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www.rhetorik.ch aktuell: (6. August, 2005)

Gestörte Reden

Samuel Schmids Rede wurde während seiner 1. Augustansprache auf dem Rütli massiv gestört. Ungefähr 600 Rechtsextreme haben die Worte des Bundespräsidenten. Seine Ausführungen wurden mit Sprechchören mehrfach massiv gestört. Auf Schlagworte wie Integration, Ausländer, bilateraler Weg oder die Abstimmung vom 25. September quittierten die Pöbler zum Teil mit minutenlangen Sprechchören. Worte, wie "Verrat, Verrat, Halbbundesrat" oder "Samuel Schmid, Deine Lügen haben kurze Beine", waren auf dem Rütli zu hören. Der Bundesrat wurde gar mit "Judas" und "Sau" beschimpft.
In Winterthur wurde die Rede von Bundesrat Christoph Blocher gestört. Rund 80 teils vermummte Linksextreme störten seine Ausführungen mit Knallkörpern. Die Polizei riegelte das Gelände ab und lieferte ein Scharmützel mit den zum Teil vermummten "Chaoten". 29 Personen wurden kontrolliert, 4 wurden festgenommen. Die Polizei setzte Tränengas ein.


Kommunikationskultur

Bei verbalen Auseinandersetzungen gelten bei Kommunikationsprozessen Regeln. Zuerst sollten andere Meinungen angehört werden. Alle müssten das Recht haben, sich zu artikulieren. Es gibt aber Kravallmacher, die vertreten die Meinung, auch die Störaktionen zählten zum Recht auf Meinungsfreiheit. Demonstrationen und Proteste sehen sie ebenfalls als Freiheitsrecht. Tatsächlich sollte jede Seite das Recht haben, ihre eigene Meinung kundzutun. Doch gibt es auch Regeln des Anstandes und rechtliche Vereinbarungen: Niederschreien, Beleidigungen, akustische Störungen oder Aufrufe zur Gewalt haben nichts mit Meinungsfreiheit oder Redefreiheit zu tun.

Berichtserstattung

Es lohnt sich, im Blätterwald die Stellungsnahmen zu den Störaktionen des gestrigen ersten Augustes zu verfolgen. Wer die Artikel vergleicht, erkennt, wie wichtig Pressefreiheit, und Medienvielfalt ist. Es wäre gravierend, wenn uns nur noch der Einheitsbrei einer Staatszeitung mit ideologisch gefärbten Medienpriestern vorgesetzt würde. Das Vergleichen von Artikeln ist angewandter Staatskundeunterricht und angewandte Medienkunde. Erstaunlich war zum Beispel, dass es Zeitungen gab, die an einem Auge blind waren und nicht über beide Vorkommnisse berichtet haben. Die meisten haben jedoch über beide Störaktionen informiert.

Blocher als Sündenbock

Am 1. August wurde Bundespräsident von Rechtsextremen am Reden gestört. Auch Bundesrat Blocher wurde in Winterthur mit Knallkörpern am Reden gehindert. Nach dem ersten August fokussierte sich der "Blick" ausschliesslich auf die Geschehnisse auf dem Rütli und brandmarkte tagtäglich mit gewichtigen Beiträgen die "Neonazis". Nach einigen Tagen wurde nun angeblich ein Sündenbock gefunden: Bundesrat Blocher und die SVP soll an den Vorkommnissen auf dem Rütli schuld sein.

Leuenbergers Aussagen

Bundesrat Leuenberger schien nach einem Beitrag im Tagesanzeiger Blocher und die SVP direkt beschuldigt zu haben. Doch dann präzisierte Bundesrat Leuenberger seine Aussagen. Er habe nur darauf hinweisen wollen, woher die Ausdrücke gegenüber dem Bundespräsidenten, wie charakterlos oder Halbbundesrat kommen. Aus den Federn und Mündern einer Bundesratspartei. So wird eine hasserfüllte Stimmung geschaffen. Es habe Blocher und die SVP lediglich indirekt beschuldigt. Die Namen der erwähnten "Münder" sind allen bestens bekannt: SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli stellte einmal den Charakter von Samuel Schmid in Frage, und Christoph Blocher bezeichnete den heutigen Bundespräsidenten als "halben SVP-Bundesrat".

Mörgelis Antwort

Christoph Mörgelis Antwort auf diese Kritik fiel harsch aus: "Das ist eine peinliche Reaktion eines überforderten Bundesrats, der seine Dossiers nicht im Griff hat und neidisch ist auf den erfolgreicheren Kollegen." Nie habe jemand aus der SVP den Begriff "Halbbundesrat" verwendet, entgegnet Mörgeli. Der heutige Justizminister Christoph Blocher habe als Nationalrat seinerzeit das Regierungsmitglied Samuel Schmid als "halben SVP-Bundesrat" tituliert. In der Folge hätten die Medien den Begriff verdreht und daraus den "halben Bundesrat" gemacht. Mit der SVP hätten die Pöbeleien auf dem Rütli nichts zu tun.

Keine Stellungsname von Blocher

Der "Blick" verlangte hierauf von Bundesrat Blocher eine persönliche Stellungnahme. Doch dieser schwieg. Wir fragten uns: War dieses Schweigen in den Medien klug oder ungeschickt? Wer Bundesrat Blocher beraten müsste, hätte es in diesem Fall nicht einfach gehabt: Schweigt er weiterhin, so ist es nicht recht und es heisst: Nichts sagen = akzeptieren. Nimmt Blocher jedoch Stellung, so kann jedes seiner Worte beliebig interpretiert werden. Differenziert er, indem er beispielsweise bei der Integration oder den Ausländerfragen gewisse Bedenken beleuchtet, so könnte dies postwendend als ausländerfeindlich ausgelegt werden. Die Rechtsradikalen haben nämlich vor allem bei den Begriffen Integration, beim Dank an die Ausländer, demWerbespot für die Abstimmung zur Personenfreizügigkeit usw. ihre Störaktionen eingeleitet.

Lohnte sich Blochers Schweigen?

Blocher hat sich bis heute fürs Schweigen entschieden. Das wird ihm zwar vom "Blick" übel genommen. Obwohl vom "Blick" aufgefordert, unbedingt etwas zu sagen, schweigt Blocher weiter. Vielleicht machte er sich folgende Überlegung: Wenn ich nichts sage, so kann man mir auch der "Blick" das Wort im Mund nicht verdrehen. In diesem Fall ist es tatsächlich schwierig zu entscheiden, welches Verhalten richtig ist. Beide Optionen haben Vor- und Nachteile.

Persönlich hätte ich Bundesrat Blocher geraten, etwas zu sagen. Und zwar: Niemand darf am Reden gehindert werden. Eine Demokratie lebt von der Rede- und Meinungsfreiheit.


Nachtrag vom 7. August, 2005: Nachlese zu den Schuldzuweisungen

Aus unserer Sicht bringt es die Sonntagszeitung auf den Punkt, wenn sie schreibt: "Die einseitige Fokussierung auf die SVP ist falsch. Seit Jahren wiederholen sich die Aufmärsche. Trotzdem wollte niemand ein polizeiliches Präventivkonzept." Auch die Argumentation der Schwyzer Polizeikommandantin greife nach der Sonntagszeitung zu kurz: "... Barbara Ludwig versuchte Bundespräsident Schmid die Schuld in die Schuhe zu schieben: Er habe schliesslich mit seiner Rede zu Integrationsthemen allzu hart provoziert." Die Sonntagszeitung teilt auch unser Meinung: Justizminister Christoph Blocher hätte zum Fall Rütli (Polizeieinsatz) unbedingt ein Wort sagen müssen.


Nachtrag vom 14. August: Wieder Redestörungen

Der Auftritt von Bundesrat Christoph Blocher am grössten Schweizer Pferde-Festival in Saignelégier wurde durch Buhrufe von rund 200 Personen gestört.

Das Gebäude in Saignelégier, in dem Blocher seine Rede hielt, war zwar abgesperrt worden. Die Demonstranten machten aber so viel Lärm, dass Blocher Mühe hatte, verstanden zu werden.

Trotz des Versuchs eine Rede "niederzubuhen", will in diesem Fall Blocher daraus keine grosse Geschichte machen, denn es sei ein demokratisches Recht, dass alle ihre Meinung kundtun dürften, fand er. Nach Blochers Rede löste sich die Demonstration auf.

Nachwehen: Interessant ist das Verhalten des Bundesrates. Der Gesamtbundesrat verurteilt die Vorkommnisse auf dem Rütli. Im Nachhinein liess aber Bundesrat Blocher verlauten: Auch die Linksextremen Aktionen sind zu verurteilen. Nach seiner Meinung sind die Linksextremen Aktionen militanter. Die Stellungsnahmen machen bewusst, dass über die Gefährlichkeit extremer Gruppierungen die Meinungen auseinandergehen.


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