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www.rhetorik.ch aktuell: (23. April, 2005)

Polit-Krimi in Schleswig-Holstein



Zermürbt von der beispiellosen Niederlagenserie im Kieler Landtag warf Deutschlands erste und bisher einzige Ministerpräsidentin Heide Simonis das Handtuch.

"Ich werde für ein Amt nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich habe eine solch persönlich verletzende Situation noch nie erlebt"


sagte die SPD-Politikerin, Bezug auf das Wahldebakel vom Donnerstag. Simonis ist seit 1993 Regierungschefin im nördlichsten Bundesland.

"Gegen offene Messer zu kämpfen, ist nicht leicht, aber in der Politik manchmal notwendig. Gegen einen hinterhältigen Dolchstoss jedoch gibt es keine Abwehrmöglichkeiten."


hiess es weiter.


Simonis war im Landtag in vier Abstimmungsdurchgängen gescheitert. Obwohl die Koalitionsparteien SPD und Grüne zusammen mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW), der die Minderheitenregierung tolerieren wollte, auf die notwendige Mehrheit von 35 Abgeordneten gekommen waren, hatte Simonis in vier Wahlgängen lediglich 34 Stimmen erhalten. Jemand aus der eigenen Partei musste Simonis in den Rücken gefallen sein.

Das Wahldrama hatte Folgen. Simonis wollte zuerst vor den Medien nichts sagen. Der Schlag erschütterte die SPD - auch den Bundeskanzler. Die SPD-Bundesspitze drängte verständlicherweise auf eine schnelle Lösung der unverhofften Krise. Focus berichtete: Simonis verdächtigt ihren Kronprinzen Stegner als Abweichler. Im Polit-Krimi in Kiel entbrannte sehr schnell die Jagd auf den Verräter" von Heide Simonis. Im Kieler Landeshaus gab es nur noch ein Thema:

Wer ist der Heide-Mörder (taz), der Simonis in vier Wahlgängen die Stimme versagte und sie damit zum Rücktritt zwang?


Nach einem Bericht des Magazins Focus soll Simonis bei einem Treffen mit Vertrauten am Donnerstag abend in der Staatskanzlei ihren Kronprinzen und Finanzminister Ralf Stegner (SPD) als möglichen Abweichler erwähnt haben. In der Runde (der Minister war offenbar nicht dabei) sei gesagt worden, dass Stegner intellektuell und emotional in der Lage sei, eine solche Intrige eiskalt durchzuziehen.


Stegner hatte direkt nach dem Abstimmungsdebakel in einem offenen Brief von einem schäbigen und charakterlosen Verrat und einer ehrlosen Schweinerei" geschrieben. Und zog den Verdacht damit ausgerechnet auf sich selbst. Ein "Bild" Journalist fragte hierauf Stegner: Sind Sie derjenige, der sich der Stimme enthalten hat? Stegner:

Nein, wirklich nicht, nein!


Simonis will bereits rechtliche Schritte gegen das Magazin "Focus" einleiten. Regierungssprecher Gerhard Hildenbrand:

Die Ministerpräsidentin hat nirgendwo ihren Finanzminister Ralf Stegner als möglichen Abweichler bezeichnet oder erwähnt. Es habe aber gar keine solche Runde in der Staatskanzlei gegeben.


Tatsache bleibt: Simonis Kronprinz hätte als einer der wenigen von ihrer Niederlage profitieren können. Denn im Fall eines erneuten Koalitions-Versuchs von SPD und Grünen unter Tolerierung der dänischen Minderheitenpartei SSW hätte er Ministerpräsident werden sollen.

Unter Verdacht stehen aber auch Abgeordnete, die sich für eine grosse Koalition aus SPD und CDU ausgesprochen hatten oder bei der Ämtervergabe übergangen wurden.

Kommentar: Vermutungen, Gerüchte und Vorverurteilungen sind sehr gefährlich. In der Praxis zeigt sich , dass Frust rasch zu Verdächtigungen führt. Frustrierte brachen einen Blitzableiter (einen Sündenbock). Mutmassungen, Verdächtigungen, vorschnelle Interpretationen tragen aber nie zu einer Entspannung der gereizten Stimmung bei. Es lohnt sich deshalb immer, zuzuwarten, bis Fakten auf dem Tisch liegen. Wir sind überzeugt, dass mit der vorschnellen Jagd auf den "Judas" der Krimi weiter eskalieren wird.


Quelle: Focus 12/2005
Bild Quelle: Focus 12/2005: Der Norden steht Kopf


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