Sueddeutsch, 2005:
Von Flaschen oder Geschichtenerzählern umgeben
Von Sabine Hildebrandt-Woeckel
Irgendwo taucht ein Problem auf und sofort gibt es eine Projektgruppe.
Aber das Schwierige an Projekten ist nicht die Planung, sondern der
Umgang mit den Beteiligten. Eine kleine Typologie.
"Irgendwo taucht ein Problem auf und sofort gibt es eine Projektgruppe",
sagt Markus Knill, Kommunikationsberater und Teamexperte aus der
Schweiz. Projektarbeit heisst das Motto, Projektmanagement gehört
in allen grösseren Firmen zum Schulungsprogramm angehender
Führungskräfte.
Was dort gelehrt wird, klingt simpel: Definieren Sie ein klares
Ziel, suchen Sie sich kompetente Leute, und legen Sie klare Regeln
fest! "Doch das ist Theorie", sagt Roland Jäger, Coach und
Buchautor. In der Praxis habe man es in Unternehmen viel öfter
mit überflüssigen, undurchdachten und schlecht geführten
Projekten zu tun.
Ein gutes Team vereint alle Qualitäten, die ein Chef von einem
einzelnen Mitarbeiter unmöglich verlangen kann. Die meisten
Projektleiter neigen jedoch dazu, homogene Teams zusammenzustellen,
kritisiert Knill, vor allem solche, die ihnen selbst angenehm
sind. #Projektleiter, die selbst gerne reden, umgeben sich mit
Schweigern. Journalisten meiden Kritiker, Lehrer scheuen Besserwisser",
sagt Knill. Das sei grundfalsch. Um ein Projekt zum Erfolg zu führen,
braucht es ganz unterschiedliche Charaktere. Denn richtig integriert,
bringen fast alle Teamtypen der Projektarbeit Gewinn. Schauen wir sie
uns genauer an.
Der Geschichtenerzähler.
Kaum eine Gruppe, in dem es ihn nicht gibt. Dem Geschichtenerzähler
ist jedes Problem bereits bekannt, weil er es schon mindestens dreimal
gelöst hat. Er kennt jeden, weiss alles besser und hört
am liebsten sich selbst reden. Dummerweise plaudert er mitunter auch
ausserhalb der Projektgruppe über interne Schwierigkeiten oder
vermeintliche Schwächen der Kollegen. Aufgabe des Projektleiters ist
es, ihn in die Gruppe zu integrieren. Gelingt das, muss er seinen Worten
Taten folgen lassen. Fühlt er sich ernst genommen, verkauft er nicht
nur sich selbst gut, sondern auch das Projekt. Geschichtenerzähler
sind gute Öffentlichkeitsarbeiter.
Der Spieler.
Er will dabei sein, aber nicht mitmachen. Der Spieler lässt sich
ungern in die Karten schauen und hält mitunter sogar bewusst
Informationen zurück. Im schlimmsten Fall streut er falsche
Informationen und wird zum Intriganten. Er ist nicht einfach, doch
wenn der Projektleiter es schafft, das Problem offen anzusprechen und
einen eigenen Beitrag des Spielers einzufordern, ist das Engagement oft
um so grösser. Gelingt die Intervention nicht, gibt es nur eine
Lösung: Der Spieler sollte von der Projektarbeit ausgeschlossen
werden.
Die graue Maus.
Es würde kaum auffallen, wenn sie nicht dabei wäre. So
zumindest scheint es. Sie hört zu, kriegt aber selbst den Mund
nicht auf. Mit eigenen Ideen kommt sie nie. Doch Vorsicht: Projektleiter
sollten sich nicht verunsichern lassen, sondern die graue Maus an die
Hand nehmen. Sie verfügt oft über grosses Fachwissen und ist
sehr pflichtbewusst. Richtig eingebunden wächst sie mitunter sogar
über sich selbst hinaus.
Der Sprinter.
Er muss nicht ermuntert, sondern eher gebremst werden. Der Sprinter
ist ein klassischer Macher, er denkt und handelt schnell, manchmal
zu schnell für seine Kollegen. Vor allem in der Anfangsphase
eines Projekts agiert er oft extrem ungeduldig. Was ihm hilft, ist
eine klare Struktur. Richtig eingesetzt ist der Sprinter ein grosser
Gewinn für das Team. Er krempelt die Ärmel hoch und arbeitet
schon, während die anderen sich noch sortieren. Ausserdem ist er
zuverlässig und erledigt selbst Routinearbeiten gerne. Und er bringt
viel Durchhaltevermögen mit.
Der Kämpfer.
Er will nicht nur in der Sache vorwärts kommen, sondern auch auf
der Karriereleiter nach oben klettern. Kommt er nicht zum Zuge, kann er
auch aggressiv reagieren und vermeintlich gegnerische Gruppenmitglieder
bekämpfen. Wichtig ist es daher, ihm Anerkennung zu zollen, wann
immer dies angebracht ist, ihm aber gleichzeitig auch die Stirn zu bieten,
wenn er anfängt zu stänkern. Der Fighter hat gelernt, für
seine Sache einzustehen. Gelingt es, das Gesamtprojekt zu seiner Sache
zu machen, kümmert er sich engagiert darum und verteidigt es auch
nach aussen.
Der Miesmacher.
Schwierig ist der Umgang mit dem Miesmacher. Er frustriert die Gruppe,
indem er ihr deutlich zeigt, wie wenig er von der ganzen Sache hält.
Entscheidend ist die Frage, warum er die Arbeit verweigert. Wurde er
womöglich unfreiwillig in die Gruppe geschickt? Ist er richtig
informiert? Fühlt er sich überfordert? Oder hat er einfach
nur eine pessimistische Lebenseinstellung? Gute Projektleiter nehmen
die Kritik erst, fordern aber vor allem eigene Vorschläge. Auch
wenn es nervt, dass er in jeder Suppe ein Haar findet: Ein Nörgler
sieht mitunter auch Fehler und Versäumnisse, die Optimisten nicht
sehen wollen.
Die Flasche.
Sie ist der Albtraum jedes Projektleiters, dennoch taucht sie in fast
jeder Projektgruppe auf. Die Flasche wird vom Vorgesetzten geschickt -
und zwar aus dem einzigen Grund, dass er sie selbst nicht mehr sehen kann,
weil sie schon vorher auf der ganzen Linie versagt hat. Trotzdem sollte
der Projektleiter im Umgang mit ihr umsichtiges Verhalten üben.
Manche vermeintliche Flasche ist in Wirklichkeit nur eine graue Maus.
Erst wenn sich herausstellt, dass sie wirklich nichts kann, gibt es nur
eine Lösung: Rauswurf!
Der Träumer.
"Man könnte doch ...", "Sollte man nicht ...", #Wäre es
nicht besser..." - mit solchen Sätzen versetzt der Träumer
ganze Arbeitsgruppen in Trance. Alle wollen vorankommen, doch er hat
immer noch ein bessere Idee. Das mag anstrengend sein, doch es ist
wichtig. Ein Träumer gehört in jede Gruppe. Er bringt originelle
Ideen ein und bewegt sich in Sphären, deren Existenz andere nicht
einmal ahnen. Aufgabe des Projektleiters muss es also sein, die Position
kreativer Kollegen zu stärken und gleichzeitig darauf zu achten, dass
sie sich nicht verzetteln. Denn oft sind es ausgerechnet die Träumer,
die festgefahrene Projekte doch noch vor dem Scheitern bewahren.
(SZ vom 3./4.9.2005)
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