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www.rhetorik.ch aktuell: (20. Mai, 2005)

Falschmeldung - verheerende Wirkung

Das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" berichtet über eine Koranschändung im US-Gefangenenlager Guatanamo Bay in Kuba. Darin hiess es, US-Ermittler hätten den Koran auf Toiletten gelegt und in einem Fall sogar hinuntergespült. Das Magazin bereif sich auf einen hohen Beamten der US-Regierung. Herausgeber Mark Whitaker schreibt nun, er sei nicht mehr sicher die Schändung gesehen zu haben. Nachdem "Newsweek" zurückkrebste, war möglicherweise der Bericht über die Koranschändung eine Falschmeldung. Rätselhaft ist, das die Zeitung nun erklärt, die Fakten stimmten nicht, sich aber weigert, die Geschichte zurückzuziehen. Die Mitteilung löste in der islamischen Welt eine grosse Protestwelle aus. Die Zeitungsmeldung ist für zahlreiche antiamerikanische Unruhen verantwortlich. In Afghanistan waren bei Protesten 16 Menschen getötet und über 100 verletzt worden.


Die entscheidenden Passagen und Erklärungen der Zeitschrift "Newsweek" in der Ausgabe 9. Mai 2005, Seite 10, erschienen am 2. Mai:

"Um Verdächtige aus dem Konzept zu bringen, spülten Vernehmungsbeamte einen Koran die Toilette hinunter und führten einen Häftling an einem Halsband und einer Hundeleine herum. (...) Diese Erkenntnisse, die in einem demnächst erscheinenden Bericht des Südkommandos in Miami erwartet werden, könnten den ehemaligen Gunatanamo-Oberbefehlshaber Generalmajor Geoffrey Miller in die Bredouille bringen."


Im "Newsweek", das am 16. Mai erschienen ist (Ausgabe 23. Mai - US-Magazine geben als Ausgabedatum jeweils die nächst folgende Woche an) meint im Leitartikel des Chefredakteurs Mark Whitaker:

"Wir bedauern, dass irgendein Teil unseres Artikels falsch war, und sprechen den Opfern der Gewalt und den US-Soldaten, die da hineingerieten, unsere Anteilnahme aus."


Die "Newsweek"-Erklärung im Namen von Chefredakteur Whitaker vom 16. Mai:

"Nach allem, was wir wissen, ziehen wir unsere ursprüngliche Geschichte, dass bei einer internen Militäruntersuchung auf Guantanamo ein Missbrauch des Korans entdeckt wurde, zurück."






Reaktionen:
  • Westdeutsche Zeitung:
    Über die Vorgänge hinter den Kulissen mag nun eifrig spekuliert werden. Beobachter zeigen sich zumindest überrascht, dass die US-Regierung den Bericht zunächst gar nicht dementierte und erst nach den gewaltsamen Protesten aktiv wurde. Das sei schon merkwürdig, wenn so ein grosses Magazin "eine Rolle rückwärts" mache, sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken. "Man wird das Gefühl nicht los, dass die Regierung hier auf Kosten der Pressefreiheit gegenzusteuern versucht hat", fügt er hinzu. Natürlich müssten Journalisten gerade bei Verwendung anonymer Quellen äusserst sorgfältig arbeiten. Konken verweist aber darauf, dass in Washington gerade ein Verfahren gegen zwei US-Journalisten läuft, die im Zusammenhang mit der namentlichen Nennung einer CIA-Agentin gerichtlich zur Preisgabe ihrer Quellen gezwungen werden sollen. Bei "Newsweek" fühlt man sich offenbar zu Unrecht an den Pranger gestellt. Chefredakteur Whitaker sagte laut "New York Times", mit dem Rückzieher habe man Ehrlichkeit zeigen wollen: "Damit man uns versteht, mussten wir ´Zurückziehung´ sagen, weil dieses Wort von uns verlangt wurde". Der Artikel stand am Dienstagnachmittag weiter auf der "Newsweek"-Website. In seiner Analyse verweist das Magazin darauf, dass die Proteste erst ausbrachen, nachdem der pakistanische Oppositionsführer Imran Khan bei einer Pressekonferenz eine Ausgabe des Blattes hochhielt und rief: "Die USA schänden den Koran". Die vom Radio verbreiteten Worte des populären Politikers seien im benachbarten Afghanistan von Gegnern der US-freundlichen Regierung von Hamid Karzai ausgenutzt worden. Zudem seien ganz ähnliche Berichte über Koran-Schändungen schon seit einem Jahr im Umlauf. "Newsweek" zitiert den Rechtsanwalt Marc Falkoff, der Guantanamo-Gefangene vertritt, mit dem Hinweis, einer seiner Mandanten habe ihm erzählt, ein Aufseher habe einen Koran ins Klo geworfen. Der Islamkenner und Autor Peter Scholl-Latour hätte die Geschichte dennoch wahrscheinlich nicht gebracht. "Wenn ich Redakteur gewesen wäre, hätte ich doch sehr gezögert, denn die Folgen waren doch absehbar", sagt er. So viel Sachverstand hätte auch in den USA herrschen müssen. "Da muss das nationale Interesse vor Informationsfreude gehen", betont Scholl-Latour.
  • Spiegel online
    So heftig wie in der islamischen Welt sind inzwischen auch die Reaktionen in den USA. Mit Isikoff und seinem Magazin müssen sich jetzt Journalisten überall in den USA vorhalten lassen, dass die Praxis des Gebrauchs anonymer Quellen fragwürdig sei. Umstritten ist diese schon lange, die "New York Times" hat den Gebrauch solcher Zitate gerade erst eingeschränkt. Jetzt droht die Debatte das ohnehin auf einem Rekordtief angekommene Vertrauen der Amerikaner in ihre Medien weiter zu beschädigen. "Wegen dieses Scheisskerls sind Menschen gestorben," sagt Pentagon-Sprecher Larry DiRita über den unbekannten "Newsweek"-Informanten. Michael Isikoff ist ziemlich zerknirscht, aber einen Fehler bei seiner Arbeit sieht er nicht: "Ich hatte eine Quelle, jeden Grund ihr zu trauen und wir haben das Pentagon um Stellungnahme gebeten," sagt er. "Es gibt keinen Verstoss gegen journalistische Standards."
  • Junge welt
    Nun hat also das US-Magazin Newsweek seinen Bericht über die Schändung des Korans durch amerikanische Vernehmungsbeamte auf Guantanamo zurückgezogen und eingeräumt, dass dem Verfasser Fehler unterlaufen sein könnten. Dieser Rückzieher dürfte wohl einer höheren Staatsräson geschuldet sein. Chefredakteur Mike Whitacker entschuldige sich auch noch bei den Angehörigen der in Afghanistan im Verlauf der Protestaktionen gegen die Verhöhnung ihrer Religion ums Leben Gekommenen. Als hätten Newsweek-Mitarbeiter das Feuer auf diese Menschen eröffnet und nicht von den Besatzungsmächten ausgebildete afghanische Polizisten. Dabei heisst es doch immer, dass sich einer der grössten Vorzüge des amerikanischen Systems aus seiner freien Presse ergebe, die Schweinereien, so sie vorkommen, ohne Rücksichten auf mächtige Interessen ans Licht der Öffentlichkeit bringe. Das scheint in diesen Kriegszeiten nicht mehr zu gelten. Zwar wurde die Aufdeckung des Folterskandals von Abu Ghraib noch als Beispiel für die "Selbstreinigungskräfte der amerikanischen Demokratie" herangezogen, der Bericht über einen die Toilette hinuntergespülten Koran in Guantanamo aber hat State Department und Pentagon so in Rage versetzt, dass ein renommiertes Magazin sich gezwungen sah, seiner Enthüllung eine Verhüllung folgen zu lassen.
  • Lausitzer Rundschau
    Tatsächlich aber hat der Bericht um den angeblich respektlosen Umgang mit religiösen Texten durchaus Ähnlichkeit mit den Detailschilderungen der Heimlichkeiten eines US-Präsidenten. So wie das sittsame Amerika sich mit bigottem Entsetzen über Samenflecken erregte, so peitschen Prediger in Pakistan und Afghanistan die Menschen mit Berichten aus den Toiletten der Ungläubigen auf. Beides entlastet, beides lenkt ab vom Wesentlichen. Es sind dies die Geschichten, auf die die Rechtgläubigen dieser Welt nur warten, um endlich wieder aufschreien zu können. Tatsächlich werden in Guantanamo seit Jahren die Menschenrechte missachtet und es ist in diesem Zusammenhang fast schon nebensächlich, ob dabei auch noch die religiösen Gefühle der Gefangenen verletzt werden. Tatsächlich sind allerdings diese Menschenrechte auch den islamistischen Fundamentalisten völlig gleichgültig, die jetzt zum Protest aufrufen. Der Skandal um Newsweek sagt also wenig aus über die Risiken und Folgen eines Journalismus, der mit Enthüllungen Schlagzeilen macht. Er lehrt uns vielmehr etwas darüber, wohin wilder Eifer bei der Bekämpfung des Terrorismus führt. Die tödlichen Amokläufe aufgehetzter Menschenmassen in Afghanistan haben andere Ursachen als eine Zehn-Zeilen-Notiz in einer Zeitschrift.




Nachtrag vom 27. Mai, 2005: Bestätigungen und Dementis

Andere Reporter haben die Guantanamo Anschuldigungen weiter untersucht. Die "Los Angeles Times" hat Gefangenenaussagen zitiert, in denen Koran misshandlungen beschrieben werden. Am 27. Mai berichtet die "Washingtonpost" dass Pentagon untersuchungen 4 Fälle identifiziert. Insgesamt wurden 13 Fälle untersucht. ein Herunterspülen des Korans ins Klo wurde aber nicht bestätigt. Der Kolumnist Thomas Friedman forderte in einem "New York Times" Artikel vom 27. Mai die Schliessung des Gefängnises in Guantanamo Bay. Dadurch könnten mehr Menschenleben gerettet werden. Das ist bemerkenswert, denn Friedman ist politisch konservativ gelagert: er ist ein Spezialist für Globalisierungsfragen und war für die Invasion im Irak.


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