Reaktionen:
- Westdeutsche Zeitung:
Über die Vorgänge hinter den Kulissen mag nun eifrig spekuliert
werden. Beobachter zeigen sich zumindest überrascht, dass die
US-Regierung den Bericht zunächst gar nicht dementierte und erst
nach den gewaltsamen Protesten aktiv wurde. Das sei schon merkwürdig,
wenn so ein grosses Magazin "eine Rolle rückwärts" mache, sagt
der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken.
"Man wird das Gefühl nicht los, dass die Regierung hier auf Kosten der
Pressefreiheit gegenzusteuern versucht hat", fügt er hinzu.
Natürlich müssten Journalisten gerade bei Verwendung anonymer
Quellen äusserst sorgfältig arbeiten. Konken verweist aber
darauf, dass in Washington gerade ein Verfahren gegen zwei US-Journalisten
läuft, die im Zusammenhang mit der namentlichen Nennung einer
CIA-Agentin gerichtlich zur Preisgabe ihrer Quellen gezwungen werden
sollen.
Bei "Newsweek" fühlt man sich offenbar zu Unrecht an den Pranger
gestellt. Chefredakteur Whitaker sagte laut "New York Times", mit dem
Rückzieher habe man Ehrlichkeit zeigen wollen: "Damit man uns
versteht, mussten wir ´Zurückziehung´ sagen, weil dieses Wort von
uns verlangt wurde". Der Artikel stand am Dienstagnachmittag weiter auf
der "Newsweek"-Website.
In seiner Analyse verweist das Magazin darauf, dass die Proteste erst
ausbrachen, nachdem der pakistanische Oppositionsführer Imran Khan
bei einer Pressekonferenz eine Ausgabe des Blattes hochhielt und rief:
"Die USA schänden den Koran". Die vom Radio verbreiteten Worte des
populären Politikers seien im benachbarten Afghanistan von Gegnern
der US-freundlichen Regierung von Hamid Karzai ausgenutzt worden. Zudem
seien ganz ähnliche Berichte über Koran-Schändungen
schon seit einem Jahr im Umlauf. "Newsweek" zitiert den Rechtsanwalt
Marc Falkoff, der Guantanamo-Gefangene vertritt, mit dem Hinweis, einer
seiner Mandanten habe ihm erzählt, ein Aufseher habe einen Koran
ins Klo geworfen.
Der Islamkenner und Autor Peter Scholl-Latour hätte die Geschichte
dennoch wahrscheinlich nicht gebracht. "Wenn ich Redakteur gewesen
wäre, hätte ich doch sehr gezögert, denn die Folgen
waren doch absehbar", sagt er. So viel Sachverstand hätte auch
in den USA herrschen müssen. "Da muss das nationale Interesse vor
Informationsfreude gehen", betont Scholl-Latour.
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- Spiegel online
So heftig wie in der islamischen Welt sind inzwischen auch die Reaktionen
in den USA. Mit Isikoff und seinem Magazin müssen sich jetzt
Journalisten überall in den USA vorhalten lassen, dass die Praxis
des Gebrauchs anonymer Quellen fragwürdig sei. Umstritten ist
diese schon lange, die "New York Times" hat den Gebrauch solcher Zitate
gerade erst eingeschränkt. Jetzt droht die Debatte das ohnehin auf
einem Rekordtief angekommene Vertrauen der Amerikaner in ihre Medien
weiter zu beschädigen. "Wegen dieses Scheisskerls sind Menschen
gestorben," sagt Pentagon-Sprecher Larry DiRita über den unbekannten
"Newsweek"-Informanten.
Michael Isikoff ist ziemlich zerknirscht, aber einen Fehler bei seiner
Arbeit sieht er nicht: "Ich hatte eine Quelle, jeden Grund ihr zu trauen
und wir haben das Pentagon um Stellungnahme gebeten," sagt er. "Es gibt
keinen Verstoss gegen journalistische Standards."
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- Junge welt
Nun hat also das US-Magazin Newsweek seinen Bericht über die
Schändung des Korans durch amerikanische Vernehmungsbeamte auf
Guantanamo zurückgezogen und eingeräumt, dass dem Verfasser
Fehler unterlaufen sein könnten. Dieser Rückzieher dürfte
wohl einer höheren Staatsräson geschuldet sein. Chefredakteur
Mike Whitacker entschuldige sich auch noch bei den Angehörigen der in
Afghanistan im Verlauf der Protestaktionen gegen die Verhöhnung ihrer
Religion ums Leben Gekommenen. Als hätten Newsweek-Mitarbeiter
das Feuer auf diese Menschen eröffnet und nicht von den
Besatzungsmächten ausgebildete afghanische Polizisten.
Dabei heisst es doch immer, dass sich einer der grössten Vorzüge
des amerikanischen Systems aus seiner freien Presse ergebe, die
Schweinereien, so sie vorkommen, ohne Rücksichten auf mächtige
Interessen ans Licht der Öffentlichkeit bringe. Das scheint in
diesen Kriegszeiten nicht mehr zu gelten. Zwar wurde die Aufdeckung
des Folterskandals von Abu Ghraib noch als Beispiel für die
"Selbstreinigungskräfte der amerikanischen Demokratie" herangezogen,
der Bericht über einen die Toilette hinuntergespülten Koran in
Guantanamo aber hat State Department und Pentagon so in Rage versetzt,
dass ein renommiertes Magazin sich gezwungen sah, seiner Enthüllung
eine Verhüllung folgen zu lassen.
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- Lausitzer Rundschau
Tatsächlich aber hat der Bericht um den angeblich
respektlosen Umgang mit religiösen Texten durchaus
Ähnlichkeit mit den Detailschilderungen der Heimlichkeiten eines
US-Präsidenten. So wie das sittsame Amerika sich mit bigottem
Entsetzen über Samenflecken erregte, so peitschen Prediger in
Pakistan und Afghanistan die Menschen mit Berichten aus den Toiletten der
Ungläubigen auf. Beides entlastet, beides lenkt ab vom Wesentlichen.
Es sind dies die Geschichten, auf die die Rechtgläubigen dieser Welt
nur warten, um endlich wieder aufschreien zu können. Tatsächlich
werden in Guantanamo seit Jahren die Menschenrechte missachtet und es
ist in diesem Zusammenhang fast schon nebensächlich, ob dabei
auch noch die religiösen Gefühle der Gefangenen verletzt
werden. Tatsächlich sind allerdings diese Menschenrechte auch
den islamistischen Fundamentalisten völlig gleichgültig,
die jetzt zum Protest aufrufen. Der Skandal um Newsweek sagt also
wenig aus über die Risiken und Folgen eines Journalismus, der
mit Enthüllungen Schlagzeilen macht. Er lehrt uns vielmehr etwas
darüber, wohin wilder Eifer bei der Bekämpfung des Terrorismus
führt. Die tödlichen Amokläufe aufgehetzter Menschenmassen
in Afghanistan haben andere Ursachen als eine Zehn-Zeilen-Notiz in
einer Zeitschrift.
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