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www.rhetorik.ch aktuell: (20. Februar, 2005)

Zur Rhetorik einer Bildungsdirektorin



In der Sendung "Sternstunde Philosophie" vom 13. Februar im Schweizer Fernsehen DRS 1 kreuzen sich die Zürcher Erziehungsdirektorin Regine Aeppli und der Rektor der Pädagogischen Hochschule Zug Carl Bossard, die Klingen. Das Gespräch unter der Moderation von Norbert Bischofberger zum Thema

"Begeistert lernen"


im Liceo Artistico, war aus rhetorischer Sicht lehrreich. Auf der einen Seite eine Politikerin, die nach unserem Dafürhalten schlechter abschnitt. Sie entwickelte ihre Voten meist assoziativ mit langen Bandwurmgedanken. Daneben ein Rektor, der mit einfacheren Voten überzeugte. Vor allem deshalb, weil er bei den meisten Antworten einen Kerngedanke herausschälte und die Aussage mit einem Bild oder einem Beispiel fassbar machte. Seine Antworten waren darum verständlicher.

Hier eine zufällig gewählte Sequenz.

Regine Aeppli: "Die Schule ... Ich hab am Anfang gesagt, das ist eigentlich das grösste Problem, dass sie nicht genügend Integrationskraft hat und dass wir daran arbeiten müssen, aber - die Schule - ich glaube in einer -äh- Wissensge.. in der Wissensgesellschaft, in der wir leben und wenn wir eben in diesem globalisierten Umfeld - äh - der Konkurrenz stand halten wollen, dann müssen wir ja auch auf der andern Seite auch dafür sorgen, das wir auch sogenannte "Exzellenz" produzieren. (ohne Pause) Also wir müssen auch sehr gute Schülerinnen und Schüler - äh - an unseren Schulen ausbilden, die dann in diesen - ja - in diesem Innovationswettbewerb - äh - standhalten können."




Analyse: Die Aussage wäre koherent: Breite und Spitze müsste gefördert werden. Leider wirkt die Erziehungsdirektorin bei dieser Antwort ehrgeizig und nervös - gleichsam übereifrig. Zu viele Elemente wurden zusammengefügt:
  • Das grösstes Problem ist, dass die Integrationskraft fehlt.
  • Daran müssen wir arbeiten.
  • Unsere Wissensgesellschaft ist in ein globalisiertes Umfeld gebettet.
  • Wir müssen der Konkurrenz stand halten und sind verpflichtet, Exzellenz zu produzieren, um dem Innovationswettbewerb standhalten zu können.
Dieses Votum verstösst gegen wichtige Prinzipien der Verständlichkeit:
Einfachheit und Kürze
Weniger wäre mehr. Warum nicht bei einem Gedanke bleiben und diesen Gedanken veranschaulichen und vertiefen. Dann aber "abschliessen"! Es ist eine verbreitete Marotte bei Politikern, dass Substantive dominieren. Die zu langen Sprechsequenzen sind nicht nachvollziehbar. Es gibt einige "Brüche" mit Wortwiederholungen und Aehs. Die holprige Art des Sprechens fiel uns auch bei den anderen Sequnzen auf. Wir vermuten, dass sich die Politikerin auf ihr Improvisationstalent verlasssen hatte. Sich richtig vorbereiten heisst: einzelne Argumente zurechtlegen und antizipieren. In diesem Falle wären Elemente nötig, die beitragen können, die Thematik "Begeistert lernen" zu vertiefen. Aufschlussreich ist auch Aepplis Körpersprache. Die Politikerin argumentiert mit erhobenem Kopf, mit Fäusten und den Handkanten. Dies wirkt etwas überheblich. Während der Kontrahent spricht, verschränkt sie die Arme und korrigiert sogar den Gesprächsleiter. Die Stimme ist klar, wirkt jedoch staccatohaft. Vielleicht scheint das Lächeln und die Ruhe des Rektors die Politikerin enerviert zu haben.


Erkenntnis Dieser Auszug veranschaulichte uns auch, dass ein Redner oder eine Rednerin meist während der ganzen Länge eines Disputes immer wieder dem ähnlichen Fehler macht, wie bei der zufällig ausgewählten Sequenz: Verschiedenen Rückmeldungen bestätigten uns nämlich, dass bei diesem Streitgespräch, Regine Aeppli schlechter abschnitt als Carl Bossard. Anlässlich der Eröffnungsfeier der Schweizerischen Lehrerfortbildungskurse in Winterthur machten Lehrkräfte bei der Analyse aller Referate ebenfalls die Feststellung, dass die Erziehungsdirektorin viel redete - aber nichts sagte, das nachhaltig wirkte. Ein kurzes fachgerechtes Coaching würde bei der Erziehungsdirektorin genügen, um bei Auftritten zu überzeugen. Sie hätte die Voraussetzungen zu einer guten Rednerin.

Fazit: Auch bei Diskussionen müssen wir bei jedem Votum überlegen,

welchen Kerngedanken wir ausführlich, anschaulich und konkret vermitteln wollen.


Es hilft wenig, einfach drauflos zu reden, in der Hoffnung, es werde uns während des Sprechens schon noch etwas Wesentliches in den Sinn kommen.


Übrigens: Nicht nur dem Moderator kann angelastet werden, er habe das Thema "Begeistert lernen" zu wenig ins Zentrum des Gesprächs gerückt. Auch die Gesprächsteilnehmer hätten es in der Hand gehabt, mehr konkrete Erkenntnisse herauszuschälen, die es uns bei der Bildung ermöglichen, das Feuer der Begeisterung zu entfachen.




Nachtrag vom 15. März, 2005: Aepplis Vortrag an der Vortragsgemeinschaft in Schaffhausen Nach dem wir Regine Aepplis Auftritt im Fernsehdisput beobachtet hatten, erlebten wir die Zürcher Regierungsrätin am 10. März in Schaffhausen. Aepplie sprach auf Einladung der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft über Bildungsreformen. Der Titel war

Aufgaben, Chancen und Grenzen der Bildungspolitik.


Es interessierte uns, wie die Bildungsdirektorin in einem Referat kommuniziert.
Das Referat hatte einen deutlichen roten Faden mit einer klaren Struktur: Im Streifzug über die ungezählten Bereiche der Bildungslandschaft beschränkte sich die Politikerin auf die vier Themen
  1. Reformen
  2. Liberalisierung
  3. Globalisierung
  4. Kosten
Die Bildungsdirektorin bemühte sich, ein paar Gedanken herauszuschälen, die nicht nur von der Presse erkannt worden sind:
  • Wir müssen mit den Veränderungen Schritt halten
  • Die Bildung muss laufend den veränderten Situationen angepasst werden.
  • Der Service public ist wichtig im Bildungswesen.
  • Der Staat muss nicht alle Leistungen selbst erbringen und finanzieren.
  • Der "Service public" ist auf politische Mehrheiten angewiesen.
Leider fehlte die Vertiefung dieser Gedanken. Vor allem hätten wir gerne je einen konkreten Schwerpunkt aus den angesprochenen Bereichen mitgenommen, die im Titel angekündigt worden waren. Der Titel hätte den roten Faden bestimmen müssen: Bei jedem Wort Aufgabe,Chancen und Grenzen hätte eine wichtige Botschaft herausgeschält, betont und wiederholt werden müssen.

Wir haben bei verschiedenen Zuhörern überprüft, was von den drei Themenschwerpunkten hängengeblieben ist. Wie beim Eröffnungsreferat in Winterthur bei den Lehrerfortbildungstagen 2004 gab es keine befriedigende Ernte. Einige konnten sich zwar an zwei Aussagen erinnern: Privatschulen haben auch eine Daseinsberechtigung. Bildung heisst sich anpassen. Antworten zu den erwähnten Schwerpunkten gab es aber keine. Demnach müssen wir feststellen: Die Nachhaltigkeit fehlte. Was können wir daraus lernen? Im Grunde genommen wäre es einfach:

Jede Rednerin, jeder Redner müsste das Referat so aufbauen, dass beim Vortrag immer an den roten Faden des Titels erinnert wird. Der Titel schien bei diesem Vortrag Fall zufällig gewählt worden zu sein. Entweder haben die Veranstalter nachträglich einen Titel geschrieben oder die Referentin hat den Titel nicht ernst genommen.


Im Gegensatz zum Gespräch in den Sternstunden stellten wir bei Aeppli kein störendes Staccatosprechen fest. Die Sätze waren perfekt aufgebaut. Die Pausentechnik stimmte. Der Grund war, dass Regine Aeppli das Referat wortwörtlich ablas. Dies wirkte aber so, als hätte sie den Vortrag eines Gostwriters wiedergegeben. Mit dem Ablesen handelte sich die Bildungsdirektorin jedoch auch Nachteile ein:
  • Das Publikum fühlte sich nicht angesprochen. Wir haben das Verhältnis Blickkontakt zum Publikum und Blick auf das Manuskript bewusst gemessen. Das Publikum wurde nie richtig angesprochen. Die Rednerin warf lediglich ab und zu Pseudoblicke geradeaus, aber nur ganz kurz. Wir bezweifeln, dass die Rednerin das Verhalten von einzelnen Personen wahrgenommen hat. Das Aufblicken war höchstens 5 - 10% im Vergleich zum Blick auf dem Text. Dies ist eindeutig zu wenig. Bei der anschliessenden Diskussion hingegen war Regine Aeppli erstaunlich dialogisch. Sie sprach zum Publikum. Mit lebendiger Mimik und synchroner Gestik.
  • Beim Vortrag sprach Aeppli zu monoton und zu leise. Wir fragten uns, weshalb die Veranstalter die Uebertragungsanlage nicht vorgängig überprüft hatten (dürfte auch eine Rednerin vorher testen). Wahrscheinlich war der Verstärker gar nicht eingeschaltet. Die Rednerin verhielt sich jedoch so, als funktioniere die Technik. Damit verstanden viele Zuhörer in den hintern Reihen die Ausführungen kaum (sicher alle Hörbehinderten im Rathaussaal). Ein Teilnehmer fragte am Schluss der Diskussion, ob er das Referat schriftlich erhalten könne, er habe akkustisch nichts mitbekommen. Situationsgerechtes Verhalten will heissen: Sich anpassen und ohne Verstärkeranlage in einem grossen Saal langsamer und lauter sprechen! Dies war eindeutig schlecht. Durch das Ablesen blieb leider die Modulation, die Mimik und Gestik reduziert. Dem Vortrag fehlte das Leben.
  • Wie beim Streitgespräch in der Sternstundesendung fehlten Bilder, Vergleiche, Geschichten und Analogien. Dem Vortrag fehlte dadurch die Stimulanz.
Interessanterweise verhielt sich Regine Aeppli beim Beantworten von Fragen ähnlich, wie beim Sternstundeauftritt Bei den Antworten fehlte oft Struktur und Kerngedanken. Es kam zu Stockungen und Bandwurmformmulierungen.



Beispiel: Ein Teilnehmer fragte die Referentin während der Diskussion, was konkreten Anforderungen an die Studierenden seien, die für die Praxis notwendig sind. Die Bildungsdirektorin wies zwar bei dieser Antwort auf eine Struktur hin: Ich antworte Ihnen in zwei Teilen, sagte sie. Dann begann sie mit dem ersten Teil und sprach über Chancen und Veränderung, und sagte dann unverhofft "auf der anderen Seite". Als Zuhörer glaubte man, dies sei nun der angekündigte 2. Teil. Doch als sie etwas später nochmals sagte, "auf der anderen Seite", merkten wir, dass erst jetzt der angekündigten zweiten Teil Konkurrenz, Wirtschaft, neue Umwelt das Thema war. Nach einem dritten "Auf der anderen Seite" war das Chaos im Gedankengebäude perfekt.




Fazit: Es lohnt sich, die Kunst der freien Rede zu erwerben. Wir überzeugen nur, wenn sich die Zuhörer angesprochen fühlen. Beim Vortrag und bei der Diskussion gilt generell: Kerngedanken entwickeln und konkretisieren! Vorbereitete und vorformulierte Gedanken müssen immer eine Erstgeburt sein. Das Ablesen vom Text birgt zu viele Gefahren in sich und hat in der Praxis den Nachteil, dass der Text wie abgespult wirkt und die dialogischen Elemente fehlen.




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