In der Sendung "Sternstunde Philosophie" vom 13. Februar im Schweizer Fernsehen
DRS 1 kreuzen sich die Zürcher Erziehungsdirektorin Regine Aeppli
und der Rektor der Pädagogischen Hochschule Zug Carl Bossard,
die Klingen. Das Gespräch unter der Moderation von Norbert Bischofberger
zum Thema
"Begeistert lernen"
im Liceo Artistico, war aus rhetorischer
Sicht lehrreich. Auf der einen Seite eine Politikerin, die nach
unserem Dafürhalten schlechter abschnitt. Sie entwickelte ihre
Voten meist assoziativ mit langen Bandwurmgedanken. Daneben ein Rektor,
der mit einfacheren Voten überzeugte. Vor allem deshalb, weil er
bei den meisten Antworten einen Kerngedanke herausschälte und
die Aussage mit einem Bild oder einem Beispiel fassbar machte. Seine
Antworten waren darum verständlicher.
Hier eine zufällig gewählte Sequenz.
Regine Aeppli:
"Die Schule ... Ich hab am Anfang gesagt, das ist eigentlich das grösste
Problem, dass sie nicht genügend Integrationskraft hat und dass wir daran
arbeiten müssen, aber - die Schule - ich glaube in einer -äh-
Wissensge.. in der Wissensgesellschaft, in der wir leben und wenn wir eben
in diesem globalisierten Umfeld - äh - der Konkurrenz stand halten
wollen, dann müssen wir ja auch auf der andern Seite auch dafür
sorgen, das wir auch sogenannte "Exzellenz" produzieren. (ohne Pause) Also
wir müssen auch sehr gute Schülerinnen und Schüler - äh
- an unseren Schulen ausbilden, die dann in diesen - ja - in diesem
Innovationswettbewerb - äh - standhalten können."
Analyse: Die Aussage wäre koherent:
Breite und Spitze müsste gefördert werden. Leider wirkt die
Erziehungsdirektorin bei dieser Antwort ehrgeizig und nervös -
gleichsam übereifrig. Zu viele Elemente wurden zusammengefügt:
Das grösstes Problem ist, dass die Integrationskraft fehlt.
Daran müssen wir arbeiten.
Unsere Wissensgesellschaft ist in ein globalisiertes Umfeld gebettet.
Wir müssen der Konkurrenz stand halten und sind verpflichtet,
Exzellenz zu produzieren, um dem Innovationswettbewerb standhalten zu
können.
Dieses Votum verstösst gegen wichtige Prinzipien
der Verständlichkeit:
Einfachheit und
Kürze
Weniger wäre mehr. Warum nicht bei einem Gedanke bleiben und
diesen Gedanken veranschaulichen und vertiefen. Dann aber "abschliessen"!
Es ist eine verbreitete Marotte bei Politikern, dass Substantive dominieren.
Die zu langen Sprechsequenzen sind nicht nachvollziehbar. Es gibt einige
"Brüche" mit Wortwiederholungen und Aehs. Die holprige Art des
Sprechens fiel uns auch bei den anderen Sequnzen auf. Wir vermuten,
dass sich die Politikerin auf ihr Improvisationstalent verlasssen
hatte. Sich richtig vorbereiten heisst:
einzelne Argumente zurechtlegen und antizipieren. In diesem Falle
wären Elemente nötig, die beitragen können,
die Thematik "Begeistert lernen" zu vertiefen. Aufschlussreich ist
auch Aepplis Körpersprache. Die Politikerin argumentiert mit
erhobenem Kopf, mit Fäusten und den Handkanten. Dies wirkt etwas
überheblich. Während der Kontrahent spricht, verschränkt
sie die Arme und korrigiert sogar den Gesprächsleiter. Die Stimme
ist klar, wirkt jedoch staccatohaft. Vielleicht scheint
das Lächeln und die Ruhe des Rektors die Politikerin enerviert
zu haben.
Erkenntnis
Dieser Auszug veranschaulichte uns auch, dass ein
Redner oder eine Rednerin meist während der ganzen Länge
eines Disputes immer wieder dem ähnlichen Fehler macht, wie bei der
zufällig ausgewählten Sequenz: Verschiedenen Rückmeldungen
bestätigten uns nämlich, dass bei diesem Streitgespräch,
Regine Aeppli schlechter abschnitt als Carl Bossard.
Anlässlich der Eröffnungsfeier
der Schweizerischen Lehrerfortbildungskurse in Winterthur machten
Lehrkräfte bei der Analyse aller Referate ebenfalls die Feststellung,
dass die Erziehungsdirektorin viel redete - aber nichts sagte, das
nachhaltig wirkte. Ein kurzes fachgerechtes Coaching würde bei
der Erziehungsdirektorin genügen, um bei Auftritten zu
überzeugen. Sie hätte die Voraussetzungen zu einer guten
Rednerin.
Fazit:
Auch bei Diskussionen müssen wir bei jedem
Votum überlegen,
welchen Kerngedanken wir ausführlich,
anschaulich und konkret vermitteln wollen.
Es hilft wenig, einfach drauflos zu reden, in der Hoffnung, es werde
uns während des Sprechens schon noch etwas Wesentliches
in den Sinn kommen.
Übrigens: Nicht nur dem Moderator kann angelastet werden, er habe
das Thema "Begeistert lernen" zu wenig ins Zentrum des Gesprächs
gerückt. Auch die Gesprächsteilnehmer hätten es in der Hand
gehabt, mehr konkrete Erkenntnisse herauszuschälen, die es uns
bei der Bildung ermöglichen, das Feuer der Begeisterung zu entfachen.
Nachtrag vom 15. März, 2005:
Aepplis Vortrag an der Vortragsgemeinschaft in Schaffhausen
Nach dem wir Regine Aepplis Auftritt im Fernsehdisput
beobachtet hatten, erlebten wir die Zürcher
Regierungsrätin am 10. März in Schaffhausen. Aepplie
sprach auf Einladung der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft über
Bildungsreformen. Der Titel war
Aufgaben, Chancen und Grenzen
der Bildungspolitik.
Es interessierte uns, wie die
Bildungsdirektorin in einem Referat kommuniziert.
Das Referat hatte einen deutlichen roten Faden mit einer klaren
Struktur: Im Streifzug über die ungezählten Bereiche
der Bildungslandschaft beschränkte sich die Politikerin
auf die vier Themen
Reformen
Liberalisierung
Globalisierung
Kosten
Die Bildungsdirektorin bemühte sich, ein paar Gedanken
herauszuschälen, die nicht nur von der Presse erkannt worden sind:
Wir müssen mit den Veränderungen Schritt halten
Die Bildung muss laufend den veränderten Situationen angepasst
werden.
Der Service public ist wichtig im Bildungswesen.
Der Staat muss nicht alle Leistungen selbst erbringen und finanzieren.
Der "Service public" ist auf politische Mehrheiten angewiesen.
Leider fehlte die Vertiefung dieser Gedanken. Vor allem hätten wir
gerne je einen konkreten Schwerpunkt aus den angesprochenen
Bereichen mitgenommen, die im Titel angekündigt worden waren.
Der Titel hätte den roten Faden bestimmen müssen:
Bei jedem Wort Aufgabe,Chancen und Grenzen
hätte eine wichtige Botschaft herausgeschält, betont und
wiederholt werden müssen.
Wir haben bei verschiedenen Zuhörern überprüft, was
von den drei Themenschwerpunkten hängengeblieben ist. Wie beim
Eröffnungsreferat in Winterthur bei den Lehrerfortbildungstagen 2004
gab es keine befriedigende Ernte. Einige konnten sich zwar an zwei Aussagen
erinnern: Privatschulen haben auch eine Daseinsberechtigung. Bildung
heisst sich anpassen. Antworten zu den erwähnten Schwerpunkten
gab es aber keine. Demnach müssen wir feststellen: Die Nachhaltigkeit
fehlte. Was können wir daraus lernen? Im Grunde genommen wäre
es einfach:
Jede Rednerin, jeder Redner müsste das Referat so aufbauen, dass
beim Vortrag immer an den roten Faden des Titels erinnert wird. Der Titel
schien bei diesem Vortrag Fall zufällig gewählt worden zu sein.
Entweder haben die Veranstalter nachträglich einen Titel geschrieben
oder die Referentin hat den Titel nicht ernst genommen.
Im Gegensatz zum Gespräch in den Sternstunden stellten wir bei Aeppli
kein störendes Staccatosprechen fest. Die Sätze waren perfekt
aufgebaut. Die Pausentechnik stimmte. Der Grund war, dass
Regine Aeppli das Referat wortwörtlich ablas.
Dies wirkte aber so, als hätte sie den Vortrag eines
Gostwriters wiedergegeben. Mit dem Ablesen handelte sich die
Bildungsdirektorin jedoch auch Nachteile ein:
Das Publikum fühlte sich nicht angesprochen. Wir haben das
Verhältnis Blickkontakt zum Publikum und Blick auf das Manuskript
bewusst gemessen. Das Publikum wurde nie richtig angesprochen. Die
Rednerin warf lediglich ab und zu Pseudoblicke geradeaus, aber nur ganz
kurz. Wir bezweifeln, dass die Rednerin das Verhalten von einzelnen
Personen wahrgenommen hat. Das Aufblicken war höchstens 5 - 10%
im Vergleich zum Blick auf dem Text. Dies ist eindeutig zu wenig. Bei
der anschliessenden Diskussion hingegen war Regine Aeppli erstaunlich
dialogisch. Sie sprach zum Publikum. Mit lebendiger Mimik und synchroner
Gestik.
Beim Vortrag sprach Aeppli zu monoton und zu leise. Wir fragten uns,
weshalb die Veranstalter die Uebertragungsanlage nicht vorgängig
überprüft hatten (dürfte auch eine Rednerin
vorher testen). Wahrscheinlich war der Verstärker gar nicht
eingeschaltet. Die Rednerin verhielt sich jedoch so, als funktioniere
die Technik. Damit verstanden viele Zuhörer in den hintern
Reihen die Ausführungen kaum (sicher alle Hörbehinderten im
Rathaussaal). Ein Teilnehmer fragte am Schluss der Diskussion, ob er
das Referat schriftlich erhalten könne, er habe akkustisch nichts
mitbekommen. Situationsgerechtes Verhalten will heissen: Sich anpassen
und ohne Verstärkeranlage in einem grossen Saal langsamer und lauter
sprechen! Dies war eindeutig schlecht. Durch das Ablesen blieb leider die
Modulation, die Mimik und Gestik reduziert. Dem Vortrag fehlte das Leben.
Wie beim Streitgespräch in der
Sternstundesendung fehlten Bilder, Vergleiche, Geschichten und Analogien.
Dem Vortrag fehlte dadurch die Stimulanz.
Interessanterweise verhielt sich Regine Aeppli beim Beantworten von
Fragen ähnlich, wie beim Sternstundeauftritt
Bei den Antworten fehlte oft Struktur und Kerngedanken. Es kam
zu Stockungen und Bandwurmformmulierungen.
Beispiel: Ein Teilnehmer
fragte die Referentin während der Diskussion, was
konkreten Anforderungen an die Studierenden seien,
die für die Praxis notwendig sind.
Die Bildungsdirektorin wies zwar bei dieser Antwort auf eine Struktur
hin: Ich antworte Ihnen in zwei Teilen, sagte sie. Dann begann sie mit
dem ersten Teil und sprach über Chancen und Veränderung, und
sagte dann unverhofft "auf der anderen Seite". Als Zuhörer glaubte
man, dies sei nun der angekündigte 2. Teil. Doch als sie etwas
später nochmals sagte, "auf der anderen Seite", merkten wir, dass
erst jetzt der angekündigten zweiten Teil
Konkurrenz, Wirtschaft, neue Umwelt das Thema war. Nach einem
dritten "Auf der anderen Seite" war das Chaos im Gedankengebäude perfekt.
Fazit:
Es lohnt sich, die Kunst der freien Rede zu erwerben. Wir überzeugen
nur, wenn sich die Zuhörer angesprochen fühlen. Beim Vortrag
und bei der Diskussion gilt generell: Kerngedanken entwickeln und
konkretisieren! Vorbereitete und vorformulierte Gedanken müssen
immer eine Erstgeburt sein. Das Ablesen vom Text birgt zu viele Gefahren in
sich und hat in der Praxis den Nachteil, dass der Text wie abgespult
wirkt und die dialogischen Elemente fehlen.