Laut NZZ vom 21. Januar soll Blocher an der Albisgütliveranstaltung
zahmer geworden sein. Wir zitieren aus aus dem
Artikel:
"16 Jahre lang hat Christoph Blocher jeweils zu Jahresbeginn
im Zürcher Schützenhaus
Albisgütli den politischen Gegnern die Leviten gelesen. Als
Nationalrat und Parteipräsident der kantonalen SVP war ihm
die Freiheit gegeben, unzimperlich vom Leder zu ziehen. Nun ist
Blocher Bundesrat. Liegt es an der neuen Aufgabe, dass die 1400
erwartungsfrohen Besucher im Schützenhaus einen eher verhaltenen
Blocher zu hören bekamen? Kein Seitenhieb gegen andere Parteien oder
Bundesratskollegen, kein Wettern gegen den Sozialismus, kein Poltern gegen
das Aufblähen des Staates, sondern eine nüchterne Ansprache
des Justizministers. Hier sprach nicht mehr der Volkstribun Blocher.
Hier sprach der Bundesrat, der aus seinem politischen Alltag berichtete
und der die sachpolitischen Zwänge seiner Arbeit nicht verbergen
konnte und wollte."
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Im Zusammenhang mit der Albisgütlirede auch die "Basler Zeitung"
vom 20. Januar Blochers Rhetorik kritisch beleuchtet und in ihrer
Analyse über den angeblich zahmer gewordenen Bundesrats mit
dem Satz geschlossen:
"Vielleicht wird Blocher einfach nur langsam alt?"
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wollten wir seinen Auftritt am 26. Januar in Schaffhausen
genauer verfolgen und klären,
ob der Volkstribun als Bundesrat tatsächlich zahmer geworden
ist. Bundesrat Blocher sprach innerhalb des Vortragszyklus Bürger
und Staat: Ein Verhältnis auf dem Prüfstand. Am Vortag des
Geburtstages von Mozart referierte er über das Verhältnis
von Bürger und Staat und Mozart.
(eine gescannte Version des Artikels ist unten).
Fragen vor dem Vortrag
Journalisten und Publikum werden sich vor dem Auftritt vom 26. Januar
2006 in der Schaffhauser Rathauslaube gefragt haben: Gelingt es dem
Bundesrat in seinen Ausführungen eine Verbindung zwischen Mozarts
250. Geburtstag zur aktuellen politischen Landschaft in der Schweiz
zu machen?
Regierungsratpräsident Lehnherr führte den
prominenten Gastredner sogar mit der Bemerkung ein, auch er rechne
mit Überraschungen.
Seit Jahren verfolgten wir Blochers Rhetorik
- insbesondere seine Medienrhetorik - und vertraten wiederholt die
Meinung, dieser Vollblutpolitiker glaubt an das, was er sagt. Deshalb
könne er sein Publikum begeistern. Es ist keine neue Erkenntnis,
dass rhetorisches Schönreden allein nicht überzeugt. Ein
Gedanke kann nur dann etwas bewirken, wenn er verständlich,
nachvollziehbar und mit echtem Engagement übermittelt wird. Und
dies ist nur dann möglich, wenn der Redner auch an das glaubt, was er
sagt. Seit der Wahl in den Bundesrat war festzustellen, dass immer dann,
wenn Christoph Blocher eine Meinung vertreten musste, hinter der er nicht
stehen konnte, er erhebliche Mühe hatte. Diese Auftritte verkamen
zu faden Pflichtübungen.
Blocher nutzte in diesen Fällen die sogenannte "Ja-aber Rhetorik". Die
Gegenargumente, die er nicht teilte, aber vertreten musste, trug
er trocken ohne stimulierendes Beiwerk vor. Die Formulierungen
waren allgemein, möglichst abstrakt, aber dennoch inhaltlich
korrekt. Die gegenteilige Meinung aber, die er im Grunde genommen vertrat
und gegen die er auftreten musste, schilderte er bildhaft und konkret.
Die Bildrhetorik fiel Blocher, als Sohn eines Pfarrers, stets leicht.
Sein Vater wirkte in der Kirchgemeinde Laufen/Uhwiesen beim Rheinfall.
Er brachte seinen Kindern schon am Esstisch bei, so zu reden, dass
sich die andern das Gesagte vorstellen konnten. Pfarrer Blochers These
lautete: Sprecht so, dass man es sieht!
Der Vortrag
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In Schaffhausen in der Rathauslaube trafen wir wieder den alten
Rhetoriker, der sein Publikum zu begeistern vermochte. Doch der
Vortrag, respektive die Vorlesung, war keine Kampfrede und es fehlten
persönliche Angriffe. Die Rede hatte ein neues Genre. Die Gedanken
waren intellektueller formuliert, aber gut nachvollziehbar und
gekonnt strukturiert. Zuhörer bestätigten,
dass diese Rede ein erstaunlich hohes Niveau hat. Staatsmännisch
nutzte Bundesrat Blocher seine neue Rolle, um seinen Eidgenossen einzelne
grundsätzliche Gedanken Mozarts zum Staat und seinen Bürgern
vorzutragen. Die Zuhörer merkten bald, diese Gedanken entsprachen
durchaus den Grundsätzen des Gastredners. Blocher hatte ein leichtes
Spiel, nicht nur dank des Heimpublikums im vollen Saal (Blocher ist in
Schaffhausen geboren).
Das Referat war wohl bedacht und so vorformuliert, dass niemand, wie es beim
improvisierten Reden gerne geschieht verletzt werden konnte. Blocher
hielt sich in Schaffhausen genau an das Manuskript - in Standardsprache
gehalten - mit zentralen Botschaften, die er trotz des Ablesens mit
Nachdruck hervorzuheben verstand. Man hatte den Eindruck, der Redner sei
selten vom wohlbedachten Manuskript abgewichen. Blochers Sprechtempo war
angemessen. Trotz der intellektuelleren Vorlesung fühlten sich
die meisten angesprochen. Der Redner beherrschte auch das Ablesen mit
schweifendem Blick. An dynamischen Akzenten mangelte es nicht, wie es bei
vorformulierten Vorträgen sonst der Fall ist. In gewohnter Manier
kümmerte sich Blocher nie um eine korrekte Körperhaltung. Er
beugte sich meist stark nach vorn und erdete sich mit den Händen
auf dem Pult. Dennoch redete er vielfach - wie für ihn typisch
- mit ausholender Gestik. Blocher konzentrierte sich voll und ganz
auf den Inhalt. Die kleinen Mikrofonknakser, hervorgerufen durch
das Berühren des Mikrofons, beeinträchtigten den Vortrag
kaum.
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Gibt es ein Geheimnis für erfolgreiche Präsentationen?
Das ist übrigens eines der Geheimnisse des Erfolges bei allen
Präsentationen: Wer sich während des Sprechaktes voll und ganz
auf seine Gedanken und das Publikum einstellt, hat zwangsläufig mehr
Erfolg. Allfällige Fehler und Pannen werden dann übersehen. Die
Person und die Botschaft überzeugt. Das Publikum hat ein gutes
Sensorium für Schönredner, für aufgesetzte Theatralik oder
Falschspieler. All jene, die während des Sprechens an die eigene
Mimik, den Blickkontakt, die Gestik d.h. an sich. denken, können gar
nicht hundertprozentig beim Publikum und den eigenen Gedanken sein. Wer
erinnert sich nicht an Adolf Ogis legendäre Neujahransprachen in
Genf und Kandersteg. Als Ogi während der Aufnahme an seine Gestik
dachte und während des Sprechens ständig überlegen musste,
was er mit den Händen tun solle, welcher Ast der Tanne berührt
werden muss, oder wann die Hände zum Körper geführt
werden sollten. Ogi überzeugte bei jenem Auftritt nicht, es
war eher peinlich. Der Redner machte sich damals lächerlich.
Blocher verbindet sich gerne mit Persönlichkeiten
Aus Blochers früheren Reden konnte bereits vor Jahren in
Zürich heraushören, dass er seine Mahnworte gerne geschickt
mit berühmten Persönlichkeiten verbindet. Damals mit
Churchill, der Europa gerettet hatte, und dennoch abgewählt
wurde. Bei jener Rede war zu verspüren, dass Blocher seinem
Engagement für die Neutralität und die Unabhängigkeit
der Schweiz unbeirrbar und ohne Rücksicht auf Beliebtheit oder
Karriere- verpflichtet ist. Damals glaubte noch niemand daran, dass
der provozierende Oppositionspolitiker den Schritt in die Exekutive
schaffen würde. Doch er schaffte ihn. In Schaffhausen war
wieder zu spüren: Blocher fühlt sich als Träger einer
wichtigen Mission. Er ist und bleibt gleichsam Missionar. Auch als
Bundesrat glaubt er verpflichtet zu sein, die Schweiz vor schlechten
Einflüssen bewahren zu müssen, und zwar konsequent und
auftragsorientiert ungeachtet aller Kritik und mit dem Risiko,
wie es Churchill widerfuhr. Blocher weiss, er riskiert ebenfalls mit
seinem kompromisslosen Einsatz für seinen Auftrag, plötzlich
abgewählt zu werden. An Gegnern fehlt es gewiss nicht, die ihn
abwählen möchten. In Schaffhausen war erkennbar, Christoph
Blochers Einstellung zu den Bürgern und dem Staat stimmt auch mit
der Einstellung des Genies Mozart überein. Damit positionierte
sich Blocher wiederum neben eine unsterbliche Persönlichkeit.
So wie die Musik von Mozart grundsätzliche Botschaften
übermittelt, basiert Blochers politisches Credo auf analogen
Grundsätzen: Schon zur Zeit Mozart trieb im Absolutismus der Staat
Geld ein, verwaltete es und gab es aus. Die Ausgaben explodierten (Wir
geben heute noch mehr aus!- Sparen ist angesagt). Mozart stellte stets
Fragen und wagte Sachverhalte in Frage zu stellen. Das haben bekanntlich
Vorgesetzte und vor allem Politiker nicht gern (Bundesrat Blocher ist
bekannt als unbequemer Fragesteller). Blochers Rhetorik bestach durch
konsequentes Wiederholen seiner zentralen Botschaft:
Mozart blieb seinem Auftrag treu. Er hat zwar den Kampf verloren,
seinen Kampf der sachgerechten Auftragerfüllung gegen alles nur
prestigemässige, das der Auftragerfüllung immer radikal und
erbittert im Wege steht. Man spürte in Schaffhausen erneut: Ich,
Bundesrat Blocher, werde ebenfalls nur meinem Auftrag verpflichtet
sein, ungeachtet des Risikos, mit diesem Kampf für den Auftrag
unterzugehen. Die Devise: Mit dem Auftrag anfangen, beim Auftrag bleiben
und mit dem Auftrag aufhören! Sie gilt nicht nur für Mozart. Wer
Bundesrat Blocher verfolgte, erkannte: Er identifiziert sich mit Mozarts
Grundsätzen.
In alter Manier koppelte Blocher im Schaffhauser Referat seine
Grundsätze geschickt an Zitate, Bibeltexte, Beispiele oder
an eine Geschichte. Sein Kerngedanke: "Es lohnt sich, für die
Auftragerfüllung alles zu riskieren" nahm in der Rede den
grössten Raum ein.
Fazit:
Blochers grundsätzliche Botschaften haben sich durch die neue Rolle
als Bunderat kaum, die Art und Weise des Sprechens hingegen deutlich
verändert. Es wäre denkbar, dass er als Magistrat gezielt ein
neues Publikum ansprechen und gewinnen möchte. In Schaffhausen hat
sich jedenfalls gezeigt: Die alte Garde steht immer noch hinter ihrer
kämpferischen Leitfigur. Die Frage müsste uns beschäftigen:
Gelingt es dem ungewöhnlichen Bundesrat mit der neuen Art und Weise
seiner Rhetorik, auch ein neue Bevölkerungsschicht anzusprechen
und zu gewinnen?
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