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www.rhetorik.ch aktuell: (29. März, 2005)

Eine Komapatientin als Medienopfer?



Terri Schiavo ist seit einem Herzstillstand vor 15 Jahren schwer hirngeschädigt und befindet sich in einem Wachkoma. Seit Wochen steht die Patientin im Rampenlicht der Medien. Sie kann sich nicht äussern und ist gleichsam den Medien völlig ausgeliefert und wurde zum Streitobjekt für die unterschiedlichen Interessengruppen. Die Eltern wollen die Patientin mit allen rechtlichen Mitteln künstlich am Leben erhalten. Der Ehemann Michael Schiavo wünschte hingegen, dass seine Frau vom jahrelangen Leiden erlöst wird. Die Gerichte entschieden zuerst für den Ehemann. Dann schien alles offen. Doch scheint es heute klar zu sein: Terri Schiavo wird nicht mehr künstlich ernährt. Ärzte gaben Schavo ohne Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr ein bis zwei Wochen zu leben. Diese Zeit ist bald um.

Es gab heftige Demonstrationen von vor allem religiösen Gruppen, die für alle lebenserhaltende Massnahmen plädierten. Seit Wochen wird Terri Schiavo von den Medien vermarktet. Der Fall ist nicht nur Juristenfutter. Auch die Medien "verkaufen" die Emotionen mit den entsprechenden Bildern.


Auch Politiker versuchten sich in diesem Fall zu profilieren. Vor allem Jeb Bush, der Gouverneur von Florida und sein Bruder, der US Präsident George Bush, versuchten sich in die Gerichtsverfahren einzumischen. Umfragen zeigten aber, dass die grosse Mehrheit der US Bevölkerung von einer solchen Einmischung der Exekutive in das Judikative nicht viel halten.
Änlich wie bei den Auftritten des todkranken Papstes, geht es in diesem Fall ums Vorführen einer todkranken Person vor der Kamera. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Beim der Zelebration des Leidens des kranken Pontifex konnte der Papst immerhin zu den Übertragungen sein Einverständnis geben. Bei der bewusstlosen Terri Schiavo findet die "Vermarktung" ohne ihre Einwilligung statt. In ihrem vegetativen Zustand bekommt sie aber wahrscheinlich (und hoffentlich) von der ganzen Angelegenheit nicht viel mit.


Videos mit Bildkraft

Von Terris Eltern verbreitete Videos sollen das Publikum und Politiker überzeugen, dass Terri noch Lebensfreude hat. Wieviele solche Videos ohne Reaktion geschossen worden sind, bei denen die Patientin keine Reaktion zeigte, ist aber nicht klar. Auf jeden Fall haben solche Bilder viele Emotionen bewirkt. Jedermann ist von solchen Bildern betroffen.





Die Wachkoma-Patientin als Politikum

Seit 15 Jahren liegt Terri Schiavo im Wachkoma. Genau so lange dauert auch der Rechtsstreit um das Leben der inzwischen 41-jährigen. Wärend die Eltern die Fortdauer der lebenserhaltenden Massnahmen wollen, wünscht ihr Mann keine Lebensverlängernde Massnahmen mehr. Er behauptet, seine Frau habe ihm gesagt, unter solchen Umständen nicht leben zu wollen. Etwa 20 Gerichte haben sich schon mit diesem Fall befasst.
  • 25. Februar 1990: Auf Grund einer Stoffwechselstörung erleidet Terri Schiavo einen Herzstillstand und fällt ins Wachkoma.
  • November 1992: Ehemann Michael Schiavo gewinnt mehr als eine Million Dollar in dem Kunstfehlerprozess um den Herzstillstand seiner Frau.
  • 29. Juli 1993: Die Eltern Mary und Bob Schindler, wollen mit einer Klage die Vormundschaft des Ehemannes aberkennen lassen. Das Verfahren wird jedoch abgewiesen.
  • 11. Februar 2000: Bezirksrichter George Greer erlaubt auf Antrag des Ehemannes die Entfernung von Terris Magensonde.
  • April 2001: Die Gerichte des Landes weigern sich, in die Angelegenheit einzugreifen. Die Sonde wird zuerst entfernt, nach einer weiteren richterlichen Anordnung zwei Tage später wieder eingesetzt.
  • 13. Februar 2002: Vermittlungsversuche zwischen Michael Schiavo und seinen Schwiegereltern scheitern. Michael versucht erneut, eine Erlaubnis zur Entfernung der Ernährungssonde zu bekommen.
  • 22. November 2002: Richter Greer sieht es nach einem medizinischen Gutachten für erwiesen, dass Terris Chancen auf Genesung hoffnungslos sind und ordnet erneut die Einstellung der künstlichen Ernährung an.
  • 14. Oktober 2003: Ein Berufungsgericht in Florida lehnt es ab, die Entscheidung zur Beendigung der lebenserhaltenden Massnahmen und für die Sterbehilfe aufzuheben.
  • 15. Oktober 2003: Ärzte entfernen erneut die Magensonde von Terri Schiavo.
  • 21. Oktober 2003: Sechs Tage nach dem Abbruch der künstlichen Ernährung der Koma-Patientin ordnet Jeb Bush, der Gouverneur von Florida per Gesetz die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung an. Ein Berufungsgericht lehnt Michaels Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die "Lex Terri" ab.
  • 13. November 2003: Ein Gericht entscheidet, dass Michael Schiavo seinen Kampf gegen ein Gesetz zur Beibehaltung der künstlichen Ernährung fortführen und gegen Gouverneur Jeb Bush klagen darf, weil nach Ansicht des Richters jede weitere Verzögerung des Sterbeprozesses gegen die Verfassung verstösst.
  • 23. September 2004: Der Oberste Gerichtshof von Florida erklärt das als "Lex Terri" bekannt gewordene Gesetz für verfassungswidrig.
  • 25. Februar 2005: Richter Greer erlaubt erneut die Einstellung der künstlichen Ernährung.
  • 18. März 2005: Die Ärzte entfernen die Magensonde. Ein Versuch republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, die Sonde wieder einsetzen zu lassen, scheitert vor dem Obersten Gericht.
  • 19. März 2005: Im US-Kongress erstellen die konservative Regierungspartei der Republikaner im Eilverfahren eine Gesetzesvorlage, um einem Bundesgericht zu ermöglichen, die Entscheidung Michael Schiavos rückgängig zu machen.
  • 20. März 2005: Der Senat in Washington billigt eine Gesetzesvorlage, mit der eine neue Klage für die Wiedereinsetzung der Magensonde ermöglicht werden soll.
  • 21. März 2005: Das Repräsentantenhaus und Senat verabschieden ein Gesetz, nach dem nun ein Bundesrichter noch einmal darüber zu befinden hat, ob die seit 1990 im Koma liegende Frau weiter - wie von ihren Eltern gewünscht - künstlich ernährt werden soll oder nicht. Bush unterzeichnet das Gesetz, das damit rechtskräftig wird.
  • 22. März 2005: Bundesrichter James Whittemore lehnt die Berufungsklage ab. Die Eltern der Koma-Patientin rufen ein Berufungsgericht in Atlanta an.
  • 23. März 2005: Das Berufungsgericht lehnt den Eilantrag ab. Die Eltern kündigen eine weitere Berufung ab.
  • 26. März 2005: Letzte Appelation an die Staatliche Gerichte sind abgelehnt worden.
  • 28. März 2005: Terry kriegt am Ostersonntag die "letzte Ölung", einen Tropfen Wein auf die Lippen.
Quellen: Time Magazin, Spiegel.




Nachtrag vom 31. März, 2005: Tod von Terri Schiavo

Die Komapatientin Terri Schiavo ist nach 13 Tagen ohne Nahrung und Wasser gestorben. Die Mehrheit der Amerikaner sympathisierte eindeutig mit Schiavos Ehemann. Viele haben auch darüber nachgedacht, wie sie selbst in einem solchen Zustand behandelt werden wollen. Der Leichnam von Schiavo soll nun obduziert werden.


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