Die EU übte anfangs Februar öffentlich Druck auf die Schweiz
aus: Die EU-Kommission erklärte Steuerpraktiken für
Holdinggesellschaften in Kantonen wie Zug oder Schwyz als illegal.
Dem EU-Ministerrat wurde deshalb beantragt, Verhandlungen
aufzunehmen. Die Schweiz verletze das Freihandelsabkommen von 1972.
Mit diesem Paukenschlag glaubte die EU über die angeblich illegalen
Steuererleichterungen mit der Schweiz Verhandlungen zu erzwingen. Doch
für Bundesrat Hans-Rudolf Merz gab es nichts zu verhandeln. Er wies die
Vorwürfe der EU umgehend und mit deutlichen Worten zurück.
Die kantonalen Finanzdirektoren und die Wirtschaftsorganisationen
unterstützen die konsequente Haltung des Finanzministers.
Merz meinte, dass es für die Schweiz und die EU keine vertragliche Regelung
haben, die Unternehmensbesteuerung anzugleichen. Deshalb könne
die Besteuerung von Holdings und anderen Gesellschaftstypen in
den Kantonen auch nicht gegen irgendwelche Abmachungen verstossen. Das
gelte insbesondere für das von der EU-Kommission angerufene
Freihandelsabkommen. Die Regeln über staatliche Beihilfen und der
Verhaltenskodex zur Unternehmenssteuer in der EU seien auf die Schweiz
nicht anwendbar, weil diese nicht dem EU-Binnenmarkt angehöre. Das
Anliegen der EU sei nicht neu, werde aber jetzt von der technischen auf
die politische Ebene gebracht. Hier gebe es vor allem ein
Kommunikationsproblem:
"Es ist uns offenbar noch nicht genügend gelungen, unsern Partnern
das föderalistische schweizerische Steuersystem verständlich
zu machen."
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Für Bundesrat Merz gibt es somit keine Verhandlungen, die Schweiz
hat lediglich einen Erklärungsbedarf. Nicht nur die Kantone stehen hinter Merz.
Die Rüge der EU wird in der Schweiz im Allgemeinen
als Einmischung in innere Angelegenheiten empfunden:
Alle bürgerlichen Bundesratsparteien verwahren sich gegen die
Einmischung von Brüssel in die kantonalen Steuerregimes. Der
Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fordert, das Begehren
aus Brüssel klar zurückzuweisen. Gerold Bührer,
Economiesuisse-Präsident und Schaffhauser FDP Nationalrat betonte,
die Schweiz als Nicht-EU-Land sei in Sachen Steuerrecht souverän.
Die SVP verlangt, der Bundesrat solle über die Forderungen der EU gar
nicht verhandeln und keinerlei Konzessionen machen. Nur die SP drängt
auf eine einvernehmliche Lösung, auch wenn sie den Zusammenhang
zwischen Freihandelsabkommen und Steuersystem für zweifelhaft
hält. Der Bund müsse jedoch versuchen, im Gespräch mit
der EU Leitplanken zu setzen.
Auch Die Medien unterstützen die Haltung des Bundesrates
Nach einer Sendung der Tageschau des Schweizer Fernsehens
hat selbst die deutsche Presse Verständnis für die Haltung
der Schweiz:
- "Wer meint, er könne die Eidgenossen mit Verhandlungen dazu bewegen,
ihre Unternehmenssteuern für Ausländer zu erhöhen, denkt
reichlich naiv"
kommentierte der deutsche "Südkurier". Denn wenn es um Geld gehe
"kann die Schweiz stur wie ein Appenzeller Ochse sein. Und sie hat im
Prinzip Recht: Das Erheben von Steuern gehört zu den zentralen
Merkmalen nationaler Souveränität."
Für den "Südkurier" steigt die EU jetzt "von Verhandlungen
auf Daumenschrauben" um.
- Das "Handelsblatt" betont die Brüsseler Drohung mit
Strafzöllen. Was davon zu halten ist, macht der Untertitel klar:
"Unternehmensbesteuerung einzelner Kantone angeblich rechtswidrig."
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Im Schweizer Pressespiegel sehen wir ein homogenes Bild. Im Steuerstreit zwischen
der Schweiz und der EU stehen die Medien hinter den Bundesrat: Auch sie
lehnen Eingeständnisse der Schweiz ab:
- "Dem Druck widerstehen", schrieb der Tagesanzeiger.
- "Schlechter Stil", kommentierte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ).
- "Es geht um Geld, nicht 'Moral'", so Der Bund.
- Und "Brüssel droht, die Schweiz fühlt sich provoziert",
titelte die Westschweizer Zeitung Le Temps.
- Der "kühne Versuch der EU-Kommission, sich in die Steuerhoheit des
Drittlandes Schweiz einzumischen, zeugt von schlechtem Stil und wenig
Respekt gegenüber der Eidgenossenschaft", so die NZZ
- Der Bundesrat könne "unmöglich Hand zu formellen
Verhandlungen bieten", schrieb Der Bund, "denn das Streitobjekt ist
Kantonssache". Ferner lesen wir:
"Die EU will der Schweiz einen Standortvorteil wegnehmen, den sie
unionsintern abgeschafft hat."
- Es wäre taktisch unklug gewesen, so die Basler Zeitung,
wenn Finanzminister Merz jetzt schon Entgegenkommen signalisieren
würde. "Dazu ist noch Zeit genug." Die EU sei sich in Steuerfragen
noch keineswegs einig.
Den "kriegsheulenden" politischen Parteien riet die Basler Zeitung,
die nächsten Monate lieber für eine Debatte über die
Steuerforderungen der EU und ihre Motive zu nutzen.
Momentan könne sich nur Merz freuen: Bisher nicht gerade vom
Erfolg verwöhnt, finde er sich nun in der Traumrolle eines
Fiskal-"Winkelrieds" wieder.
- Die Westschweizer "24 heures" gratulierte Brüssel. Sie habe
es geschafft, (fast) alle Schweizer zu vereinen. Und dazu noch ein
"Eigengoal" zu schiessen: Die Anti-Europäer spürten wieder
Aufwind. Weshalb diese Einigkeit? Die Schweizer liebten es nicht,
Befehle aus Brüssel zu empfangen, besonders wenn sie "juristisch
diskutabel" seien.
- "24 heures" schloss Steuerdiskussionen zwischen Bern und Brüssel
zwar nicht aus, sieht sie aber sachlich nicht mit dem Freihandel
verbunden. Denn auch EU-Länder wie Irland, Zypern, Slowenien oder
Luxemburg bevorzugten Unternehmen steuerlich.
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Es ist gut vorstellbar, dass Bundesrat Merz in diesem heiklen politischen
Konflikt vorgeworfen werden könnte, sich zu sehr
um innenpolitische Punkte zu kümmern. Ich hörte sogar eine
Fachperson, die befürchtete, dass die starre Haltung des Bundesrat
Merz, Brüssels Position nur verhärten könnte. Ich wurde
deshalb nach meiner Meinung zu derartigen politischen Verhandlungen
gefragt, und man wollte von mir wissen, ob es nicht das Beste gewesen
wäre, wenn Bundesrat Merz den Sachverhalt ruhiger klargestellt
hätte, mit einem Hinweis, die Schweiz habe den Bericht der EU zur
Kenntnis genommen und das Land werde alles daran setzen, die Position der
Schweiz der EU zu erklären, um zu einer gütlichen Vereinbarung
zu kommen. Es sei doch falsch gewesen, in einem diplomatischen und
politischen Konflikt von vornherein zu sagen, das Problem gehe uns
nichts an, das Anliegen komme gar nicht in Frage und überhaupt,
was solle denn das alles?
Konflikte sollten generell nicht öffentlich ausgetragen
werden. Im aktuellen Steuerstreit müsste berücksichtigt
werden: Es war die EU, die sich nicht an die Gepflogenheiten des
vertraulichen Gesprächs gehalten hatte und zuerst den Angriff in der
Oeffentlichkeit lancierte. Das war ungeschickt, zumal sich Brüssel
nach den verschiedenen knapp gewonnen positiven EU -Abstimmungen
hätte wissen müssen, wie rasch das Vertrauen in die EU verloren
gehen kann, vor allem dann, wenn man von aussen Druck ausübt.
Auf Druck reagieren nicht nur die Schweizer allergisch. Wenn zudem ein
Land über die Medien angegriffen wird, ist es verständlich,
dass die Replik des Bundesrates ebenfalls öffentlich erfolgte und
sich in der Schweiz alle gegen den "Angreifer" solidarisiert haben. Ich
gehe davon aus, dass der Bundesrat vorher gemeinsam die rasche (zu
rasche?) Antwort des Finanzministers abgesegnet hat. Wenn dem so ist,
dass die Schweiz beim Steuerstreit keinen Verhandlungsspielraum mehr
hat, so wären dennoch bei der Gegen - Reaktion die Erkenntnisse
der De-eskalationsstrategien stets mit zu berücksichtigen:
- Es lohnt sich bei Angriffen, sich antizyklisch zu verhalten d.h. Wenn
jemand unfreundlich ist, reagiere ich bewusst freundlich.
- "Verstehen heisst nicht einverstanden sein".
Die Schweiz darf durchaus Verständnis zeigen für
die Bedenken der EU, was jedoch nie heissen will, dass sie in wichtigen
Punkten nachgeben muss.
- Trotz konsequenter Positionierung muss
Dialogbereitschaft signalisiert werden
- "C'est le ton, qui fait la musique!"
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Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat bei der noch ausstehenden
Erklärung auf eine Verlautbarung via Medien verzichtet und
Brüssel die politische Landschaft der Schweiz in aller Ruhe -
hinter verschlossenen Türen - so darlegt , dass die Schweizer
Verhältnisse verstanden werden.
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