Die Bevölkerung wurde erst am Montag, dem 14. November 2005
über den Giftanschlag auf die Bodensee-Wasserversorgung
(BWV) informiert. Es war zu erfahren, dass zwei offene Plastikanister
bei der Ansaugstelle des Bodenseetrinkwassers versenkt worden
waren. Die Gefässe wurden bereits am Mittwoch, dem 9. November
entdeckt und untersucht. Die Begründung des Stillschweigens war:
Aus ermittlungstaktischen Gründen sei die Bevölkerung nicht
informiert worden. Man habe die Bevölkerung nicht unnötig
beunruhigen wollen.
Wie zu erfahren war, erhielt die BVW sogar schon am
18. Oktober einen anonymen Drohbrief. Der Autor drohte bereits in diesem
Schreiben, er werde das Wasser im Bodensee mit Pflanzenschutzmitteln
vergiften.
Eine Gesundheitsgefahr durch zwei Fünf-Liter-Kanister
mit giftigen Pflanzenschutzmitteln, die der Täter nahe der
Trinkwasserentnahmestelle in einer Tiefe von 60 Metern bei Sipplingen
versenkt hatte, habe zu keiner Zeit bestanden, betonte am Montag
BWV-Geschäftsführer Hans Mehlhorn. Die im Wasser gefundenen
Substanzen, beispielsweise Atrazin, hätten nie die Grenzwerte
überschritten. Das Wasser war jederzeit einwandfrei, behauptete
er. Der Wert lag unter der Toleranzgrenze von 0.1 Millionstel Gramm
pro Liter. Bei einigen Messungen lag der Wert nur ein wenig oberhalb des
Grenzwertes, war zu vernehmen. Die Bodensee-Wasserversorgung richtete ein
Hotline ein. Nach der Medienmittelung erfolgte ein enormer Ansturm. Die
Bevölkerung wurde begreiflicherweise in Angst und Schrecken versetzt.
Mütter wollten wissen, ob Kinder das Wasser trinken dürfen.
Eine häufig gestellte Frage lautete: Können die Bodenseefische
ohne Bedenken gegessen werden? Usw. Was Krisenmanager beachten sollten:
Die Internetseite des BWV-Zweckverbands brach rasch zusammen.
Die Polizei ist am Montag einem tatverdächtigen Landwirt auf die
Spur gekommen. Etwa 40 Beamte durchsuchten am Montag den Hof des Mannes im
Raum Ravensburg. Möglicherweise habe der Bauer die Tat als Racheakt
gegen die Justiz begangen, teilten die Staatsanwaltschaft Konstanz
und die Polizei Friedrichshafen am Montag bei einer Pressekonferenz in
Friedrichshafen mit. Er habe sich ungerecht behandelt gefühlt. Ein
terroristischer Hintergrund sei ausgeschlossen.
Das Krisenmanagement bei diesem Vorfall hat uns interessiert:
1. Zum Mentoring
Wie wurde das Frühwarnsystem aufgebaut?
Wir gehen davon aus, dass die zuständigen Instanzen in ihren
Krisenszenarien auch diesen Fall antizipiert hatten. Uns erstaunte
anderseits die Bemerkung: Dieser Fall sei ein Novum. So etwas sei
bisher unvorstellbar gewesen. Spätestens nach dem anonymen
Schreiben hätte die Kerngruppe des Krisenstabes die Arbeit
aufnehmen müssen. (Sofortmassnahmen, Überwachung, vorbehaltene
Entschlüsse usw.)
2. Das Abschätzen der Risiken
Wie wurde dieser Anschlages im Issue Management eingeordnet?
Wurde ein Issues-Profiling erstellt? Das heisst, wurden verschiedenste Szenarien
nach Risiken analysiert?
- Wahrscheinlich - weniger wahrscheinlich?
- Gefährlich - weniger gefährlich?
- Was wird besonders heikel?
3. Zum Informationsmanagement.
Wie wurde nach dem Anschlag die Information gehandhabt? Wie wurde
informiert? Welches war die Kernbotschaft? Wie wurde argumentiert?
Gab es widersprüchliche Aussagen oder werden noch Widersprüche
auftauchen? Zusammenarbeit mit den Medien? Koordination? Wie verhalten
sich heute die Medien?
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Kommentar:
Bereits am Montagnachmittag stellten wir fest, dass trotz beschwichtigten
Informationen unzählige Menschen wissen wollten, ob das Wasser nicht
doch die Gesundheit schädigen könnte- ist es beispielsweise
ein Gefahr für Kleinkinder?
Der Ansturm von Anfragen im Internet ist aufgrund der Panne bestimmt nicht
richtig vorbereitet worden. Das bestätigt der Zusammenbruch. Es ist kaum
auszudenken, wie die Information bewältigt worden wäre, wenn
der Anschlag katastrophale Folgen gehabt hätte. Die verantwortlichen
Krisenmanager müssen später nochmals über die Bücher.
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Der Bodensee hat eine Fläche von 536 Quadratkilometer.
[
Google map der Region] Er ist Trinkwasserreservoir für 4.5 Millionen
Menschen. Die Bodenseewasserversorgung schickt das
Wasser durch Leitungen mit einer Gesamtlänge von
1'700 Kilometern bis in den Norden Deutschlands. Die
1954 gegründete BWV versorgt 320 Städte und Gemeinden.
Entnommen wird das Wasser aus dem nordwestlichen Teil des Bodensees bei
Sipplingen in rund 60 Meter Tiefe. Sechs Pumpen bringen das Wasser mit
einer konstanten Temperatur von vier bis fünf Grad auf den rund
300 Meter hohen Sipplinger Berg, wo es gereinigt und aufbereitet wird.
Die Behälter, bei denen der Schraubverschluss
fehlte, lagen in rund 60 Meter Tiefe nahe der Ansaugstation für
das Trinkwasser.
Quellen: Handelsblatt, Stuttgarter Zeitung,
Bilderquellen: http://www.zvbwv.de
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Eine Vergiftung des Trinkwassers ist keine Bagatelle:
Bis zu vier Millionen Menschen wären potenziell betroffen.
Die Bodensee-Wasserversorgung versorgt mit ihrer Entnahmestelle Sipplingen
im Nordwestarm des grössten deutschen Binnengewässers eigenen
Angaben zufolge rund vier Millionen Menschen mit jährlich 131
Millionen Kubikmetern Trinkwasser. Eine Fernwasserleitung bringt das
Wasser nach der Aufbereitung unter anderem in den Grossraum Stuttgart
und in den Nordschwarzwald. Bodenseewasser wird auch an anderen Punkten
auf deutscher und schweizerischer Seite entnommen und zu Trinkwasser
aufbereitet.
Die Behörden beruhigten in den jüngsten Pressemitteilungen:
- Das Wasser werde ständig kontrolliert - Bei einer Vergiftung
würde die Zufuhr sofort gekappt - Die Reaktionen der Fische in
einem Zwischenbehälter würden laufend beobachtet.
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Nachtrag vom 20. November 2005: Situation in der Schweiz:
In der Schweiz die Vergiftung des Trinkwassers nicht gut möglich
sein. Die Wasserfloh "Daphne"
soll auf Verunreinigungen empfindlich reagieren. Sie wird an einigen
Orten gleichsam als "Warnsystem" eingesetzt. Reservoirs hätte
zudem Alarmanlagen, die vor Einbruch sichern. Die ländlichen
Wasserversorgungen sollen hingegen weniger gut geschützt sein.
Übrigens: In der Rhetorik gibt es auch den Begriff des
Brunnenvergiftens. Bei der rheotorischen Brunnenvergiftung wird
vornherein eine denkbare Diskussionsposition oder jemand, der
diese teilt, möglichst stark verunglimpft, bevor diese
überhaupt zur Disposition gestellt werden kann.
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