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www.rhetorik.ch aktuell: (5. Oktober, 2006)

Wirbel um Blocher-Äusserung

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Während seiner Türkei-Reise kündigte Bundesrat Christoph Blocher eigenmächtig Änderung der Antirassismus-Strafnorm an. Die Antirassismus-Strafnorm mache ihm "Bauchschmerzen", sagte Blocher er in Ankara. Deshalb wolle er sie ändern.

Wegen der Armenier-Frage sind vor einiger Zeit die geplanten Türkei-Reisen von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und Wirtschaftsminister Joseph Deiss abgesagt worden. Was den Bundesratskollegen nicht gelang, schaffte der Justizminister: Er reiste nach Ankara und nahm gestern an einem Symposium zum 80-jährigen Bestehen des türkischen Zivilgesetzbuches teil, das vom Schweizer Zivilgesetzbuch inspiriert ist. Was Bundesrat Blocher im anschliessenden Gespräch seinem Amtskollegen Cemil Cicek mitteilte, stiess in Ankara auf offene Ohren: Es bestehe ein "Spannungsverhältnis" zwischen der schweizerischen Antirassismus-Strafnorm und der Meinungsfreiheit.

Blocher glaubt, der Antirassismus-Artikel sei mitverantwortlich für die gespannten Beziehungen zur Türkei. Auf Anfrage präzisierte nachträglich Blochers Pressesprecher Livio Zanolari, eigentlich sei es bisher nur der Justizminister, der für sich selbst die Idee prüfe. Vorbereitungen seien im EJPD noch keine getroffen worden. Entsprechend überrascht zeigten sich viele Politiker: Die Mitglieder der Rechtskommissionen reagierten gestern verblüfft und verärgert. "Das Vorgehen ist völlig deplatziert", sagt etwa der Glarner Ständerat Fritz Schiesser (FDP). So etwas müsse in der Schweiz angekündigt werden, nicht im Ausland. Und zuerst müsse eine Bundesratsmehrheit dahinterstehen. Die Verkoppelung von Innen- und Aussenpolitik musste Folgen haben. Die Kritik war voraussehbar.

Blochers "Bauchschmerzen" sind verständlich

Blocher hatte es schon selbst mit der Strafnorm zu tun: Im Jahr 2000 erstattete das Zürcher Bezirksgericht Anzeige gegen ihn, weil er im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Vermögen 1997 behauptet hatte, den jüdischen Organisationen gehe es weniger um Genugtuung als ums Geld. Seine Partei hatte beim Referendum im Jahr 1994 die Strafnorm jedoch klar gutgeheissen, und auch Blocher selbst hatte sich dafür ausgesprochen. Während Hans-Jürg Fehr von einem Skandal sprach, begrüsste es Ständerat Hannes Germann - losgelöst von diesem konkreten Fall - dass Blocher das Antirassismusgesetz revidieren will. "Genau das habe ich mit einer Motion erfolglos gefordert". Germann geht es darum, dass ein rassistischer Witz am Stammtisch nicht zu einem juristischen Nachspiel führen kann.

Kommentar: Dass die politische Äusserung im Ausland über ein internes Gesetz einen Medienwirbel oder nach Luzi Stamm lediglich "einen Sturm im Wasserglas" auslösen wird, war vorhersehbar. Zumal Blocher als Justizminister ein wenig "Aussenminister" spielte und Aussen- und Innenpolitik vermischte. Aussenministerin Michelin Calmy-Rey war klug, dass sie ihren Kollegen in der Tagesschau nicht vor laufender Kamera massregelte. Es sieht so aus, als ob der Bundesrat endlich etwas gelernt hat und in diesem Fall zuerst intern "die Wäsche waschen wird". Zu oft hatten einzelne Magistraten vor Mikrofon und Kamera die Konflikte austragen. Einmal mehr sehen wir:

Ein Satz, ein Wort, eine kurze Äusserung kann einen enormen Wirbel auslösen.


Bundesrat Blocher muss damit rechnen, dass seine Kritik im Ausland weitere Folgen haben wird, falls es ihm nicht gelingt - nach der Rückkehr - die Wogen zu glätten. Es gibt genügend Kräfte, die darauf bedacht sind, den unbequemen Bundesrat endlich los zu werden.


Nachtrag vom 6. Oktober: Blochers Pressekonferenz
Christoph Blocher nahm am 6. Oktober im Konferenzraum beim Zürcher Flughafen Stellung zu seinen Äusserungen in der Türkei. Er fasst zuerst seine Rede mit einer Metapher zusammen:

"Da schlägt man den Sack und meint den Esel".


KLOTEN ZH. Marcus Knill, Experte für Medienrhetorik, verfolgte Christoph Blochers Auftritt. Seine Analyse. "Christoph Blocher begann sehr konzentriert. Innerlich hat er sich gesagt: Pass auf, dass du nicht einbrichst. Nach vorne gebeugt, erdete er auf dem Tisch. Blocher hielt sich als Vollblutrhetoriker an seine Botschaften. Gekonnt wiederholte er die Bilanz seiner Reise. Ich war als Justizminister in der Türkei, ohne den Zeigfinger zu erheben. Ich habe erklärt, dass ein Spannungsfeld zwischen Strafnorm und Meinungsfreiheit besteht. Dies bereitet mir Bauchweh. Dank meinem diplomatischen Verhalten war meine Türkei-Reise ein voller Erfolg. Als die Journalisten Blocher herausforderten, stand er auf. Wollte er signalisieren: Ich stehe zu meinen Aussagen? Nur einmal geriet er auf dünnes Eis. Als er gefragt wurde, ob man neben dem Armenier-Genozid auch den Holocaust wieder zur Diskussion stellen sollte. Da ging sein Atem schneller. Er begann zu nuscheln. Blocher lenkte die Antwort rasch aufs dicke Eis zurück - zu seinen Kernaussagen.


Nachtrag vom 8. Oktober 2006: "Sonntagsblick" vom 8. Oktober:


Fehr (SP) und Darbellay (CVP) fordern, dass Blocher das Dossier Antirassismusgesetz entzogen werden muss. Hans-Jürg Fehr ist einer der vehementesten Gegner Blochers, der schon lange darauf wartet, bis die Schweiz diesen missliebigen Bundesrat los wird. Da der Justizminister die Meinung vertreten hatte, dass es jedem Departementchef zustehe - sogar dazu verpflichtet sei - Gesetze im eigenen Bereich zu überprüfen, findet nun Fehr: So gehe dies nicht mehr weiter. Ein Bundesrat kann nicht einfach machen, was er will. Blocher sagte auch and der Medienkonferenz:

"Ich lasse mit nicht nehmen, ein Gesetz zu überprüfen!"


Angeblich soll das Überprüfen von Gesetzten des eigenen Ressorts auch in der Kompetenz des entsprechenden Departementchefs liegen.

Kommentar: Wenn nun direkt auf Christoph Blocher geschossen wird, besteht die Gefahr eines Bumerangeffektes. Es ist gut denkbar, dass die FDP bei dieser Attacke nicht mitspielt. Ein Mehrheitsbeschluss im Bundesrat wäre notwendig und der Provokateur Blocher hätte letztlich das erreicht, was er beabsichtigt hatte. Es besteht nun die Gefahr, dass die Blocher-Gegner nervös werden und den Kopf verlieren. Nach Provokationen wird oft mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Die Folge wäre, dass Gegner Blocher am Schluss noch bequemer im Sattel sitzt und ruhig auf seinem eingeschlagenen Kurs weiterreiten kann.

Wir vertraten immer die Meinung, dass Blocher sogar an das glaubt, was er sagt und persönlich davon überzeugt ist, dass er die Schweiz von der "bösen"EU schützen müsse, dass er die Neutralität zu verteidigen habe und sich für die Meinungsfreiheit, als eines der höchsten Güter, einstehen müsse. Und zwar ohne wenn und aber. Selbst dann, wenn er überstimmt wird. Falls er sich nur auf diese für ihn so wichtigen tragenden Säulen des Staates abstützt, kann er sogar mit der notwenigen Akzeptanz im Volk rechnen - wenngleich er von den meisten Medien und den wichtigsten Parteien angegriffen wird und von seinen Erzfeinden ins Pfefferland gewünscht wird.


Nachtrag vom 8. Oktober 2006:

Wie wir vermutet haben, ist nach Blochers "Befreiungsschlag" noch keine Ruhe eingekehrt. Der Wirbel war zu gross. Wie ein Wasserstrudel, so kann auch ein politischer Wirbel nicht auf Knopfdruck rasch gestoppt werden.

Ein Vorwurf, der auch der SVP Bauchschmerzen bereiten kann. Die NZZ am Sonntag vom 8. Oktober erwischt nun - nach der Medienkonferenz - Christoph Blocher auf dem "linken" Fuss (ist nicht parteipolitisch gemeint!) indem sie sein Verhalten von einer heiklen Seite aufrollt.

Diplomaten hätten nämlich Blocher vorgeworfen, in der Türkei die Neutralität verletzt zu haben:

  • Er sei vor einer fremden Macht in die Knie gegangen
  • Er habe nicht nur einen Volksentscheid in Frage gestellt, vor allem: Bundesrat Blocher habe sich neutralitätspolitisch aufs Glatteis gewagt, in dem er Vorbehalte gegenüber den Armenier-Genozid Leugnern habe.
Damit habe sich Blocher zum Anwalt der Türkei gemacht. Für die SVP müsste eigentlich dieses stichhaltige Argument "Bauchweh" machen. War es doch die Blocherpartei, die sich immer aus fremden Händeln heraushalten wollte und die Neutralität ständig hervorhebt. Wir sind gespannt, wie sich die SVP dieses happigen Vorwurfs entledigen kann.




Nachtrag vom 8. Oktober: Jurist Ochsner :

In der "SonntagsZeitung" erhält Bundesrat Blocher nun Zustimmung von unerwarteter Seite. Lienhard Ochsner von der SP stimmt Blocher zu, dass ein Revisionsbedarf bestehe.

"Der Artikel lässt offen, welche historischen Ereignisse Völkermord sind."


Das ritze den strafrechtlichen Grundsatz, wonach ohne klare gesetzliche Formulierung niemand bestraft werden könne. "20 Minuten": Ochsner ist Staatsanwalt beim Bund und fällte das in der Schweiz bislang einzige Urteil wegen des Völkermords an den Armeniern. Ochslin ist jedoch nicht für eine Abschaffung des Artikels, sondern vielmehr für eine Konkretisierung. 2001 musste er wegen der Leugnung des Völkermords 12 Türken freisprechen. In Frankreich gebe es eine Liste, welche Verbrechen als Völkermord bezeichnet.


Zur Fortsetzung: Aktuell Artikel vom 6. Oktober


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