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www.rhetorik.ch aktuell: (15. Mar, 2007)

Bundespräsidentin als Sängerin?

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Im westdeutschen Fernsehen will Bundespräsidentin am 19. Mai im Sendegefäss "Coups de coeur" ein Chanson von Edith Piaf singen ("Les trois cloches" von Jean Villard-Gilles). Micheline Calmy-Rey freut sich angeblich auf ihren Auftritt. Sie hat keine Bedenken und scheint den Gag parteiintern gar nicht abgesprochen zu haben.

Hat die Bundespräsidentin diesen Auftritt nötig, der nichts mit ihrer Rolle als Bundespräsidentin zu tun hat? Oder ist es einfach eine spontane unbedachte PR Aktion? Oder wollte sie sich einfach nur volksverbunden, volkstümlich geben, ohne zu merken, dass sie mit ihrem Entscheid eher volk-dümmlich wirken kann?
Liess sie sich extern beraten, so wie Joseph Ackermann der von einem fragwürdigen Coach gebeten wurde, er solle sich doch vor der Gerichtsverhandlung locker geben soll?

Es ist kaum zu glauben, dass Micheline Calmy-Rey eingehend geklärt hat, wie der Gag bei den Adressaten ankommen könnte. In fachgerechten Beratungen erfolgt zuerst eine Adressatenanalyse. Nicht der Berater entscheidet, was wie wirkt. Der Konsument ist ausschlaggebend.

Sondierungen bei einigen Konsumenten bestätigten innert weniger Stunden, dass das Ansinnen der Bundespräsidentin, als Musicstar aufzutreten, generell schlecht ankam. Ein Zuhörer sagte mir am Telefon: "Ich würde sofort abstellen, wenn ich die Bundespräsidentin am Fernsehen singen höre würde. Warum wertet sich diese Frau ab? Hat sie das nötig? Sie ist doch kein "Kasperli"! Nur eine Frau fand, das sei doch ein lustiger Gag, der zeige, dass die Politik nicht so tierisch ernst sein müsse. Die Vermutung, dass sich die Bundespräsidentin lächerlich machen könnte, dominierte. Warum ich der Bundespräsidentin abgeraten hätte, vor Mikrofon und Kamera ein Lied zu singen:

  • Der persönliche Auftritt hat mit der Person, der Politikerin, der Bundespräsidentin zu tun. Die Reputation wird nicht verbessert
  • Als Frau der Öffentlichkeit, gibt es Grenzen. Man kann in dieser Rolle nicht einfach alles machen. In Deutschland musste dies Westerwille am eigenen Leib bitter erfahren, als er unbedacht in den Container ging. Der Politiker musste erkennen: Politik ist keine Spassgesellschaft. Es gibt wenige Ausnahmen. Es ist etwas anderes, wenn am Fasching ein Politiker ein Büttenrede hält. Generell rate ich allen Politikern und Promis: Trennt Job und Privates. Verzichtet auf Homestorys. Leider hat sich Micheline Calmy-Rey schon früher zu stark "zum Fenster hinaus gelehnt".


Frauen beklagen sich oft, sie würden vor allem über die Frisur und die Kleider definiert. Man nehme in der Öffentlichkeit ihre politische Arbeit zu wenig ernst. Wenn jedoch Natonalrätinnen sich als "Kleiderständer" zu einer Modeschau zur Verfügung stellen (haben wir erlebt) und jetzt eine Bundespräsidentin als "Gag" sich als Sängerin profilieren will, so leisten diese Personen der Sache "Frau und Politik" einen Bärendienst. Man muss sich nachträglich nicht wundern, wenn die politischen Anliegen der Frauen mit derartigen Aktionen in den Hintergrund geraten.



Der Film "Singing" des französischen Marketing Agentur BDDP&Fils zeigt archivierte Filme von singenden Politikern. Quelle. Der Film wird von einem Satz:

Im Senat tun Politiker, was sie am besten machen: Politik.


unterbrochen. Der Film auf Youtube.




Nachtrag vom 17. März: Sauglattismus

Die Aktionen von Micheline Calmy-Rey und Moritz Leuenberger haben eine Kontroverse ausgelöst. Dass die Boulevardmedien ungewöhnliche Gags von Magistraten zu schätzen wissen, ist verständlich. Das zeigt der Medienspiegel. Der Blick liebt beispielsweise solche Geschichten und würde bestimmt die Bundespräsidentin zu weiteren Gags aufmuntern. Er hat nichts gegen den ungewöhlichen Auftritt. Als Verteidiger der unbedachten Aktion könnte man so argumentieren, wie ich es auch gelesen hatte: Micheline Calmy-Rey hat ja nach der Wahl als Bundespräsidentin erklärt, sie werde dieses Jahr den Dialog mit dem Volk pflegen. Der Musicstar- Gag ist nun so eine Aktionen. Dieses Argument lässt unberücksichtigt, dass eine musikalische Vortragsübung - nichts- aber auch gar nichts mit dem Job als Bundespräsidentin, weder mit der Politik noch einem Dialog mit dem Volk zu tun hat. Kommunikation bedeutet immerhin Austausch und nicht Selbstdarstellung. Der Leuenberger BLOG wird gerne mit Calmy-Reys Auftritt gleichgesetzt, ohne zu berücksichtigen, dass bei Leuenbergers dialogischem BLOG politische Inhalte zur Sprache kommen.

Der Zürcher Publizistikwissenschafter Mirko Marr fand in einem Interview mit der "Neuen Luzerner Zeitung": "Es ist eine gute Möglichkeit, an den Massenmedien vorbei zu kommunizieren", Ironischerweise klappe das aber nur, wenn die Massenmedien darauf aufmerksam machten.

Dass Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey am 19. Mai als Sängerin im Westschweizer Fernsehen auftreten will, ist für Marr unproblematisch: "Sie kann damit Leute erreichen, die sich normalerweise nicht für Politik interessieren."

Marr liess allerdings die Frage offen, ob der Auftritt mit Edith Piafs Lied "Les trois cloches" beim genannten Publikum nachhaltig sein wird. Politiker müssten auf die Show Taten folgen lassen.

Ungleich härter ins Gericht ging der Kommentator der NLZ mit der Chanson-Idee: "Liedli singende oder schauspielernde Bundesräte betreiben im Kern inhaltlose Selbstdarstellung."

Der Freiburger Geschichtsprofessor Urs Altermatt hieb in die gleiche Kerbe: "Die Bundesräte sollten nicht singen", sagte er in einem Interview mit der "Mittelland Zeitung". Das berge die Gefahr, dass die Politik in "Infotainment" und in eine Art "Sauglattimus" absinke. Dann werde es schwierig, noch Inhalte zu transportieren, meinte der Herausgeber des Lexikons über die Schweizer Bundesräte.

Quelle: Tagesanzeiger, Agenturen




Nachtrag vom 31. März, 2007:

Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey wird im Westschweizer Fernsehen am 19. Mai in der Sendung "Coups de coeur" den Titel "Les trois cloches" von Edith Piaf interpretierten.




Nachtrag vom 5. April, 2007: Mehr Beispiele von kreativen Politikern:
Nach "Swissinfo" ist die Aufnahme des Songs bereits erfolgt. Ausgestrahlt wird es am Westschweizer Fernsehen am 19. Mai. Alain Morisod, der Präsentator der Samstagabend-Show meinte in "Le Matin":

"Es ist kein einfaches Chanson, doch sie singt gut und kapiert rasch".

Ein Swissinfo Artikel von Isobel Leybold-Johnson vom 5. April gibt mehr Beispiele von musikalischen Politikern:
  • Der ehemalige japanische Regierungschef Junichiro Koizumi sieht sich gerne als Elvis-Imitator.
  • Der britische Premierminister Tony Blair war während seiner Studienzeit in Oxford Gitarrist und Sänger einer Rockband namens "Ugly Rumours".
  • Der frühere US-Präsident Bill Clinton ist ein talentierter Saxophon-Spieler. Während seiner Präsidenten-Wahlkampagne trat er einmal mit seinem Sax in einer populären TV-Show auf.
  • Italiens früherer Regierungschef Silvio Berlusconi ist oft als Sänger aufgetreten und produziert CDs mit zum Teil selbst geschriebenen Songs. Während seiner Studienzeit war er ein Sänger auf Kreuzfahrschiffen.
und Beispiele von Bundesräten, die Medien auf neue Art nutzen:
  • Pascal Couchepin hat seit Dezember 2006 eine Kolumne im "Blick", in der er über Herkunft und Bedeutung alter Redewendungen schreibt. Er will damit mit der Bevölkerung kommunizieren.
  • Justizminister Christoph Blocher ist nie abgeneigt, in Magazin-Artikeln seine Sammlung der Schweizer Maler Albrecht Anker und Ferdinand Hodler zeigen zu können. Er wird nächstens als Gast in einer Comedy-Serie am Fernsehen auftreten.
  • Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat schon als Parlamentarier mehrere Erzählungen geschrieben. Eine Geschichte, bei der es um "Bauern, Sex und Steuern" geht, wurde nach seiner Wahl vom Blick abgedruckt.
  • Moritz Leuenberger wendet sich in seinem Blog an die Bevölkerung. In den ersten 10 Tagen soll es bereits 900 Beiträge gegeben haben. Der Zürcher Medienwissenschafter Mirko Marr meinte, der Blog könne zu Leuenbergers Image-Förderung als Kommunikationsminister beitragen. Noch offen sei ob der Blog eine Plattform für neue Themen und politische Diskussionen werde.

Karikatur von Chappatte, erschienen in der "NZZ am Sonntag". Der Cartoon zeigt Moritz Leuenberger auf einer Treppe im Bundeshaus, wie er mittels Laptop an seinem Blog schreibt. Eine Raumpflegerin mit Staubsauger meint: "Herr Bundesrat, es ist Zeit nach Hause zu gehen".



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