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www.rhetorik.ch aktuell: (29. Mar, 2007)

Stockers Botschaftenmanagement

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:


Über die Sozialvorsteherin der Stadt Zürich Monika Stocker gelangten über Wochen Berichte an die Öffentlichkeit. Stocker stand im Rampenlicht wegen angeblichem Missbrauch von Sozialhilfe. Die grüne Stadträtin bewies erneut eine erstaunliche Resistenz in dieser Krisensituation. Sie verstand es, sich nicht nur durch kommunikatives und medienrhetorisches Geschick gut zu behaupten. Dank ihres konsequenten Botschaftenmanagements scheint sie nun gegen die zahlreichen Vorwürfe immunisiert zu sein. Viele sehen heute die Sozialvorsteherin als Opfer einer bewussten Kampagne. Andere fragen sich, ob man in der Zürich doch nicht all zu leicht von Sozialhilfegeldern leben kann und damit für die Bezüger kein Anreiz mehr besteht, selbst etwas gegen vorhandene Probleme vorzunehmen.

Nachfolgend greifen wir ein paar signifikante Sequenzen aus verschiedenen Artikeln Medien heraus, um zu veranschaulichen, wie sie ihre Botschaften konsequent wiederholt und es ihr meist gut gelang, die Anfechtungen schadlos zu überstehen.
In der Samstagrundschau vom 17. März 07 im DRS mit Patrik Wülser wiederholte Monika Stocker eine Palette von Kernbotschaften:

  • Wir betreuen eine riesige Anzahl von Fällen. Der Missbrauch liegt in der üblichen Norm von Missbräuchen. Zürich hat nur 4%, wie überall.
  • Wir halten uns stets an die gesetzlichen Richtlinien.
  • Wir müssen immer helfen, wenn sie jemand nötig hat. Wer in Zürich lebt, hat ein Anrecht auf Hilfe und ein menschenwürdiges Leben. Wir wollen keine Leute, die auf der Strasse vegetieren. Zürich kann und muss sich diese Kosten leisten.
  • Wenn uns jemand belügt, so ist dies nicht unserer Schuld. - Wir schauen nie zurück. Wir helfen immer vor Ort, wenn Hilfe Not tut. Wir müssen den Bedürftigen sofort unter die Arme greifen, wenn Kinder da sind. Es geht dann nicht um die Vergangenheit.
  • Sozialfälle dürfen nicht unangemeldet kontrolliert werden. Wir kontrollieren uns selbst. Die Kontrolle funktioniert.
  • Wir haben alle Missbräuche stets selbst aufgedeckt. (Dies wurde später widerlegt).
  • Man muss aber berücksichtigen: Unsere Arbeit erfolgt im Stillen. Sie basiert auf Vertrauen. Wir diskutieren die Fälle nie in der Öffentlichkeit. Unsere Arbeit erfolgt im Hintergrund.
  • Wenn jemand unsere vertraulichen Akten veröffentlicht, muss ich eingreifen
  • Die Angriffe auf das Sozialamt sind eine gezielte Kampagne der SVP, die es vor allem darauf abgesehen, hat den Solidaritätsgedanken und die Sozialleistungen zu demontieren.
  • Es wird bewusst auf mich als Person geschossen. Ich bin dabei nur das Opfer einer willkürlichen, bösartigen Kampagne.
  • Es ist nicht so, dass jeder, der Sozialhilfe beantragt, ein Betrüger ist.


Diese Grund-Botschaften oder Standardantworten werden uns im nachfolgenden Protokoll beschäftigen.


Umsetzen von Botschaften

Die Botschaften werden konsequent umgesetzt (Quelle: NZZ online 17. März): In der Samstagrundschau funktionierte das Botschaftenmanagement hervorragend, Die Antworten wurden zusätzlich mit Zahlen und Beispielen veranschaulicht:



"Gegenwärtig betreut das Sozialdepartement 9100 Fälle. Pro Jahr gibt es je rund 3000 Abgänge und Neuzugänge. Trotzdem kann es selbstverständlich vorkommen, dass das System von Einzelnen vorsätzlich missbraucht werde. Grundsätzlich werde in der Stadt Zürich nur Geld für den Grundbedarf ausbezahlt. Das ist für die Wohnung, die Krankenkasse und den Lebensunterhalt gerechnet. Pro erwachsene Person beträgt die Hilfe pro Monat 960 Franken. Bei Familien mit Kindern sei man grosszügiger. Der Nachwuchs soll nicht unter der schlechten Situation zu leiden haben.

Laut Stocker wird aber niemals Sozialhilfe ins Ausland oder an Gruppen bezahlt, sondern nur an Einzelpersonen mit Wohnsitz in der Stadt Zürich. Aus bestimmten Gründen könne es aber vorkommen, dass für eine kinderreiche Familie in einem einzelnen Monat einmal 5000, 7000 oder 9000 Franken aufgewendet werden. Um zerrüttete Familien zu stabilisieren, würden auch schon einmal Krippenplätze bezahlt. Das wolle aber nicht heissen, dass jede Familie darauf Anspruch habe. Die Massnahme müsse immer fachlich zu legitimieren sein, damit man mit dem Klienten weiterkomme und eine Verbesserung erreiche. Situationsbedingte Leistungen laute das Stichwort, vielfach sei es ein Geben und Nehmen. Gerade das Beispiel mit dem Au-pair-Mädchen stimme nicht. Dieser Antrag sei nicht bewilligt worden, weil sich die chaotische Familie gegen sozialpädagogische Massnahmen gewehrt habe, die im Gegenzug hätten angewendet werden sollen."


Kommentar: Monika Stocker signalisierte in ihren Erläuterungen Selbstkritik. Einsicht schätzt das Publikum bei Politikern. Doch versprach Stocker lediglich, die Bevölkerung künftig früher und besser zu informieren, um das verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Von Verbesserungen im System keine Spur. Gleichzeitig unterstreicht die gewiefte Medienrhetorikerin stets ihre Erfolge. Die Stadträtin signalisiert zwar Einsicht, Lernbereitschaft und Flexibilität. Als Kämpferin für die Schwachen bleibt sie jedoch hart und kämpft in der Sache unnachgiebig. Aendern will sie lediglich die Informationspolitik - nicht den Modus der Zuwendungen oder die unbefriedigende Kontrolle der bestehenden oder versteckten Missbräuche.


Rückblende

Blenden wir zurück: Dienstag, 6. März 2007. Nachdem in den Medien bereits früher Missstände aufgedeckt wurden, hatten wir Monika Stockers Medienverhalten analysiert:

In verschiedenen Beiträgen lobten wir Monika Stocker bei der sogenannten Hotelgeschichte oder dem Fall der fragwürdigen Geldüberweisungen nach Spanien Wir analysierten das Medienverhalten der Zürcher Sozialvorsteherin. Nachdem nun vor wenigen Wochen die Weltwoche mehrere neue Fälle des Sozialmissbrauchs in Zürich publiziert hatte, machte Monika Stocker nun leider genau das, was eine Politikerin nie machen sollte: Sie ging auf die Medien los.

(Zur Erinnerung: Dank Sozialhilfe kam eine Familie auf monatlich 5151 Franken, eine sechsköpfige auf 7000.-- und eine weitere über 9100 Franken. Die Anstellung eines Dienstmädchens wurde sogar unterstützt).

Anstatt diese Missstände restlos aufzuklären, verweigerte Monika Stocker jegliche Stellungnahme. Sie schickte sogar die Polizei auf die Informanten los. Wurde Monika Stocker schlecht beraten?

Dieses Verhalten der erfahrenen Vollblutpolitikerin ist uns unverständlich. Weshalb übernimmt sie die billige Politikermentalität: "Deckel drauf" oder "Geschichte unter Verschluss halten"? Bisher arbeitete sie nie nach dieser Methode. Für uns war vor allem unbegreiflich, dass sich Monika Stocker gemäss Sonntagszeitung vom 4. März gegen die Massnahmen zur Missbrauchsbekämpfung, (beispielsweise mit unangemeldeter Kontrollen), mit allen Mitteln so vehement stemmte. Sogar noch 200'000 Fr für eine Studie in Auftrag gegeben hatte, die beweisen sollte, dass die Sozialhilfe trotz enormer Kosten eigentlich rentiert.

Die Medien recherchierten nach der Medienschelte noch intensiver und wurden auch wie zu erwarten war - fündig. Der Tages-Anzeiger publizierte am 10. März einen weiteren Fall von krassem Missbrauch von Sozialhilfegeldern. Obwohl eine Prostituierte im Monat 8000 Fr brutto verdiente, konnte sie von der Sozialhilfe problemlos weitere Fürsorgegelder kassieren. Eine Dominikanerin, die des Drogenschmuggels überführt werden konnte, bezog vor der Verhaftung in einem halben Jahr (bis zur Verhaftung) 18000.-- Fr, wirtschaftliche Sozialhilfe. Monatlich erhielt sie einen Fixbetrag von 1460.-- Fr. Auch Krankenkassen-, Arzt -, Spitalkosten, und die Abklärungen der städtischen Berufsberatung wurden von der Stadt übernommen. Das Sozialgeld hatte sie für sich und ihre Geschwister in der Dominikanischen Republik verwendet.

Die Sonntagszeitung vom 11. März doppelte nach. Es kam eine neune Geschichte über Sozialgeldermissbrauch zur Sprache. Die Sonntagszeitung berichtete über die finanzielle Unterstützung einer angeblich dubiosen islamische Extremistengruppe. Monika Stocker änderte nun plötzlich ihr Kommunikationsverhalten und nahm jetzt - in einem gross aufgemachten Interview - offen zu all den Vorwürfen Stellung. Dieses proaktive Verhalten wurde zum Rettungsring der angeschlagenen Sozialvorsteherin

Monika Stockers Argumentationstechnik. (Aus einem Interview mit Monika Stocker in der Sonntagszeitung) Frage: Warum gehen Sie gegen Beamte vor, die Missstände verraten, anstatt die Fälle zu untersuchen?
Stocker: Das stimmt nicht! Neben der Anzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung, zu der ich per Gesetz verpflichtet bin, habe ich Kontrollen durchführen lassen. In keinem Fall wurde ein Missbrauch festgestellt.
Frage: Fürsorgefamilien erhalten teils massiv höhere monatliche Zahlungen, als Familien zur Verfügung stehen.
Stocker: In den Skos-Richtlinien (Schweiz, Konferenz für Sozialhilfe) ist der Grundbedarf für alle Haushalte festgelegt. Für grosse Familien ist dieser Betrag erklecklich. Damit will man die Chancen der Kinder erhalten.


Kommentar: Monika Stocker argumentiert mit Hintergrundinformationen. Sie nennt Gründe, welche ihre vorbereiteten Sandardantworten fassbarer machten. Bei der ersten Frage begründet sie zuerst, weshalb sie das das Informationsleck an die Medien untersuchen musste. Sie behauptet, die Vorwürfe selbst untersucht zu haben. Sie habe keinen Missbrauch feststellen können. Bei den unverständlich hohen Zahlungen nutzt die Sozialvorsteherin folgende Antworttechnik: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Sie macht eine geschickte Schuldzuweisung: Nicht ich, sondern die Richtlinien sind an den enorm hohen Beiträgen bei Familien schuld. Die Beträge müssen im Interesse der Kinder in Ausnahmesituationen bezahlt werden.

Stockers Weigerung, die Missstände ohne verdeckte Ermittlungen beheben zu wollen, ist für die Öffentlichkeit schlecht nachvollziehbar. Diese unnachgiebige Haltung hatte politische Folgen im Kantonsrat. Es wurde beschlossen, Inspektoren einzusetzen, die versteckt ermitteln dürfen. Denn ohne unangemeldete Hausbesuche ist es nicht möglich, bewusste Missbräuche oder falsche Angaben aufzudecken. Nicht nur die SVP setzte bei dieser Schwachstelle den Hebel an, denn für die Bevölkerung ist unverständlich, wenn Sozialbezüger oder mutmassliche "Sünder" gleichsam mit einer Ankündigung vorgewarnt werden. Monika Stocker verbiss sich in dieser Frage zu stark und fand, unangemeldete Besuche kämen einem Hausfriedensbruch gleich.

In einem ausführlichen Interview im Tagesanzeiger vom Tages-Anzeiger (13.3.07) meint die Sozialvorsteherin, dass es bei vier Prozent aller Fälle zu Missbräuchen kommt. Doch gehe es nur um wenige Einzelfälle. Auch in diesem Gespräch kann sie die heikelsten Fragen mit dem Argument kontern, Sozialhilfefälle sei eben vertraulich. Monika Stockers Philosophie wird in folgender Antwort deutlich: "Wer Sozialhilfe bezieht, braucht diese Sozialhilfe auch. Das ist der Grundsatz, auf dem wir unsere Arbeit aufbauen." Die Sozialvorsteherin der Stadt Zürich beantwortet am Schluss auch noch folgende kritische Frage:

Tagi: Sie haben sich am Montag in einer Medienmitteilung über ein "politisch aufgeheiztes Umfeld" beklagt. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt für eine krisenerfahrene Stadträtin.

Stocker: "Nun, ich weise lediglich auf das Umfeld hin, welches das bestehende System der Sozialhilfe grundsätzlich in Frage stellen will. Hintergrund sind, wie ich meine, drei grundsätzliche Dinge. Erstens: Man stört sich an den hohen Kosten im Sozialbereich. Zweitens: Man äussert den Grundverdacht, dass alle, die Sozialhilfe beziehen, Betrüger sind. Und drittens: Man will der SVP und ihrer laufenden Initiative für private Sozialhilfe-Kontrolleure Argumente zutragen. Das meine ich mit einem politisch aufgeheizten Umfeld. Und dieses Umfeld macht unsere Arbeit sehr, sehr schwer."


Kommentar: Es ist gut, Menschen Vertrauen entgegen zu bringen. Doch bei Missbräuchen ist blindes Vertrauen nicht angebracht. Der Grundsatz, dass generell alle Sozialhilfeempfänger Hilfe brauchen, geht eindeutig zu weit. Vor allem Stockers konsequente Ablehnung unangemeldeter Kontrollen ist nicht nachvollziehbar. Lehnt vielleicht die Grüne Stadträtin die Kontrollen nur deshalb so vehement ab, weil die SVP derartige Kontrolle forderte? Wir vertreten die Meinung: Wie Autofahrer überall unangemeldet kontrolliert werden, so dürften auch Sozialhilfeempfänger mit überraschenden Kontrollen rechnen. Würden im Strassenverkehr alle Kontrollen angekündigt, so hätten wir im Strassenverkehr sicher auch nur vier Prozent Uebertretungen, entsprechend den Missbräuchen beim Zürcher Sozialamt.

Trotz wachsenden Druckes überzeugt Monika Stocker vor den Medien

Im März verlangte die FDP auch noch eine Untersuchungskommission, damit alle Pannen in der Sozialhilfe eingehend geklärt werden können. Nicht nur der SVP riss anscheinend der Geduldsfaden. Monika Stocker wies bis jetzt alle Kritiken konsequent zurück. Sie blieb hart.

Kommentar: Bei allen missbräuchlichen Ausgaben ist die Frage berechtigt, ob man Kontrollen nicht verschärfen sollte. So wie damals nicht alle Armeekritiker die Armee abschaffen wollten, so darf man heute auch nicht allen Politikern, welche auf bestehende Missbäuche hinweisen, unterstellen, sie demontieren den Solidaritätsgedanken oder den Sozialstaat. Wenn Sozialbezüger- der Kinder wegen - mit enormen Kosten in Hotels untergebracht werden und Sozialbezüge bewusst missbraucht werden können, muss dann der Souverän die aufgedeckten vermeidbaren Missbäuche einfach als gegeben hinnehmen?

Wir wirkt die Sozialdirektorin in der Öffentlichkeit? Im Fall Stocker ist es interessant, wie in Leserbriefen Monika Stocker auf der einen Seite für ihre Standfestigkeit, ihre Klarheit und ihr Engagement gelobt und ihre sozialen Verantwortung und Professionalität respektiert wird. Anderseits wird aber das Verhalten der Zürcher Sozialministerin vielfach als arrogant und selbstherrlich gebrandmarkt.

Wir sehen: Monika Stocker ist tatsächlich krisenerprobt und heute vielleicht sogar krisenresistent. Wurde die grüne Politikerin lang als zu gutmenschig beurteilt, die sich all zu leicht von Sozialbezügern über den Tisch ziehen lasse, erkennen wir nun eine unübersehbare Hartnäckigkeit, wenn es um ihr Amt geht. Sie weiss, was sie will. Aus meiner Sicht muss sie besorgt sein, nicht berufblind zu werden und aufpassen, dass die Hartnäckigkeit nicht zur Sturheit mutiert.

Beispiel am "TagiTalk" vom Donnerstag, 22. März 2007 moderiert von Ruedi Baumann: (Quelle: Tages-Anzeiger Online)

Moderator: Vor einer Stunde hat die Zürcher SVP bekannt gegeben, ihre Initiative für unabhängige Sozialdetektive sei offiziell zustande gekommen. Wäre das angesichts der neusten Fälle nicht die bessere Lösung?
Monika Stocker: Stadtrat und Parlament haben sich für einen andern Weg entschieden. Ab 1.7. 2007 werden drei Sozialinspektoren im Auftrag der Sozialbehörde ihre Arbeit aufnehmen. Die Evaluation wird zeigen, ob das ausreichend ist oder nicht.
David Stengel, Meilen: Fürchten Sie sich vor der "Weltwoche"? Weshalb geben Sie ein Interview in der "SonntagsZeitung" und kommen in den TagiTalk, aber verweigern der "Weltwoche" ein Interview? Schliesslich hat die "Weltwoche" ja die Missstände in Ihrem Departement aufgedeckt.
Monika Stocker: Die "Weltwoche" hat Akten, die ich nicht kenne. Es läuft ein Verfahren. In ein laufendes Verfahren greife ich nicht ein.
Mirjam S. Zürich: Warum spielt es keine Rolle, warum jemand in eine Notlage geraten ist. Warum kriegt auch derjenige Geld vom Staat, der seines im Casino verspielt hat?
Monika Stocker: Der Gesetzgeber hat den Auftrag erteilt, dass die aktuelle reale Situation Ausgangspunkt für die Hilfe ist, nicht die Lebensgeschichte, nicht die "Dummheit" oder ein falsches Verhalten. Der Staat hat ein Interesse, dass jeder Mensch in seiner Existenz gesichert ist!
Nicole Peter: Können Sie nachvollziehen, dass der Eindruck besteht, dass man beim Zürcher Sozialdepartement mit Steuergeldern etwas gar arglos umgeht?
Monika Stocker: Ja, die Kampagne ist darauf angelegt. Die Realität ist anders.
Edgar Herren, Zürich: Wieso sind Ihnen unangemeldete Hausbesuche seitens der Sozialinspektoren ein Dorn im Auge? Die Erfahrung aus Emmen LU sind soweit gut. Unangemeldete Hausbesuche bedeuten ja kein Recht auf Hausfriedensbruch, könnten aber präventiv Wirkung zeigen.
Monika Stocker: Wir haben im Bericht zur Verstärkung der Missbrauchsbekämpfung den Hausbesuch als Instrument der Sozialarbeit taxiert und nicht als Aufgabe der Sozialinspektoren. Diese werden verdeckt ermitteln; die Evaluation wird zeigen, ob da Korrekturen nötig sind.
Ralph Brunner, Frauenfeld: Warum sträuben Sie sich so gegen Kontrolle. Jede Bürgerin, jeder Bürger wird doch ständig kontrolliert, sei es beim Steuernzahlen, Autofahren oder wo auch immer. Warum soll man den Sozialhilfeempfänger nicht kontrollieren, z.B. mit Hausbesuchen?
Monika Stocker: Wir haben mehrere Kontrollmechanismen und verstärken nun mit den Sozialinspektoren, die auch verdeckt ermitteln können. Hausbesuche sind für uns ein Instrument der Sozialarbeit.
David Stengel, Meilen: Wie viele "Sozialdetektive" beschäftigen Sie in Ihrem Departement? Erhöhen Sie die Zahl nach den aufgetauchten Fällen wie z.B. der Koranunterricht-Finanzierung?
Monika Stocker: Es sind drei Stellen für Sozialinspektoren ausgeschrieben; so haben Stadt- und Gemeinderat beschlossen.


Kommentar: Der Kantonsrat beschloss, Sozialinspektoren einzusetzen, die verdeckt ermitteln können. Monika Stocker wurden diese verdeckten Kontrollen aufgezwungen. Sie argumentiert jetzt so, als habe sie diese Inspektoren gewünscht. Dabei wurden sie aufgezwungen. Die Antwort Stockers ist eine geschickte Verneblung. Sie lügt nicht. Aber: Wer die Vorgeschichte im Protokoll gelesen hat, weiss, dass Monika Stocker jegliche versteckten Kontrollen und unangemeldeten Hausbesuche stets strikt abgelehnt hatte. Auch die folgende Antwort macht dies deutlich: Wir haben mehrere Kontrollmechanismen und verstärken nun mit den Sozialinspektoren, die auch verdeckt ermitteln können. Hausbesuche sind für uns ein Instrument der Sozialarbeit (Monika Stocker erwähnt auch in dieser Antwort mit keinem Wort, dass für sie Inspektoren unerwünscht sind. Es sieht nun so aus, als hätte die Vorsteherin des Sozialamtes diese neuen Inspektoren als zusätzliche Kontrolleure gewünscht). Ein Teilnehmer gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und doppelt nach. Er thematisiert nochmals den offenkundigen Widerstand der Sozialvorsteherin - gegen diese verdeckten Kontrollen. Beim Einwand: Kontrollen haben nichts mit Hausfriedenbruch zu tun! lernen wir Stocker als geschickte Dialektikerin kennen. Die Antwort - auf diesen Vorwurf macht dies deutlich: Wir haben im Bericht zur Verstärkung der Missbrauchsbekämpfung den Hausbesuch als Instrument der Sozialarbeit taxiert und nicht als Aufgabe der Sozialinspektoren. Diese werden verdeckt ermitteln; die Evaluation wird zeigen, ob da Korrekturen nötig sind. Stockers Antwort ist eine geschickte Hinhaltetaktik: Wir werden schauen, ob Korrekturen nötig sind ist! Diese ausweichende Antwort sagt implizit aus: Wir werden dann später sehen, was gemacht werden soll. Die Sozialarbeiter werden weiterhin ihre Hausbesuche machen (nach Stockers Philosophie wohlverstanden: Nur als angemeldete Besuche). Lediglich die neuen Inspektoren werden verdeckt ermitteln. Die konkrete Antwort auf die Frage, weshalb Monika Stocker früher gegen unangemeldete Kontrollen war, wird ebenfalls vernebelt. Beim Vorwurf, im Sozialamt würde mit Steuergelder leichtfertig umgegangen, nutzt Monika Stocker einmal mehr eine ihrer bewährten Grund-Botschaften: Der ganz Wirbel ist nur eine Kampagne! Sie antwortet kurz und bündig (gemäss Argumentationsliste): Ja, die Kampagne ist darauf angelegt.

Die Offensive im CLUB

Auch im Fernsehen (SF Club) vom 20. März stellte sich Monika Stocker kritischen Fragen. Wiederum gelingt es ihr, ihre die antizipierten Grund-Botschaften zu platzieren. Dank der bewährten und kompetenten Moderation von Christine Maier konnte die sonst so ausdruckstarke Rhetorikerin nicht immer so leicht ausweichen und zeigte sogar wenige Male nonverbale Anzeichen von Ungehaltenheit oder von Schwäche (Augen, Mimik, Stimme). Vor allem wenn mit Fakten belegt werden konnte dass die Standardantwort "Es stimmt nicht" auch nicht stimmte. Nur einmal hatte sie einen kleineren Ausbruch, sonst hatte sich die engagierte, energiegeladene, formulierungsgewandte Politikerin sehr gut in der Gewalt. Sie konnte sich erneut auf ihre Botschaften verlassen, die sie im Kopf hatte:

Mein Fehler war, dass ich enorme Arbeit nicht an die grosse Glocke hänge. Wir kontrollieren im Stillen und haben die Mängel selbst entdeckt. Es gibt Politiker, die wollen den Sozialstaat schwächen. Dies ist ein Angriff auf die Solidarität. Die Medienberichte haben eine Prangerfunktion. Man zielt bewusst auf meine Person, statt auf das Übel. Hier bedient sich Sozialvorsteherin einer geschickten Analogie: Sie vergleicht das Sozialamt mit Denner und erklärte: Das wäre genau gleich, wie wenn man bei Denner auf den Chef los geht, falls die Leute im Laden stehlen. Bei den Missbräuchen wird aber beim Sozialamt diese Methode angewendet.

Als Monika Stocker auch im Club ihre Antwortschablone "Stimmt nicht" zückte - es wurde ihr vorgeworfen, sie habe erst auf Druck hin gehandelt - da konterte Tauro Tuera mit dem Sozialbezugmissbrauch der Prostituierten. Angeblich ist dieser Fall nicht vom Sozialamt entdeckt worden, sondern der Ball kam erst ins Rollen, nachdem die Polizeimeldung den Misstand aufgedeckt hatte. Monika Stocker konnte auch dort nicht mehr widersprechen, als Fälle genannt wurden, bei denen das Sozialamt ausgetrickst wurde. Sie gab zwar unumwunden zu, dass es immer Leute gebe, die falsche Angaben machen. Sie ging einmal mehr von ihrer These davon aus, dass der Mensch, der in Not ist, nicht betrügen wolle.

Kommentar: Obschon die Stadträtin in Sachfrageen knallhart blieb, zeigte sie in dieser Sendung immerhin Einsicht und gab sogar Fehler zu. So wie sie die Haltung den Medien gegenüber noch rechtzeitig geändert hatte, wurde ihre Uneinsichtigkeit im Fernsehen etwas aufgelöst. Etwas spät zwar, aber wahrscheinlich noch nicht zu spät.

Reaktion der Weltwoche

Die Weltwoche war es, welche die neuen Missstände im Sozialamt vor Wochen ans Tagelicht gebracht hatte. Nicht zur Freude der Sozialministerin. Sie rächte sich hernach. Jedenfalls verweigerte sie nach der Offenlegung der Missstände in der Weltwoche jegliche Interviews (Selbstverständlich mit der einleuchtenden Begründung, dass man während der Phase von Ermittlungen keine Interview geben darf). Auch in diesem Fall rechneten wir mit einer Reaktion der Weltwoche.



In der Ausgabe Nr. 11 stand dann der Titel: Sozialhilfe: Vernebelungstaktik. Die Weltwoche ging ausgerechnet auf jene Grund-Botschaften los, die nach unserem Dafürhalten tatsächlich nicht ganz wasserdicht waren. Die Weltwoche biss sich an diesen fragwürdigen Botschaften fest und nahm sie unter die Lupe. Monika Stocker verstand es immer wieder - ohne zu lügen - die Sachverhalte zu vernebeln. Beispielsweise bei den Inspektoren die neu eingesetzt werden tat die Stadträtin so, als habe sie diese Inspektionen gewünscht. Die Weltwoche setzte nun unter das Portrait der Politikerin eine der unbedachten Grundbotschaften als Zitat - und zwar prominent als Bildlegende: Es ist einfach nicht so, dass jeder, der Sozialhilfe beantragt, den Staat betrügen will. Die Weltwoche zitiert auch noch im Text Stockers die zweite Version dieser Aussage: Man äussert den Grundverdacht, dass alle, die Sozialhilfe beziehen, Betrüger sind.

Diese recherchierten Zitate veröffentlichte die Weltwoche mit der Feststellung, dass niemand so etwas behauptet hatte. Unsere Recherchen bestätigten: Wir haben ebenfalls nur Aussagen gefunden von Leuten, die nur vermuteten, dass es noch mehr Leute geben könnte, die unberechtigt Sozialhilfe beziehen. Niemand wird bezweifeln können, dass Leute Finanzhilfen missbrauchen, wenn der Missbrauch einfach ist.

Im Weltwoche -Beitrag wurden noch weitere Missbrauchsfälle aufgelistet: (ein halbes Dutzend Fälle von Jugendlichen, die sich bei der Fürsorge meldeten und sich nach dem 18. Lebensjahr zwar nur bescheidene Extras erbitten konnten, wie Krankenkasse, Miete, Selbstbehalte aber auch Autofahrstunden, Zügelkosten und Gebühren für die Aufenthaltsbewilligung. Beträge, die jedoch einen Lehrlingslohn übersteigen).

Wir haben uns auch gefragt, ob es von Monika Stocker geschickt war, die Missstände totzuschweigen oder zu dementieren. Die Methode, Sachverhalte konsequent in Abrede stellen, kann schnell zum Bumerang werden: So behauptete Monika Stocker, jene Familie besitze gar kein Dienstmädchen. Der Vorwurf sei nicht richtig, wehrte sich Frau Stocker. Nachträglich konnte dann aber nachgewiesen werden, dass es sich bei der besagten Magd um ein Mädchen aus der Verwandtschaft handelte, das als Touristin in die Schweiz einreisen sollte. Die Vernebelungstaktik mit den Begriffen Magd, Verwandte, Dienstmädchen wurde von der Weltwoche entlarvt.


Auch den Sachverhalt bei der Unterstützung der islamischen Gruppierung verschleierte Stocker: Sie log nicht, als sie sagte, es treffe nicht zu, dass das Sozialamt der umstrittenen Organisation bezahlt hat. Die Stadträtin klammert einfach aus, dass das Sozialamt den Lohn des Verbandsekretärs dieser Organisation Geld bezahlt hatte, was einer indirekten Zahlung entsprach.

Kommentar: Der Weltwocheartikel wird Monika Stocker kaum den Kopf kosten, Aber das lange Protokoll macht uns bewusst, dass wir beim Botschaftenmanagement jede Antwort stets sorgfältig bedenken müssen und uns immer gut überlegen sollten, ob wir in einer Krise eine Zeitschrift vor den Kopf stossen wollen.

Schlusserkenntnis: Medienauftritte sind immer ein Chance. Monika Stocker hat noch rechtzeitig erkannt, dass sie den Stier bei den Hörnern packen muss (das Problem) und dass Abtauchen, Schweigen kontraproduktiv ist. Dank ihres professionellen Umgangs mit Mikrofon und Kamera und einem vorbereiteten Botschaftenmanagement gelang es ihr, alle Angriffe mehr oder minder unbeschadet zu überleben. Der begründete Entscheid der Weltwoche, Antworten zu verweigern, könnte möglicherweise Nachwirkungen haben. Es hängt davon ab, ob es zu einem Dominoeffekt kommt. Nach unserer Prognose wird Monika Stocker die Krise im Sozialamt trotz der nachgewiesenen Missbräuche unbeschadet überleben es sei denn, sie habe aus ihren Fehlern nichts gelernt und verliere plötzlich die Nerven.



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