Wir haben schon viele Auftritte des Vollblutrhetorikers
Christoph Blocher beobachtet und analysiert. Der Auftritt in
Kloten anlässlich der Medienkonferenz nach seiner Rückkehr aus der Türkei war ein
aussergewöhnlicher Anlass. Er zählte nicht zu den üblichen
Albisgütliauftritten. Uns interessierte es, live zu erleben, wie sich
Bundesrat Blocher der Fülle von happigen Vorwürfe stellen
wird. Nachdem er in Ankara als Justizminister die Anti-Rassismus-Strafform
öffentlich in Frage gestellt hatte, kam es während der letzten
Tage in der ganzen Schweiz zu einer Woge von Protesten und es hagelte
harsche Kritik.
Was wir bei den Auftritt in Kloten erfahren wollten: Wird es nun
dem Justizminister gelingen, vor den versammelten Journalisten, vor
Mikrofon und Kamera - in der kurzfristig angekündigten Bilanz - alle
kritischen Fragen zu klären? Hat er konkrete stichhaltige Argumente,
die überzeugen? Wie wirkt Christoph Blocher in einer derart heiklen
Situation - als Person? Gelingt es ihm, den unerfreulichen Sachverhalt
glaubwürdig zu erklären?
An kritischen Fragen und harten Vorwürfen fehlte es nicht: - Wie
kann der Schweizer - Justizminister in der Türkei einen vom Volk
beschlossenen Gesetzesartikel öffentlich in Frage stellen? - Hat er
mit seinem Vorprellen gegen das Prinzip der Gewaltentrennung verstossen?
- Hat der Justizminister sogar die Justiz attackiert? - In welcher Rolle
sprach er in der Türkei: Als Justizminister, als Aussenminister, als
Wirtschaftminister oder in Personalunion für den ganzen Bundesrat?
- Blocher wurde auch vorgeworfen, den Souverän und das Parlament
desavouiert zu haben und sich nicht ans Kollegialitätsprinzip
gehalten zu haben.
Fragen vor dem Auftritt
Einige Journalisten mutmassten vor Beginn der Medienkonferenz, wie sich
ein gewiefter Rhetoriker aus einem derart gefährlichen Strudel
retten könnte.
Andere fragen sich, warum er sich in der Türkei so direkt und
unbedacht exponiert hatte. War es Kalkül, beispielsweise ein
Paukenschlag im Vorwahlkampf? Wollte er lediglich Lautsprecher seiner
Partei sein? Nutzte er vielleicht die Gunst der Auslandreise, um das
leidige Thema "Antirassismus-Gesetz" doch noch im Parlament zur Diskussion
zu bringen? Wollte er der Aussenministerin eins auswischen? Oder reizt
ihn - wie früher - lediglich die Freude am Provozieren? Hat er
sich vielleicht so vorschnell exponiert, weil ihm auch persönlich
das Antirassismusgesetz in die Quere kam? Wäre es denkbar,
dass es Bundesrat Blocher tatsächlich nur um das hohe Gut der
Meinungsfreiheit ging, weil heute jeder angeklagt werden könnte, wenn
er am Biertisch oder am Elternabend einen diskriminierenden Spruch macht?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass es Politiker gibt, die schon
lange darauf warten, den missliebigen Magistraten endlich los werden
zu können. Die Chance Blocher zu demontieren, scheint jetzt
günstig. An der Medienkonferenz war jedenfalls die Spannung gut
zu spüren. Die vielen Medienvertreter waren sich der Tragweite
des Auftrittes im Kloten bewusst. Denn es ist denkbar, dass die Worte
Blochers auf verschiedenen Ebenen Nachwirkungen haben können.
Blochers "Botschaftenmanagement"
Die Medienbotschaften hatte Bundesrat Blocher minutiös vorbereitet.
Entschlossen und mit ernster Mine begab er sich zum Mikrofon.
Alle Anwesenden erhielten schriftlich vorab eine Zusammenfassung der
wichtigsten Botschaften seiner Bilanz:
- Zweck des Besuches war vor
allem die Verbesserung der Beziehungen.
- Es besteht unbestritten ein Spannungsfeld zwischen Rassismus -
Strafnorm und Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit sollte nicht durch
restriktive Verbote leichtfertig geopfert werden!
- Mit einer Revision
des Gesetzes könnte der heutige Widerspruch beseitigt werden. Es
geht hier darum, dieses Gesetz vorerst nur zu überprüfen .
- Das Anpassen beschlossener Gesetzte ist normal und immer Sache des
jeweiligen Departementvorstehers.
Blocher unterstrich: Der Besuch war ein
Erfolg! Die Beziehung mit der Türkei ist heute entkrampfter. Es wird
sogar zu einem Gegenbesuch kommen. Die Botschaft: "Man muss als VORBLID
führen", wiederholte Blocher auch nach der Präsentation,
in der Fragerunde und in den meisten Interviews: "Ich weiss dies als
Wirtschaftführer, dass man nur als VORBILD etwas erreichen kann.
Man erreicht auch als Bundesrat wenig, wenn man ständig nur mit dem
Zeigefinger andere belehrt. Ein Chef, der selbst in einem bescheidenen
Büro sitzt, muss die Untergebenen nicht zur Bescheidenheit
auffordern." Auch die Schweiz muss bei der Meinungsäusserungsfreiheit
Vorbild sein. Eine "Diplomatie des VORBILDES" ist gefragt! Diese Aussage
wurde zur Kernbotschaft: Die Meinungsfreiheit darf nicht durch Verbote
unnötigerweise gefährdet werden. Der Gedanke gipfelte im Satz:
"Ich habe keine Angst vor andern Meinungen - nur vor verbotenen
Meinungen."
Schlüsselbotschaften und Kerngedanken
Was uns auffiel: Blocher trug seine Schlüsselbotschaften, die
bereits schriftlich vorlagen, inhaltlich synchron nochmals bei der
mündlichen Präsentation vor, lediglich in einer anderen
Form. Seine Bilanz war keine Vorlesung, sondern ein wohlbedachtes
Vortragen der wenigen Botschaften. Obwohl sich der Justizminister
überrascht zeigte, über den Medienwirbel, den seine Aussage
in der Schweiz ausgelöst hatte, so können wir davon ausgehen,
dass er die grosse Publizität zu schätzen weiss. Blocher sonnt
sich gerne im Rampenlicht, auch wenn er angegriffen wird. Er nutzt
die Chance bei allen Medienauftritten sehr geschickt. Er kennt das
Phänomen des Multiplikatoren-effektes der Medienkonferenzen. Er
weiss dann genau: Wichtig ist, immer die gleichen Botschaften
auf unterschiedliche Art und Weise zu wiederholen. So kann nichts
schief gehen. Den ersten Teil seiner Bilanz meisterte Blocher in
üblicher Manier. Nach vorn gebeugt, die Arme meist auf dem Tisch
abstützend, wiederholte er seine Kernaussagen und verankerte sie oft
mit konkreten Beispielen. (z.B.: Die Türkei hat das schweizerische
Zivilgesetzbuch übernommen. Deshalb sind in diesem Land Frauen
und Männer gleichberechtigt. Frauen werden beispielsweise an der
Uni mit Kopftüchern nicht zugelassen) Vorwürfe, wie er habe
im Alleingang - ohne Absprache mit dem Gesamtbundesrat- gehandelt,
entkräftete er mit einer Vorwegnahmetaktik, indem er mehrmals
betonte, dass der Besuch mit dem Bundessrat abgesprochen war. "Den grossen
Rummel" machte Blocher mit zurückgenommener Lautstärke zu einem
"kleinem Wirbel" (Abschwächungstaktik) und ergänzte nur so
beiläufig: "Wissen Sie, man schlägt den Sack und meint den
Esel"(Er sagt damit, dass das Ganze nur ein Spiel gegen seine Person sei).
Die Frage, ob er auch die Lage der Menschenrechte in der Türkei
angesprochen habe, beantworte er noch im Referat mit einem deutlichen
Nein. "Ich reise nicht in ein anderes Land und zeige mit dem Finger
auf andere", sagte der Justizminister. Wichtiger sei es, ein Vorbild
abzugeben.
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Ein zweiseitiges Blatt stand den Journalisten schon vor dem Auftritt zur
Verfügung. Die Schlüsselargumente sind bereit aufgelistet.
Blocher erläuterte dann mündlich die Kernbotschaften mit anderen
Worten. Er stand Red und Antwort. Das heisst: Rei seiner "Rede" wie
auch bei den Antworten lenkte er immer wieder zu diesen Kerngedanken.
So konnte er jede der wenigen Botschaften mindestens dreimal vermitteln:
Mit diesem Blatt, in der Rede und beim Anworten in den nachfolgenden
Interviews.
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Zu den Lenkungstechniken beim Antworten
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Bei der Fragerunde war gut sichtbar, dass der Bundesrat unter
grösserem Druck stand. Die wachen Augen signalisierten volle
Aufmerksamkeit aber auch eine Prise Skepsis. Die Gesichtfarbe
war geröteter als sonst und bei heiklen Fragen stellten wir
"Uebersprunghandlungen" bei den Händen fest (ins Gesicht greifen,
am Veston zupfen). Bei allen Fragen, die darauf abzielten, Blocher in
einen Widerspruch zu verwickeln (vor allem wenn es um den Holocaust
und die Meinungsfreiheit ging ) reagierte Blocher gereizter, viel
nervöser. Er antwortete noch rascher. Die Stimme veränderte
sich. Die Aussprache wurde undeutlicher, "nuschelnd". Bei einer heiklen
Frage trank er Wasser (bewusst?) und stand unverhofft auf. Blocher wirkte
stehend viel gefasster. Wer steht zeigt unbewusst: Ich stehe zu meiner
Meinung! Blocher hörte bei allen Fragen konzentriert zu.
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Der gewiefte Rhetoriker verliess in heiklen Situation immer das
gefährliche dünne Eis und lenkte mit seiner Antwort sofort
wieder auf sicheres Terrain zurück. Unterstellungen erkannte er,
entlarvte sie, stoppte unliebsame Fragen mit einem konsequenten NEIN
oder, indem er die Frage zurückwies oder hart abqualifizierte.
Erstaunlich, wie es Blocher immer wieder verstand, in den Antworten seine
Kernbotschaften geschickt einzubauen (Wiederholungstaktik). Zur Frage,
weshalb er sich ausgerechnet in der Türkei Neuigkeiten verlauten
liess, antwortete Blocher: Man darf auch im Ausland nachdenken - auch
laut, vor allem, wenn man den Gedanken schon in der Schweiz ausgesprochen
hat.
Der Umgang mit Journalisten
Christoph Blocher scheint nach seinem ungeschickten Medienverhalten
im welschen Fernsehen (Karikaturenstreit) etwas gelernt zu haben.
Denn bevor in Kloten (im Anschluss an die Konferenz) ein Interview
für die Arenasendung aufgezeichnet werden konnte, spielte er
jedenfalls im Vorbereitungsgespräch seinen Marktwert aus. Er
wusste, dass das Fernsehen auf seine Person angewiesen ist. Für
uns war es beeindruckend, wie er dem Sendeverantwortlichen vor
dem Interview hartnäckig und unmissverständlich den Tarif
bekannt gab. Bundesrat Blocher sagte energisch: "Ich stelle mich nur
zur Verfügung, wenn meine Antworten nicht geschnitten werden!" Ein
Journalist neben mir wertete dies als Zensur. Wir finden es legal,
wenn wichtige Bedingungen vor einer Aufnahme sauber geklärt
werden. Abmachungen sollten vor dem Auftritt ausgehandelt werden.
Christoph Blocher punktete auch bei heiklen Fragen
Ein schönes Beispiel geschickten Verhaltens, veranschaulicht uns
Blochers Antwort auf die Frage nach seiner Meinung zur umstrittenen
Aeusserung seines Kollegen Pascal Couchepin (Er kritisierte seinen
Kollegen in der Oeffentlichkeit, bevor er den Sachverhalt genau kannte).
Blochers klevere Antwort:
"Ich weiss nicht, warum er schockiert ist. Aber es ist doch sein Recht,
schockiert zu sein. Soll man dies auch noch verbieten?"
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Mit dieser geschickten Antwort verletzte Blocher seinen missliebigen
Kollegen nicht und verdeutlichte zudem, dass es ihm wichtig ist, dass
jeder seine Meinung äussern darf. Die Antwort finden wir nicht nur
schlagfertig. Sie hat Humor. Bei dieser Situation punktete jedenfalls
Bundesrat Blocher.
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