Grosse Erwartungen
"Wir sehen einem Duell auf Leben und Tod entgegen, das nicht nur dem
Ansehen unseres Landes schadet, sondern auch seiner Demokratie."
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kündigte jüngst der "Corriere della Sera" an.
Mit der Begegnung am Dienstag erhofften sich die italienischen Wähler
dreieinhalb Wochen vor der Parlamentswahl am 9. April die ungleichen
Kandidaten in direkter Gegenüberstellung kennen zu lernen. Berlusconi
hat als Medien-Unternehmer ausgesprochene Fernseherfahrung. Er
ist geübt, seine Gesprächspartner auszutricksen. Prodi
dagegen ist im Auftreten eher zurückhaltend, spricht oft leise und
drückt sich nach Ansicht vieler Beobachter gerne recht kompliziert
aus.
Der erste Eindruck
Berlusconi und Prodi waren beide klassisch eingekleidet. Ein dunkler
Anzug vermittelt bekanntlich Seriosität. Dies beachten alle
Politiker bei Duellen. Zum nachtblauen Kleid tragen beide gleichsam
Hemden im zarten Hellblau. Beide machten einen gepflegten Eindruck
Lediglich die Krawatten waren unterschiedlich. Belusconis
dunkelblauer Schlips war weiss getupft, Prodis mittelblaue Seidenkrawatte
hingegen mit kleinen weissen Punkten versehen. Beide sassen locker
und präsent da und hatten in einer für die Stimmbänder ideale
Sitzposition inne. Bei Berlusconi ist den Zusehern bekannt, dass er die Haare
färbt und sein Gesicht liften liess. Beide Duellanten unterschieden
sich im nüchternen hellem Studio kaum. Der Hintergrund mit grossen weissn
Kaccheln war weiss, wie in einem Operationssaal. Er wirkte steril und kalt.
Solche Details dürfen wir bei der Wirkung nicht unterschätzen.
Dies zum ersten Eindruck. Noch haben wir weder Prodi noch Berlusconi
gehört. Nachdem wir nach erste Sequenzen innehielten, wurden nun innert
weniger Minuten verschiedene Differenzen deutlich:
Prodi sprach freundlich und ruhig. Er wirkte natürlich und locker mit
persönlicher angemessener Gestik. Seine Stimme ist im Kammerton. Doch fehlte
es nicht an dynamischen Akzenten. Die gute Pausentechnik beim Sprechen war
bemerkenswert. Pausen vermitteln Überlegenheit. Wir verspürten ein
Engagement und das Bemühen um Präzision in der Formulierung. Ab
und zu schaute zwar Prodi in die Kamera. (Wir fragen uns, ob dies
antrainiert surde.) Im Übrigen sprach er frei und hatte Augenkontakt
mit den Journalisten.
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Berlusconi wirkte während der ersten Sätze viel
nervöser. Er griff in die Tasche und hielt ständig den Stift
in der rechten Hand mit dem er gleichsam die Aussagen abhakte. Sein
Blick haftete zu oft am Manuskript, als lese er ab. Was auffiel:
Belusconi zeichnete während des Sprechens Striche, Punkte und auch
Zahlen? aufs Papier. Immer wieder zog er einen Strich unter den fertig
formulierten Gedanken, als führe er eine Buchhaltung. Wenn Belusconi
aufschaute, blickte er stets nach rechts. Den Kontrahenten klammerte
er mit den Augen aus. Wir hatten nie das Gefühl, er baue mit den
Augen eine Brücke zum Gegenüber.
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Diese Analyse betrifft nur
die ersten Sätze. Doch diese sind immer aufschlussreich.
Zu langweilig und zu gleichförmig?
Es war offensichtlich, dass die Duellanten darauf bedacht waren, die
Nerven nicht zu verlieren. Die Stimmen klangen dadurch über weite
Strecken zu gleichförmig. Wir vermuten, dass viele Zuschauer
"ausgestiegen", weggezappt waren. Es mangelte an dynamischen Elementen.
Kandidaten stritten zuerst über Euro und Steuern.
Steuersenkung, Kampf gegen die Steuerhinterziehung und Massnahmen zur
Ankurbelung der flauen Wirtschaft standen zu Beginn des Fernsehduells
im Vordergrund.
Prodi fand, die Lohnkosten müssten gesenkt werden.
Als Oppositionschef stellte er die Pläne seines
Mitte-Links- Bündnisses zur Senkung der Lohnkosten um
fünf Prozent vor. Dadurch sollte die italienische Industrie an
Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Zugleich versprach er Massnahmen
zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Berlusconi sparte nicht mit Kritik an der Opposition. Prodi sei nur ein
"Frontmann" ohne Partei hinter sich, weil die Kandidaten der Linksparteien
wegen ihrer kommunistischen Vergangenheit unglaubwürdig seien. Er
zweifle an der Stabilität des Mitte-Links- Bündnisses, das
aus elf Parteien bestehe.
Die beiden Kandidaten stritten hernach um das Thema Teuerung nach der
Euro-Umstellung. Berlusconi warf den vor seinem Amtsantritt im Jahr 2001
regierenden Mitte-Links-Kabinetten vor, den Euro zu hastig eingeführt
zu haben, ohne an die Folgen der Umstellung zu denken.
Die Folgen hätten die Italiener noch zu zahlen, da sich ihre
Kaufkraft nach der Euro-Umstellung deutlich reduziert habe. Prodi
erwiderte, dass die Regierung Berlusconi nicht dafür gesorgt habe,
illegale Preiserhöhungen unter Kontrolle zu halten.
Zur Vorbereitung
Sicher hatten sich beide Kandidaten minuziös
vorbereitet:
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Uns ist bekannt, dass Berlusconi stundenlang mit seinen
Medienexperten trainierte.
Berlusconi droht bei den Wahlen eine Niederlage. Er muss sich noch
weiter anstrengen um zu gewinnen.
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Prodi seinerseits liess sich angeblich von einem
Image-Experten beraten und bereitete sich intensiv vor. Er
soll mehrere Passagen seines 260-seitigen Wahlprogramms auswendig
gelernt haben.
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Medienspiegel zum verbalen"Schlagabtausch"
- Netzeitung: "TV-Duell Berlusconi gegen Prodi ohne Sieger"
Weder Berlusconi noch sein Herausforderer Prodi haben beim Fernsehduell
eine besonders gute Figur gemacht:
Das Fernsehduell zwischen dem italienischen Ministerpräsidenten
Silvio Berlusconi und seinem Herausforderer Romano Prodi ist ohne klaren
Sieger zuende gegangen. Laut Medienexperten blieben Überraschungen
aus. Im Mittelpunkt des 90-minütigen, mit Spannung erwarteten
verbalen Schlagabtauschs standen innenpolitische Themen wie Steuern
und Einwanderung.
- Schaffhauser Nachrichten: "Berlusconi spaltet Italien"
Prodi betonte, dass Italien eine Person als Regierungschef brauche,
die dem Land nach Jahren der Stagnation neue Hoffnung und Mut
geben könne. "Ich habe den Posten des Regierungschefs und
EU-Kommissionspräsidenten bekleidet. Ich suche im Leben nichts
mehr." Berlusconi sei kein Einigungsfaktor, er spalte das Land.
Weiter stritten die Kandidaten um Steuersenkungen, den Kampf gegen die
Steuerhinterziehung und Massnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft.
- Spiegel
"Die Debatte zeigte einen eher steifen Ministerpräsidenten,
der ein vor sich liegendes Papier mit geometrischen Figuren
bekritzelte und sich über die strikten Regeln der Diskussion
aufregte, während sein Gegner im
Laufe der Zeit zunehmend lockerer wurde und mit einigen gezielten Spitzen
gegen Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition punktete.
Der Oppositionsführer versuchte, seinen Ruf als farbloser Politiker
abzustreifen, lächelte und blickte direkt in die
Kamera. Berlusconi zog Prodis Antworten ständig ins Lächerliche.
Mehrmals musste Berlusconi ermahnt werden,
weil er seine Redezeit überschritt.
Berlusconi ist als Medien-Unternehmer ausgesprochen fernseherfahren und
geübt darin, seine Gesprächspartner auszumanövrieren. Prodi
dagegen ist im Auftreten sehr zurückhaltend, spricht leise und
drückt sich nach Ansicht vieler Beobachter zu kompliziert aus.
Bei dem Duell galten allerdings strenge Regeln: Für die Statements der
Kandidaten wurde eine Zeitbegrenzung festgelegt, und während einer
von beiden sprach, wurde die Reaktion des anderen nicht gezeigt.
Politexperten gaben dem Herausforderer den Vorzug. Prodis Auftritt sei
"werbekräftiger" gewesen, fand Politikwissenschaftler
Renato Mannheimer. Er habe einfach
und klar gesprochen und einige witzige Spitzen gegen die Regierung
losgelassen. Berlusconi habe nur seine "üblichen Angriffe gegen
die Linke wiederholt".
Nach Einschätzung des Organisators der Debatte, Paolo Gentiloni,
"sprach Prodi wie der künftige, Berlusconi dagegen wie der
scheidende Ministerpräsident, der seine Bilanz mit zu vielen
Zahlen verteidigte". "Häufig einfach langweilig", fand Berlusconis
Ex-Minister Marco Follini von der Zentrumspartei UDC die Debatte.
- Tirol online:
Der italienische Oppositionschef Romano Prodi hat Ministerpräsidenten
Silvio Berlusconi in dem TV-Duell Dienstag Abend beschuldigt, die
Mitte-Links-Kabinette seiner Vorgänger für alle Probleme des
Landes verantwortlich zu machen.
"Während seiner fünfjährigen Amtszeit hat Berlusconi nur
Gesetze zu seinem eigenen Nutzen verabschiedet", kritisierte Prodi. Die
Schuld für die zahlreichen Probleme, die die Regierung Berlusconi
nicht gelöst habe, könne nicht immer nur auf die Vergangenheit
geschoben werden.
Berlusconi beschuldigte die Linke, in den vergangenen Jahren eine unfaire
Opposition betrieben zu haben. "Verleumdungen und Beschimpfungen waren
das Leitmotiv der Opposition während der letzten Legislaturperiode.
80 Prozent der Streiks, die ausgerufen wurden, hatten einen politischen
Hintergrund", kritisierte der Regierungschef. Er attackierte auch
die Richter, die seiner Ansicht gegen ihn und die Regierungskoalition
voreingenommen seien.
Prodi versicherte, dass seine Mitte-Links-Allianz im Fall eines Wahlsiegs
das Problem der Konflikte zwischen politischen und wirtschaftlichen
Interessen der Regierungsmitglieder lösen werde. "Ich werde es
nicht auf rachsüchtige Art machen.
- Tagesanzeiger: "Berlusconi tritt im Fernsehduell
gegen Prodi verkrampft auf."
Im ersten Duell gab es einen überraschend klaren
Sieger. Herausforderer Prodi war konkreter und souveräner. Dank
dem sterilen Dekor wurde Gemütszustand und Natur der Kontrahenten
hervorgehoben. Berlusconis Kernaussage: Prodi ist "Strohmann" und Geisel
der Kommunisten. Prodis Kernaussage: Er sprach immer wieder von Zukunft,
Fortschritt und Dialog.
- DRS 1: "Das Rennen ist offen".
Nach Italienkorrespondent Rolf Pellegrini ist das Rennen noch offen,
obschon nicht garantiert werden kann, dass ein Mann mit Medienmacht
die Macht weiterhin behalten kann. Berlusconi lenkt immer von seinen
Skandalen ab . So warf er Prodi Filz bei den Roten vor. Berlusconis
Ueberpräsenz ist sehr gefährlich. Denn wenn er zu stark
auftritt, kann es zu einem Kontereffekt kommen. Anderseits mögen in
Italien viele Prodi nicht. Er polarisiert. Der Mittelstand befürchtet
die Einführung der Erbschaftsteuer, einen erhöhten Papierkrieg
und mehr Steuern. Berlusconi hatte bislang eher schwache Leser und
Rentner angesprochen, die er mit Versprechen bediente. Nach Pellegrini
wird es in Italien eine Entscheidungswahl geben. Hier ist Politik kein
ideologischer Kampf. Es geht immer um eine Dosierungsfrage. Was ist
möglich? Wieviel von was erträgt es? Diesen Mix zu verkaufen
ist angeblich das schwierigste im Wahlkampf. Denn dies ist in einem
Duell nicht darstellbar.
- NZZ "Der Oppostionsführer wirkt gelassener und weniger giftig."
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Die NZZ schilderte Prodi:
- als behäbig
- hatte Mühe konkrete programmatische Alternativen darzulegen
- formulierte schwammig bei den Belastungen der Lohnkosten
- bestach durch Gelassenheit
- hatte einen konzilianten Grundton
- wirkte geradezu grossväterlich
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Zu Berlusconie schrieb die NZZ:
- erschien zuerst eloquenter
- wurde zunehmend verspannt, giftig und rechthaberisch
- versteifte sich kleinlich auf die Verteidigung seiner bisherigen Regierung
- zitierte wie aus einem Maschinengewehr Zahlen
- wirkte verbissen
- überschritt mehrmals die Sprechzeit und reagierte darauf gereizt:
Die Regeln würden eine echte Auseinandersetzung verhindern.
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