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www.rhetorik.ch aktuell: (2. August, 2006)

Kraftvolle Stimme - vage Aussagen

Bundesratsfoto mit Doris Leuthard Die neue Bundesrätin Bundesratskandiatin gibt Tarif durch Aktuell Artikel über den Bundesrat Persoenlich Beitrag


Beobachtungen "live" am 1. August in Eischoll VS

Bei der Zusage als 1. Augustrednerin wusste Doris Leuthard noch nicht, dass diese Rede im Walliser 500 - Seelen-Dorf ihr erster öffentlicher Auftritt nach der Amtsübernahme werden könnte. Das Medieninteresse und der Publikumsandrang war denn auch am 1. August in Eischoll ernorm. Auch mich interessierte dieser erste Auftritt. Es ging mir weniger um ihre Wirkung auf dem Bildschirm oder um eine medienrhetorische Analyse, ich wollte die bekannte Bundesrätin bei ihrer ersten Rede hautnah erleben und die Stimmung in Eischoll mitverfolgen. Bei der Einführung stahl der Gemeindepräsident Hermann Brunner der neuen Volkswirtschaftsministerin beinahe die Show. In seinen äusserst witzig formulierten Begrüssungsworten verstand er es, den Versprecher "Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin" gekonnt aufzufangen, sodass im Saal innert weniger Minuten eine gelöste Atmosphäre herrschte. Leider setzte ein Stunde vor der Feier Regen ein und zwang die Organisatoren, die vor der Mehrzweckhalle geplante Veranstaltung, in den Saal zu verlegen. Der Raum war bereits vor acht Uhr zum Bersten voll. Die Menschen standen dicht gedrängt. Mit einer spontanen Sympathiekundgebung wurde die neue Magistratin begrüsst. In ihrer gewohnt fröhlichen, frischen Art gelang es Doris Leuthard, die Herzen des Publikums zu gewinnen. Da nicht alle Zuhörer Platz fanden, winkte die neue Bundesrätin bei der Begrüssung auch den Zaungästen herzlich zu, die draussen vor den Fenstern standen. Leider kam es durch die Umstellung zu einigen Unzulänglichkeiten:



Die verflixte Technik

Die Lautsprecheranlage wurde viel zu laut eingestellt (Bewusst, da die Zuhörer draussen die Rede auch noch mitbekamen sollten?). Jedenfalls wurde die Lautstärke nicht mehr reduziert. Dazu kam, dass Doris Leuthard mit lauter, kraftvoller Stimme (ständig "mit Power"- ohne Variationen) sprach. Die Lautsprecher standen vor der Rednerin, gegen das Publikum gerichtet, sodass sie die viel zu laute Beschallung im Raum nicht mitbekam. Dies machte uns einmal mehr bewusst: Es lohnt sich immer, die Lautsprecheranlagen vorgängig zu überprüfen. "Mirkofonsprechen" muss erlernt werden. Die meisten Referenten sprechen in einem grossen Saal - mit vielen Leuten - zu laut. "Mikrofonreden" heisst: Im Kammerton sprechen.

Redner sind Organisatoren ausgeliefert

Der Bundesrätin wurde zudem ein viel zu hohes Rednerpult hingestellt. Doris Leuthard ist nicht klein, dennoch verschwand sie beinahe hinter dem Pult, Gestik d.h. Arme und Hände waren nicht mehr sichtbar. Dies war nur für die Fernsehkameras kein Problem, sie konnten von oben filmen. Für die Zuhörer waren nur Kopf und Kragen ihrer weissen Bluse erkennbar. Weil die Höhe nicht stimmte, musste die Rednerin zu Beginn das Mikrofon von der Stirn- auf die Mundhöhe herunterziehen, was natürlich nicht ihr anzulasten ist. Obwohl ich auf eine ausführliche Analyse der Augustrede verzichten möchte, ist doch noch etwas zum Inhalt erwähnenswert:

Foto: vom Walliserboten

Die Rede war bundesrätlich

Mit Ausnahme einiger Passagen war der Vortrag - nach Aussage eines Tischnachbarn in der Mehrzweckhalle - "bundesrätlich". Damit stellte dieser Zuhörer treffend fest, dass die neue Bundesrätin bereits so sprach, wie es langjährige Mitglieder der Landesregierung tun: Sie pflegen eine sogenannte "Politikerrhetorik", bei der "über Vieles wenig gesagt" wird. Das vorgetragene Referat der neuen Bundesrätin war tatsächlich auch zu allgemein, zu vage formuliert. Das angekündigte Thema "Die Schweiz ohne Mauern" wurde nur gestreift und die zahlreichen aktuellen Themen, wie Probleme der Agrarpolitik oder Abstimmungsvorlagen zu oft mit allgemeingültigen, plausibel klingenden Phrasen beantwortet, wie beispielsweise:

"Wir müssen Spielräume schaffen." "Wir müssen für die Menschen investieren!" "Wir dürfen keine Mauern bauen, wenn ein schärferer Wind weht."


Die Bundesrätin sprach den Bürgern bei einigen Fragen ins Gewissen. So waren mahnende Worte zu hören, wie: "Seid solidarisch. Kauft nicht im Ausland ein!" Diese Appelle wurden jedoch in der gleichen Lautstärke vorgetragen und konnten nicht als wichtige Botschaft erkannt werden. Ob die Eischoller bei diesem Appell die richtigen Adressaten waren? Sie werden wohl kaum im Ausland einkaufen. Die Ermahnung war vielleicht eher für die zahlreichen Journalisten gedacht, damit sie diese Ermahnung publizieren. Bei der Rhetorik gilt übrigens der Grundsatz: Wichtiges muss bewusst hervorgehoben, betont werden und das Wesentliche ist zusätzlich mit einer Geschichte oder einem Beispiel zu veranschaulichen. Dies war leider bei der Rede von Doris Leuthard nicht der Fall.

Die neuen Bundesrätin sprach bewusst vage

Im Walliser Lokalradio verriet Doris Leuthard in einem Interview nach der Rede, weshalb sie keine Pflöcke eingeschlagen hat. Sie sagte, sie habe absichtlich so allgemein formuliert. Sie wollte sich als frischgebackene Bundesrätin bewusst zurückhalten und habe deshalb noch keine Visionen aufgezeigt.

Für eine junge Magistratin wäre es tatsächlich unklug gewesen, so wie Micheline Calmy-Rey in ihrer Augustansprache beim Ausländergesetz, gegen den eigenen Bundesrat zu reden. Doch hätte Doris Leuthard durchaus - auch als neue Volkswirtschaftministerin - einen persönlichen Kerngedanken konkret, bildhaft, erzählend vertiefen können. Auch Visionen dürfen formuliert werden. Weshalb nicht? Uns fehlte in Eischoll das konkrete nachhaltige Bild. Doris Leuthard schlug am 1. August keinen Pflock ein. Der Inhalt des Referates glich eher einer Pflichtübung. Die allgemeingültigen Gedanken wurden zwar kraftvoll vorgelesen, doch mangelte es an konkreten Kernbotschaften. Das Selbstmarketing gelang hingegen recht gut.

Zusammenfassend darf festgestellt werden: Es hat eine sympathische, gewinnende Person gesprochen. Die Rede war laut und kraftvoll, jedoch viel zu vage in den Aussagen.


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