Beobachtungen "live" am 1. August in Eischoll VS
Bei der Zusage als 1. Augustrednerin wusste Doris Leuthard noch
nicht, dass diese Rede im Walliser 500 - Seelen-Dorf ihr erster
öffentlicher Auftritt nach der Amtsübernahme werden
könnte. Das Medieninteresse und der Publikumsandrang war denn auch
am 1. August in Eischoll ernorm. Auch mich interessierte dieser erste
Auftritt. Es ging mir weniger um ihre Wirkung auf dem Bildschirm oder um
eine medienrhetorische Analyse, ich wollte die bekannte Bundesrätin
bei ihrer ersten Rede hautnah erleben und die Stimmung in Eischoll
mitverfolgen. Bei der Einführung stahl der Gemeindepräsident
Hermann Brunner der neuen Volkswirtschaftsministerin beinahe die Show. In
seinen äusserst witzig formulierten Begrüssungsworten verstand
er es, den Versprecher "Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin" gekonnt
aufzufangen, sodass im Saal innert weniger Minuten eine gelöste
Atmosphäre herrschte. Leider setzte ein Stunde vor der Feier Regen
ein und zwang die Organisatoren, die vor der Mehrzweckhalle geplante
Veranstaltung, in den Saal zu verlegen. Der Raum war bereits vor acht
Uhr zum Bersten voll. Die Menschen standen dicht gedrängt. Mit einer
spontanen Sympathiekundgebung wurde die neue Magistratin begrüsst.
In ihrer gewohnt fröhlichen, frischen Art gelang es Doris Leuthard,
die Herzen des Publikums zu gewinnen. Da nicht alle Zuhörer Platz
fanden, winkte die neue Bundesrätin bei der Begrüssung auch
den Zaungästen herzlich zu, die draussen vor den Fenstern standen.
Leider kam es durch die Umstellung zu einigen Unzulänglichkeiten:
Die verflixte Technik
Die Lautsprecheranlage wurde viel zu laut eingestellt (Bewusst,
da die Zuhörer draussen die Rede auch noch mitbekamen sollten?).
Jedenfalls wurde die Lautstärke nicht mehr reduziert. Dazu kam, dass
Doris Leuthard mit lauter, kraftvoller Stimme (ständig "mit Power"-
ohne Variationen) sprach. Die Lautsprecher standen vor der Rednerin,
gegen das Publikum gerichtet, sodass sie die viel zu laute Beschallung im
Raum nicht mitbekam. Dies machte uns einmal mehr bewusst: Es lohnt sich
immer, die Lautsprecheranlagen vorgängig zu überprüfen.
"Mirkofonsprechen" muss erlernt werden. Die meisten Referenten sprechen
in einem grossen Saal - mit vielen Leuten - zu laut. "Mikrofonreden"
heisst: Im Kammerton sprechen.
Redner sind Organisatoren ausgeliefert
Der Bundesrätin wurde zudem ein viel zu hohes Rednerpult
hingestellt. Doris Leuthard ist nicht klein, dennoch verschwand sie
beinahe hinter dem Pult, Gestik d.h. Arme und Hände waren nicht
mehr sichtbar. Dies war nur für die Fernsehkameras kein Problem,
sie konnten von oben filmen. Für die Zuhörer waren nur Kopf
und Kragen ihrer weissen Bluse erkennbar. Weil die Höhe nicht
stimmte, musste die Rednerin zu Beginn das Mikrofon von der Stirn- auf die
Mundhöhe herunterziehen, was natürlich nicht ihr anzulasten ist.
Obwohl ich auf eine ausführliche Analyse der Augustrede verzichten
möchte, ist doch noch etwas zum Inhalt erwähnenswert:
Foto: vom Walliserboten
Die Rede war bundesrätlich
Mit Ausnahme einiger Passagen war der Vortrag - nach Aussage eines
Tischnachbarn in der Mehrzweckhalle - "bundesrätlich". Damit stellte
dieser Zuhörer treffend fest, dass die neue Bundesrätin bereits
so sprach, wie es langjährige Mitglieder der Landesregierung tun:
Sie pflegen eine sogenannte "Politikerrhetorik", bei der "über Vieles
wenig gesagt" wird. Das vorgetragene Referat der neuen Bundesrätin
war tatsächlich auch zu allgemein, zu vage formuliert. Das
angekündigte Thema "Die Schweiz ohne Mauern" wurde nur gestreift
und die zahlreichen aktuellen Themen, wie Probleme der Agrarpolitik
oder Abstimmungsvorlagen zu oft mit allgemeingültigen, plausibel
klingenden Phrasen beantwortet, wie beispielsweise:
"Wir müssen Spielräume schaffen." "Wir müssen für
die Menschen investieren!" "Wir dürfen keine Mauern bauen, wenn
ein schärferer Wind weht."
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Die Bundesrätin sprach den Bürgern bei einigen Fragen
ins Gewissen. So waren mahnende Worte zu hören, wie: "Seid
solidarisch. Kauft nicht im Ausland ein!" Diese Appelle wurden jedoch in
der gleichen Lautstärke vorgetragen und konnten nicht als wichtige
Botschaft erkannt werden. Ob die Eischoller bei diesem Appell die
richtigen Adressaten waren? Sie werden wohl kaum im Ausland einkaufen.
Die Ermahnung war vielleicht eher für die zahlreichen Journalisten
gedacht, damit sie diese Ermahnung publizieren. Bei der Rhetorik gilt
übrigens der Grundsatz: Wichtiges muss bewusst hervorgehoben, betont
werden und das Wesentliche ist zusätzlich mit einer Geschichte
oder einem Beispiel zu veranschaulichen. Dies war leider bei der Rede
von Doris Leuthard nicht der Fall.
Die neuen Bundesrätin sprach bewusst vage
Im Walliser Lokalradio verriet Doris Leuthard in einem Interview nach
der Rede, weshalb sie keine Pflöcke eingeschlagen hat. Sie sagte,
sie habe absichtlich so allgemein formuliert. Sie wollte sich als
frischgebackene Bundesrätin bewusst zurückhalten und habe
deshalb noch keine Visionen aufgezeigt.
Für eine junge Magistratin wäre es tatsächlich unklug gewesen,
so wie Micheline Calmy-Rey
in ihrer Augustansprache beim Ausländergesetz, gegen den eigenen
Bundesrat zu reden. Doch hätte Doris Leuthard durchaus - auch als neue
Volkswirtschaftministerin - einen persönlichen Kerngedanken konkret,
bildhaft, erzählend vertiefen können. Auch Visionen dürfen
formuliert werden. Weshalb nicht? Uns fehlte in Eischoll das konkrete
nachhaltige Bild. Doris Leuthard schlug am 1. August keinen Pflock
ein. Der Inhalt des Referates glich eher einer Pflichtübung. Die
allgemeingültigen Gedanken wurden zwar kraftvoll vorgelesen, doch
mangelte es an konkreten Kernbotschaften. Das Selbstmarketing gelang
hingegen recht gut.
Zusammenfassend darf festgestellt werden:
Es hat eine sympathische, gewinnende Person gesprochen.
Die Rede war laut und kraftvoll, jedoch viel zu vage in den Aussagen.
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