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www.rhetorik.ch aktuell: (2. Dezember, 2005)

Umstrittene Weihnachtsbeleuchtung



Es ist nicht die Rede von den Hausbesitzern, die um die schönste illuminierte Weihnachtsdekoration wetteifern. Es geht hier um die neue Weihnachtsbeleuchtung der Zürcher Bahnhofstrasse, wo ein Hightech-Event angekündigt worden ist.

Für manchen Geschmack wirkte jedoch die neue Beleuchtung kälter als die herrschende Bise. Leuchtröhren, die an das kalte Bürolicht erinnert, hängen wie ein Vorhang - senkrecht an Drähten.

Statt der bisherigen traditionellen weltbekannten Lichterketten, die seit Jahren die Bahnhofstrasse mit einem immensen Sternenmeer von Lichtern verzauberte, sind nun dieses Jahr 275 Leuchtkörper installiert worden, die über der Strasse ein Lichtband aus 240´000 Lämpchen bilden Nachdem die Installation vor tausenden Schaulustigen zu Klängen des Musikers Boris Blank von Yello zum Leuchten gebracht wurde, kam es zu keinem besonderen Begeisterungssturm. Bei "The World Largest Timepiece" (frei übersetzt: die grösste Schaltuhr der Welt), wie die Weihnachtsbeleuchtung heisst, handelt es sich um ein Werk der Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler.
In den 275 Leuchtkörpern, die aus Glasfaserrohren zusammengesetzt sind, wurden je 32 Lichtquellen eingelassen. Diese wiederum bestehen aus jeweils 28 Leuchtdioden. Insgesamt werden also rund 240'000 dieser kleinsten Lämpchen die Bahnhofstrasse in ein neues Licht tauchen.

Das Besondere an der neuen Beleuchtung: Das Licht kann über eine Steuerungsanlage variiert werden. Zu Beginn der Adventszeit wird ein ruhiges Licht eingeschaltet. Wenn Weihnachten näher rückt, wird die Stimmung, die durch das Licht erzeugt wird, sich ständig verändern, und zum Jahreswechsel sollen sogar Funken sprühen.

Auch in den Medien weckte die teure neue Beleuchtung keine Begeisterungsstürme. Wir hörten Kommentare von einer "Fabrikhalle mit aufgehängten Neonröhren". In einer Diskussion von Tele Züri wurde gesagt, die Beleuchtung sei kalt und technisch.


Was haben nun die umstrittenen "kalten", computergesteuerten Lichtröhren mit Kommunikation zu tun? Es geht um die Interaktion "Kunstwerk- Publikum" und die Wirkung einer Installation bei den Adressaten. Wir sind uns bewusst: Alles Neue wird meist apriori abgelehnt. Veränderungen wecken Widerstände (Veränderungsmanagement). Kommt es nach der Ablehnung zu keiner Akzeptanz, so müsste man sich fragen, ob sich ein Wechsel gelohnt hat. Der Wandel darf nicht Selbstzweck sein. Wechsel müssten stets zu Verbesserungen führen. Dass die neue Beleuchtung besser ist als die alte, darf bezweifelt werden. Wie bei der Expo, so könnte auch die Beleuchtung der Bahnhofstrasse zum Ausdruck des herrschenden Zeitgeistes werden und die Installation könnte später als Zeitzeuge eine besondere Bedeutung erhalten. Auch die Stromverbrauchreduktion von 80% gegenüber der alten Beleuchtung ist ein Argument. Auch sind die Architekten durch die Kontroverse ins Rampenlicht gelangt. Kontroverse gibt immer auch Presse.


Wenn wir dem alten "stillen" Lichtermeer nachtrauern, so gibt es gewichtige Gründe, die gegen die heutige Röhrenbeleuchtung sprechen. Advent ist die Zeit der Besinnung. So wie bei der Rhetorik die Pause, das Warten, das Innehalten, das Entschleunigen aufgewertet wurde - vor allem in der heutigen Zeit der Informationsschwemme, der Informationsüberflutung, so müsste eigentlich auch eine neue Beleuchtung ebenfalls die Stille, die Wärme betonen - gleichsam als Gegengewicht zur Hektik der gestressten Käufer. Wir zweifeln daran, dass es der Mehrzahl der Betrachtern warm ums Herz wird.


Fabio Gramazio
Fabio Gramazio
Zahlen zur Weihnachtsbeleuchtung von Gramazio und Kohler in Zahlen Quellen: NZZ vom 24. November 2005, NZZ, Vereinigung Bahnhofstrasse/Kummler & Matter. Fotos der Architekten: www.architetti-svizzeri.ch Matthias Kohler
Matthias Kohler
Anzahl Leuchtstangen275
Länge der Stangen7 Meter
Gewicht pro Stange29 Kilogramm
Abstand zwischen den Rohren4 Meter
Rohrdurchmesser15 Zentimeter
Länge der Beleuchtung1.1 Kilometer
Anzahl Lichtpunkte pro Stab32 mit je 28 LED
Anzahl LED insgesamtrund 240'000
Verankerungen210 (davon 80 bestehende)
Höhe der Verankerungen8 bis 20 Meter
Länge der verbauten Stahlseile11'000 Meter
Durchmesser der Stahlseile8 und 9 Millimeter
Gewicht der Anlage14 Tonnen
Leistung pro Stab150 Watt
Brenndauer pro Jahrmaximal 320 Stunden
Lebensdauer der LED50'000 Stunden
Anzahl Strom-Transformatorenboxen46
Stromverbrauch pro Jahr13'200 Kilowattstunden
Stromkosten jährlich2640 Franken
Stromersparnis gegenüber alter Beleuchtung80%
Kosten2.4 Millionen Franken (privat finanziert)
BetreiberEWZ in Contracting-Vertrag


Nachtrag vom 23. Dezember 2005: Verworfene Alternativen: Die Zeitung "20 Minuten" hat verworfene Alternativen zur umstrittenen Wheinachtsbeleuchtung gezeigt:





Nachtrag vom 2. November 2008:

Die Zürcher Bahnhofstrasse bekommt 2009 wieder eine Beleuchtung, die wieder deutlich an Weihnachten erinnert.



Nachtrag vom 26. November, 2010 Im Jahr 2010 wurde eine kundenfreundliche Beleuchtung mit Winterstimmung eingeweiht. Aus dem Tagi:
"Lucy" ist "besser als die alte Beleuchtung" Gestern um 18 Uhr pilgerten Tausende an die Bahnhofstrasse, um die Premiere der neuen Weihnachtsbeleuchtung zu erleben. "Lucy" kommt zwar besser an als die Röhren, die Begeisterung hielt sich aber in Grenzen.
Es lohnt sich bei allen Kommunikationsprozessen, die Zielgruppe miteinzubeziehen oder herauszufinden, was die Aderessaten interessiert.
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