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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Feb, 2007)

Kürze mit Würze

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift Persönlich (www.persoenlich.com), dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft im Februar, 2007 erschienen. Der Abdruck hier ist mit Genehmigung von "Persoenlich" erfolgt.

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Bild: SN


Kürze mit Würze

(ungekürzte Textversion)

Im "Südkurier" stiess ich auf ein Interview mit dem neuen Bodenseeliteraturpreisträger, dem Schaffhauser Schriftsteller Dr. Markus Werner, einem der bedeutendsten lebenden Schriftsteller, der für seine Werke bereits viele wichtige Preise entgegennehmen durfte. Mir fielen in diesem Interview seine kurzen, treffenden Antworten auf. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Schriftsteller medienrhetorisch professionell antwortet. Ich fuhr deshalb am Sonntag, dem 26. November nach Überlingen (Kursaal) zur Preisverleihung. Ich ging davon aus: Ein Mensch, der bei Befragungen eines Journalisten so bedacht und treffend antworten kann, wird bestimmt auch vor grossem Publikum eine gute Rede halten. Wer überlegt antwortet und aussagekräftig - vor allem adressatengerecht - formulieren kann, hat meist das Zeug zum guten Rhetoriker. Nur wer klar denkt, redet auch gut. In seinen Werken zeichnet sich Werner durch sein hervorragendes Sprachgefühl aus. Ich habe ihn schon früher als sehr bescheidenen, zurückhaltenden Menschen erlebt. Er wohnte bis vor vier Jahren in einem alten Bauernhaus im abgelegenen Opfertshofen. Markus Werner liebt seit je die Distanz. Er tritt nicht gerne ins Rampenlicht. Als ein Werk von ihm zum Bestseller wurde, war er erstaunt. Seine Passion war immer das Schreiben - nicht das Reden. Öffentliche Auftritte meidet er bewusst. Markus Werner findet von sich, er sei kein guter Redner. Bei der Preisverleihung musste er nun ein paar Worte sagen und wunderte sich nach der Rede, dass ich mich als Kommunikationsberater überhaupt für diesen Auftritt interessiert habe. Er sagte mir, er sei ja kein guter Rhetoriker. Markus Werner bewies aber im Kursaal von Überlingen, dass dem nicht so ist. Medienrhetorisch und rhetorisch können wir von ihm Grundsätzliches lernen, obschon er nicht das Bild eines extravertierten Redners vermittelt, Analysieren wir zuerst sein Antwortverhalten im erwähnten Zeitungsinterview (vor der Preisverleihung im "Südkurier" vom 24.11. 06)

"Südkurier": Worin liegt der Reiz eines Romans für Sie? Markus Werner: Ich beneide alle, die sich in unterschiedlichen literarischen Gattungen und Genres souverän bewegen. Aber in gewisser Weise kann man das auch in einem Roman tun, da er unbeschränkte gestalterische Freiheiten zulässt. Der Roman darf einfach alles, das ist für mich sein Hauptreiz.
"Südkurier": Verraten Sie uns, woran Sie momentan arbeiten? Markus Werner: Zurzeit arbeite ich daran, mich damit abzufinden, dass ich zur Zeit nicht arbeiten kann.
"Südkurier": Werden Sie bei der Preisverleihung eine kleine Rede halten? Markus Werner: Nein, eine sehr kleine.


Analyse: Die Bewunderung jener Schriftsteller, die sich in allen literarischen Gattungen souverän bewegen können, bestätigt die Bescheidenheit des Preisträgers. Wir erfahren konkret, weshalb er sich für Romane entschieden hat (Er veröffentlichte eine beunruhigende Romanserie mit sieben Romanen). Die Antworten sind alle kurz, aber gewürzt mit Überraschungen: Werner arbeitet daran, dass er sich damit abfinden muss, zurzeit nicht arbeiten zu können. Das Nein nach der Frage: Werden Sie eine kurze Rede halten?- beziehen die Leser zuerst auf die Rede. Man glaubt, Werner werde keine Rede halten, dann folgt die Überraschung: Das Nein bezieht sich überraschenderweise auf das Wort klein. Nein!! Die Rede wird für Markus Werner nicht klein, sondern sehr klein sein. Alle Antworten sind eindeutig, kurz, bedacht, humorvoll, schlagfertig. Markus Werner nimmt jedes Wort ernst.


Es lohnt, sich die Zeit zu nehmen, auch die kurze Rede von Markus Werner nach der Überreichung des Bodensee-Literaturpreises im Kursaal von Überlingen genauer zu lesen:


Verehrte liebe Gäste,

An einem Tag Ende September dieses Jahres habe ich einen Anruf aus Deutschland. Eine sehr professionell klingende Frauenstimme wollte mich im Namen der Nordwestdeutschen Klassenlotterie nötigen zum neuen Kunden und Mitspieler zu werden(Publikum lacht). Noch bevor sich die Dame rhetorisch entfalten konnte (Publikum: Lacher), sagte ich so barsch wie nur möglich, ich sei nicht interessiert. (Zuhörer lachen) Schlagfertig fragte die Anruferin: Sie sind also nicht interessiert zum Beispiel 5000 Euro oder noch sehr viel mehr zu gewinnen? Doch natürlich, dachte ich und sagte schlagfertig Nein und legte auf. Zwei Stunden später wieder ein Anruf. Wieder eine deutsche Nummer auf dem Display. Diesmal eine Männerstimme. --- Süddeutsche Klassenlotterie.

(Anwesende: Wieder schallendes Gelächter). Der Mann sprach nicht nur akzentfrei. Er teilte mir auch mit, dass ich 5000 Euro gewonnen hätte (Publikum: Erneutes Gelächter) beziehungsweise den Bodenseeliteraturpreis. (Zuhörer klatschen). Ich legte nicht auf. Ich freute mich und bat trotzdem um eine Nacht Bedenkzeit. Nicht weil der Anruf aus Überlingen und nicht aus Stockholm kam (Publikum: Lacher, grosser Beifall), sondern weil ich Zweifel hatte, ob ich den Strapazen einer Preisverleihung noch gewachsen sei. Anderntags telefonierte ich nochmals mit dem Kulturamt, nahm dankend an und fragte nach früheren Preisträgern. Meine Reaktion auf die Antwort las ich später im Südkurier so. Weder bei Friedrich Georg Jünger noch bei Martin Walser hatte Werner einen Laut von sich gegeben (Publikum lacht). Und auch ein Golo Mann haben ihn nicht beeindruckt (Zuhörer: Gelächter, Akklamation). Ich muss sagen, es war mir peinlich, mich so gezeichnet zu sehen. Zwar stimmt es, dass ich auf Lautgebung verzichtet habe. Aber gibt es nicht auch ein respektvolles Schweigen? Die Wahrheit ist, dass ich - halb zaghaft, halb stolz - in die Fussstapfen der Genannten trete - und auch der Ungenannten. Die Wahrheit ist aber auch, dass ich, wie der Südkurier korrekt rapportierte, Hörbares erst dann von mir gab, als ich vernahm, dass mein Freund und Kollege Hermann Kinder schon seit 1981 zum Kreis der Geehrten gehöre. (Pause) Hermann Kinder ist übrigens nicht nur meine wichtigste Bodenseebezugsperson --, er war es auch, der mir mit gutem Rat bestand, als mir im Dezember vor zwei Jahren mein sechzigster Geburtstag drohte. Allen Festivitäten abhold, war ich damals zusammen mit meiner Gefährtin, auf der Suche nach einem hübschen Versteck. Denn ich befürchtete von den Gratulanten mit Früchtekörben heimgesucht zu werden ( Im Publikum einzelne Lacher) und schloss in einem Anflug von rätselhafter Selbstüberschätzung nicht einmal aus, dass mich das offizielle Schaffhausen feiern können wollte, womöglich in Form eines stadtmusikalischen Ständchens. Im Innersten war ich freilich bewusst, dass solche Gesten eher für Schwingerkönige, Schützenkönige oder (längeres Gelächter im Saal überdeckt einige Worte) .... vorgesehen sind. Wie auch immer: Wir suchen nach einem Refugium schwankten zwischen kanarischen und karibischen Inseln und holten Rat bei Freund Kinder. Der empfahl uns die Riviera die Riviera des Bodensees. Er empfahl uns Überlingen (Zuhörer: Geraune, dann heftiger Applaus) -- und bat einen diskreten Eingeborenen er weilt unter uns heute und (wieder wohlwollendes Geraune im Publikum überdeckt nochmals ein paar Worte)... und am Schluss zugegen. Ich kürze jetzt ab. Keine Karibik. Dafür ein Zimmer mit Seesicht im Bad-Hotel. Allerdings ohne Minibar mit Rauchverbot was der Gesundheit förderlich war - (dann folgt ein Einschub mit zurückgenommener Stimme): Dem Wohlbefinden etwas weniger (Das Publikum weiss: Werner war ein passionierter. Geraune im Saal. Einige lachen). Trotzdem genossen wir die stillen Wintertage am See. - Es nebelte und nieselte. Die Stadt schien im Schlaf zu liegen. Die Stadt war eine kühle schlafende Schöne, die mich anzog und der ich gelobte, wiederzukommen, wenn sie wach war und beschwingteren Pulses sein würde. (Zuhörer: kurzer Applaus). Das war denn auch alles der Fall im Juni dieses Jahres, als ich sie endlich wieder sah und mich - diesmal im gastlichen rauchfreien Seehof zehn Tage lang beleben liess vom südlichen Charme dieser Stadt. Dass Überlingen meine Zuneigung erwidert und mich hier und heute mit einem Preis verwöhnt, freut mich mehr als ein Lotteriegewinn. Zwar haben auch Preisvergaben Zufalls- und Lotteriecharakter. Aber dieser Umstand sei jetzt umständehalber freundlich verdrängt (Publikum lacht). Ich danke der Stadt mit ihren Vertretern sehr herzlich für die Ehrung, dem Preisgericht für seine Suche und sein Finden. Mario Andreotti für die so reiche Laudatio. Den - beiden Jünglingen sie sind glaub ich nicht mehr hier ich habs genossen, dass es mal nicht Mozart war - (Zuhörer: Lautes Lachen und heftiger langer Applaus) Ja - und der letzte Satz ist: Und Ihnen allen für Ihr Kommen! (NUN FOLGT EIN TOSENDER SCHLUSSAPPLAUS)


ANALYSE: Markus Werner packt das Publikum innert Sekunden mit einer amüsanten Telefongeschichte. Dank dieses narrativen Elementes kommt er ohne Umschweife auf humorvolle Art zum aktuellen Thema, der Preisverleihung. Dem Schriftsteller gelingt es, den bis auf den letzten Platz belegten Saal in seinen Bann zu ziehen, in den Bann seiner wohldurchdachten Sprache. Die Stimmung, die Stimme stimmt mit dem Redner, dem Publikum und mit der Situation überein. Jedes Wort - treffend gewählt - sitzt. Bei Präsentationen raten wir in der Regel immer, frei zu reden - nur mit Stichwortzetteln versehen- und empfehlen, aufs Ablesen zu verzichten höchstens beim Zitieren (Da gibt es die lernbare Technik des Lesens mit schweifendem Blick). Markus Werner hielt sich jedoch konsequent an sein vorformuliertes Manuskript und bewies damit, dass auch das wortwörtliche Ablesen eines Textes rhetorisch korrekt sein kann. Dies kommt jedoch in der Praxis nur dann gut an, wenn es so gemacht wird, wie es der Preisträger demonstriert hat. Er stieg nämlich gedanklich voll und ganz in seinen Text hinein, ohne das Publikum auszuklammern. Immer wieder blickte er einzelne Personen im Saal direkt an. Bei den meisten Dozenten und Politikern, die ein Manuskript ablesen, wird aus einer Rede eine Vor-lesung , genauer, ein Monolog, indem die Vortragenden den Text herunterleiern, ohne ihn neu zu gebären. Diese abgespulten toten Lesungen sind stets langweilig und überzeugen nie. Obschon sich Markus Werner nicht als guten Rhetoriker sieht, lebte sein vorformulierter Text. Weshalb? Er taucht gedanklich ständig voll und ganz in seinen sauber vorformulierten Text ein den er seinem Publikum vermittelt. Gedanken überzeugend zu präsentieren ist ein mentaler Akt. Die rhetorischen Frage: "Gibt es nicht auch ein respektvolles Schweigen?" ist auf den Redner zugeschnitten . Für mich stimmte in Überlingen das Wichtigste überein: Die treffend formulierten Worte des Redners, seine Gedankenfolgen, die sorgfältig bedachte Wortwahl. Alles war in der Vorbereitungsphase wie auch bei der Wiedergabe stets - adressatengerecht - auf die Situation im Kursaal in Überlingen zugeschnitten. Der Redner blieb während der ganzen Rede immer er selbst. Er ist kein Showman. Er spielt nie Theater, sondern er gibt sich immer so, wie er ist, wie man ihn kennt. Was das Publikum besonders zu schätzen wusste, war die angenehme bescheidene Zurückhaltung. Vor allem der Humor und die Freude am Formulieren. Humor als Würze ist für mich weder Witz, noch Satire, noch Ironie, Humor kommt von Herzen. Schade, dass Markus Werner noch nicht weiss, dass er trotz des Ablesens des Textes zu den guten Rhetorikern zählt. Seine medienrhetorischen Antworten im Südkurier wie auch die Rede anlässlich der Preisverleihung sind Beweis genug, dass dem so ist!




Erkenntnis: Bei der Medienrhetorik wie bei der angewandten Rhetorik gilt immer dasselbe: Nur wer klar denkt, kann auch klar und verständlich reden. Politiker, Manager und Führungskräfte überzeugen nur dann mit ihren Worten, wenn die Botschaften mit der eigenen Person und Einstellung übereinstimmen. Viele könnten somit von Markus Werner lernen. Falls jemand meine positive Beurteilung als Eloge empfindet, müsste er bedenken, dass man Markus Werner sicherlich zum freien Reden bringen könnte. Doch würde ich diesem Schriftsteller nie das Reden nach Stichworten aufzwingen. Wenn jemand bei einem Referat verstanden wird und die Zuhörer angesprochen wurden, hat er das Ziel erreicht wie auch immer. Für mich geht es bei meinen Analysen nicht um Kritik nur um der Kritik willen. Die fehlende Extrovertiertheit eines Redners ist gegeben. Zur fehlenden Extravertiertheit Werners: Diese sollte nicht antrainiert werden. Werners Persönlichkeitsmerkmal der Bescheidenheit, d.h. seine Art, sich zurückzunehmen, stört nicht im Gegenteil, sie macht den Sprachkünstler sympathisch.


Fazit: Es heisst: In der Kürze liegt die Würze. Markus Werner veranschaulicht zusätzlich: Kürze allein genügt nicht. Es braucht auch Würze (Humor): Kürze mit Würze. Vor allem aber die Fähigkeit, sich während des Sprechens in die vorbereiteten, klar strukturierte Gedanken zu versenken.





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