diese brennende Krisensituation im eigenen Ressort gar nicht so richtig beschäftigt, muss dies zu denken geben. Priorität hatte für die Regierungsrätin angeblich vor allem der Wahlkampf. Krisenkommunikation ist und bleibt aber Chefsache. Eine Erziehungsdirektorin muss eigene Botschaften zu dieser aktuellen Situation platzieren können - sofern sie eine hat. In dieser Krisensituation erwartet die Bevölkerung Antworten auf die Frage: Was wird in unseren Schulen getan, um solche Pannen zu vermeiden? In der ersten Antwort stehen bei der Bildungsdirektorin ihre Ferien und das warme Wetter im Vordergrund. Am Schluss der ersten Antwort hören wir die erste Weichspülformulierung: Ja nicht wirklich so jetzt - direkt beteiligt. Wir fragen uns: Ist die Erziehungsdirektorin wirklich oder doch nicht so wirklich beteiligt? Direkt oder nur indirekt? In einer Krise erwarten wir von ihr - auch im Tessin - eine konkrete Antwort vor allem am Anfang. Wir erwarten ein Wort des Bedauerns zu einer Geschichte, welche die ganze Bevölkerung schockiert hat. Die zweite Antwort ist erneut ein typischer Aeppli Bandwurmsatz. Die Bildungsdirektorin versteht es seit Jahren, Gedankenfetzen an Gedanken zu ketten. Meist sind sie durch und und und und gekoppelt. Gravierend ist es, wenn eine Chefin in einer krisenähnlichen Situation zu Zeitungsberichten etwas sagt, bevor sie diese verifiziert hat, zumal sie selbst Zeitungsberichten nicht so traut. Diesen Kapitalfehler der Krisenkommunikation dürfte eine Politikerin nachträglich nicht auch noch an die grosse Glocke hängen. Jeder Führungsperson hat sich zuerst zu informieren, bevor sie zu Mutmassungen oder Medienberichten Stellung bezieht. Die dritte Antwort ist rhetorisch noch schlechter: Der Sprechfluss stockt. Störende Satzbrüche dominieren. Unbestimmte, abschwächende Formulierungen beeinträchtigen die Ueberzeugungskraft. Ein wenig enttäuscht schockiert - oder was? Wir vermuten: Die Regierungsrätin hat wohl für ihr Botschaftenmanagement und für die vorhersehbaren Fragen weder während der Wahlkampftage weder in Zürich noch im sonnigen Tessin Zeit investiert. Die Antworten wirken zu improvisiert. Keine Antwort überzeugt. Weshalb derart gestelzte Formulierung, wie Die Lehrpersonen haben das Weite gesucht (Und das noch in Mundart)? Eine Bildungsdirektorin sollte es nicht nötig haben, sich mit einer elaborierten Sprache einen Ruf von Kompetenz zu schaffen . Für uns sind Experten, die einfach und verständlich reden, kompetent. |
2. Sequenz: Die Erziehungsdirektorin könnte sich des Vorwurfs, es gebe in der heutigen Schule zu viele Zusatzprobleme, mit folgendem einleuchtenden Argument erwehren: Es ist Fakt, dass es heute in Schulklassen 60-70 % Kinder aus anderen Kulturen gibt, dass viele Ehen geschieden sind, dass die Frauen meist auswärts arbeiten. Dennoch manöverierte sie sich Aeppli beim Elternproblem in ein Dilemma. Sie vertrat kurz vorher die Meinung, die Eltern wären es, die in erster Linie für die Kinder verantwortlich sind und sie müssten die Hausaufgaben kontrollieren und ihre Kinder während der Schulzeit begleiten. Als ob der Journalist gemerkt hätte, dass beide Aussagen nicht unter einen Hut gebracht werden können, gab er zu bedenken: Somit gibt es doch ein Elternproblem! Wülser: Mir ist aufgefallen bei den Jugendlichen. Die meisten sagen: Unsere Eltern haben keine Ahnung, was wir in der Freizeit machen. Aeppli: (atmet hörbar durch) Ja das ähm das äh find ich - äh ein wenig traurig, auch schade, wenn die Eltern keine Ahnung haben, was ihre Kinder machen in der Freizeit dann dann lässt dies auf einen Mangel von von Gespräch und Dialog und Interesse aneinander hindeuten und es ist auch schade für die Eltern, wenn sie sich nicht interessieren. Auf der andern Seite muss man sagen, Jugendliche oder Junge äh Sie sind jetzt ja gerade an der Grenze zur, zum Uebergang vom Kind zum Jugendlichen. Die, die wollen ja auch ein wenig ihre freien Bereiche haben und wollen nicht jeden Morgen bis zum Schulhaus hingefahren werden und nachher vom Schulhaus wieder abgeholt werden. Sondern man sagt auch erzieherisch und pädagogisch sei ein gewisser Freiraum für das Kind ganz wichtig. ...........(später) Wülser: Aber Lehrer sind oft ganz allein. Sie werden von den Eltern nicht unterstützt. Heute solidarisieren sich Eltern oft mit dem Kind gegen die Lehrer und untergraben zusätzlich die Autorität. Aeppli: Ja das möchte ich nicht ganz bestreiten. Ich habe das sogar auch selber erlebt in der Schule meiner Kinder, dass dass dass die Lehrer (Die Regierungsrätin hatte wohl die Eltern gemeint?) sich ein wenig äh - zusammengeschlossen haben um um um gegen Lehr - Lehrerinnen aufzutreten- und das finde ich äusserst problematisch und das finde ich, das sollte echt nicht passieren und wir haben in der Volksschulverordnung auch vorgesehen, was in solch solchen Fällen äh - greifen soll also das Gespräch vom Lehrer mit den Eltern und nicht irgendwie anonyme Briefe, welche die Eltern gegen die Lehrer schreiben. Es muss das Gespräch gesucht werden und und ich denke: Wenn die Eltern sollen, dass es den Schülern gut geht müssen sie den Lehrer oder die Lehrerin unterstützen, was sie macht in der Schule. Wülser: Sie haben gesagt, das Lehrerbild habe sich geändert. Heute ist der Beruf nicht mehr sehr attraktiv. Aeppli: ---(atmet tief durch) - Also ich muss einfach sagen ich meine also ich muss einfach etwas sagen: Etwas äh - muss an diesem Beruf doch sein. Wir stellen an der Pädagogischen Hochschule fest. Die Studierendenzahlen nehmen immer zu. Es hat offenbar viele, welche diesen Beruf wollen- sich auch ausbilden dazu- eine gute Ausbildung bekommen und nachher auf dem Beruf arbeiten. Also einfach ganz so schlecht kann es nicht stehen. Und und äh--- Das zweite ist ----Au -jetzt habe ich gerade den Faden verloren. Was ist ihre Frage gewesen? Können sie es mir nochmals sagen? Wülser: Unsere Zeit ist schon so weit, dass ich noch einen Schritt weiterkommen möchte. |
Analyse der zweiten Sequenz: Bei diesen Sequenzen scheint Wülser die Bildungsdirektorin auf dem linken Fuss erwischt zu haben. Antworten, konkrete Botschaften fehlen, die Politikerin greift nach Worthülsen, sie schwimmt. Wortverdoppelungen häufen sich. Sie findet keinen rettenden Stohhalm mehr. Die übliche Airbagrhetorik mit sonst so hilfreichem Plausibilitätsgerede hilft der Politikerin auch nicht weiter. Im zweiten Teil will sie ein Argumentationsgebäude aufbauen und muss eingestehen, dass sie den roten Faden verloren hat. Doch konnte sie ihn gar nie verlieren. Den roten Faden kann nur eine Person verlieren, die einen solchen Faden gehabt hat - aber dies muss bei der Erziehungsdirektorin bezweifelt werden. Wiederum endlose Flickgedanken mit den vielen und. Die Sätze werden selten abgeschlossen. Die rhythmischen Akzente stören. Wir konnten aus Platzgründen das vollständige Transkript des Interviews nicht publizieren. Doch lohnt es sich, dieses negative Musterbeispiel im Archiv ganz anzuhören. Die Bildungsdirektorin versucht im Interview die Horrorklasse als einmaligen Sonderfall hinzustellen. Als jedoch Patrik Wülser nachweisen konnte, dass selbst der Oberlehrer der Schweiz gesagt hatte, viele Lehrkräfte müssten heute sogar mit Morddrohungen rechnen und Experten wie Lehrpersonen bestätigen, dass durch die Geschichte im Schulhaus Borrweg kantonsweit Schulproblem unter den Nägeln brennen, wie Gewalt, Disziplinlosigkeit (Jeder vierte Lehrer klagt darüber), mangelnde Unterstützung der Eltern, zu viele Schulversuche, zu viele Bezugspersonen, zu viele Reformprojekte (Zeit für Beziehungsarbeit fehlt), versuchte sich die Politikerin den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem sie sagte: Es ist von Terror und Horrorklasse die Rede gewesen in den Schlagzeilen diese Woche. Es wurden keine Morddrohungen ausgesprochen. Es ist von Mobbing, von Respektlosigkeit und Frechheit die Rede. Und ich denke: Dies gehört schon zum Schulalltag. In diesem Fall ist es höchstens ein Drohen, das Lernklima stören. Obschon die Bildungsdirektorin diese peinliche Aussage nachher zu korrigieren versuchte und sagte, sie wolle damit die Vorfälle nicht verharmlosen, hat sie dies mit diesem Gedanken doch getan, solche Szenen gehören zum Schulalltag. Es ist höchstens... In den Medien gilt: Gesagt ist gesagt. Geschrieben ist geschrieben. Gesendet ist gesendet. Selbst wenn es die Regierungsrätin nicht so gemeint hätte, es wurde eindeutig gesagt, dass zum heutigen Unterricht Frechheit und Respektlosigkeit gehören. Dies dürfte eine Erziehungsdirektorin nicht einfach so hinnehmen und als gegeben dulden. |
Erkenntnis:
Immer wieder durfte ich in meinen Analysen im PERSOENLICH Politiker
und Führungskräfte loben, die es gut verstanden hatten, ihre
Antworten auf den Punkt zu bringen. Leider ist dies bei Regine Aeppli
in diesem Radio-Interview gar nicht der Fall. Ich bedaure es, dass bei
der Bildungsdirektorin keine Verbesserung festzustellen war. Ich hoffte,
die Politikerin hätte aus den bisherigen Pannen gelernt.
In allen bisherigen Analysen stellten hatte sich nämlich
Regierungsrätin Aeppli bei öffentlichen Auftritten selten an
die vorgegebenen Themen gehalten und sprach zu vage und zu langfädig.
(Siehe Aktuell artikel
Zur Rhetorik einer Bildunsdirektorin). In Lehrerweiterbildungskursen wurde für mich folgende Passage ein Lehrbeispiel, wie es nicht gemacht werden darf. In der Sendung "Sternstunde Philosophie" (SF) vom 13. Februar 05 diskutierte die Zürcher Erziehungsdirektorin Regine Aeppli mit dem Rektor der Pädagogischen Hochschule Zug Carl Bossard über das Thema "Begeistert lernen". |
Fazit:
Wenn es bei einer Institution Probleme gibt oder sich eine Krise anbahnt,
so darf die Führung den Mangel nie kleinreden, schönreden,
schweigen oder ausweichen. Aepplis Aussagen:
|
Nachtrag vom 3. Juni, 2007: Eine Leserin, die meine Analyse
im Persönlich Artikel gelobt hatte, vertrat noch die Meinung:
Damit bestätigt sich einmal mehr, dass medienrhetorische Schulung leider oft so aufgefasst wird, wie es die Leserin erfahren hat. Diese Vorstellungen ist verbreitet. Ich habe deshalb der Leserin geantwortet:
Übrigens: Um was es mir beim Hinweis auf eine medienrhetorischen Schulung der Bildungsdirektorin ging: Es lohnt sich bei der Suche - genau zu prüfen, wie ein derartiges Coaching durchgeführt wird. An fachgerechten Angeboten mangelt es wahrlich nicht. |
Rhetorik.ch | 1998-2019 © K-K Kommunikationsberatung | Knill.com |
---|