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Redeangst überwinden - aber wie ?


von Marcus Knill


Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer kennen Redesituationen, die mit Ängsten verbunden sind (Elternabende, Sitzungen usw.). Auch Schüler haben sich mit Auftrittsängsten auseinanderzusetzen. Selbst Profis mit langjähriger Erfahrung kämpfen gegen das Lampenfieber vor Auftritten. Schauspieler, TV-Moderatoren und Politiker bestätigen dies unumwunden.

Peter Alexander meint beispielsweise: "Trotz jahrelangler Showerfahrung bin ich immer noch so aufgeregt wie ein Anfänger".
Alle, die beruflich viel vor Leuten reden müssen, haben eigene Rezepte, um die Spannung bei Auftritten auf ein erträgliches Mass reduzieren zu können. Jeder, der öffentlich kommunizieren muss (sei es bei Verhandlunögen. Sitzungen, Diskussionen. Voten, Kurzreferaten usw.), sollte sich mit den bewährten Stressabbautechniken (Ventil-Techniken) auseinandersetzen, die starken, störenden Stress reduzieren helfen (bei Auftrittsangst, bei der Angst vor den "vielen Augen" oder der Angst, "Steck- enzubleiben" wie auch der Angst, "nicht verstanden zu werden").
Es gibt bewährte Techniken, die das Lampenfieber reduzieren helfen. Sie haben richtig gelesen, es geht ums "Reduzieren". Das Lampenfieber darf nicht verschwinden. Wer kein "Fieber", keine Spannung mehr in sich hat, der wirkt kraftlos. Routine ist gefährlich. Die innere Spannung darf nie fehlen. Wir müssen nur das "Fieber" sinnvoll umsetzen lernen. Aber wie?


1. Bereits das Wissen "andere haben auch das Lampenfieber" kann helfen.

Die Erkenntnis, dass Lampenfieber etwas Natürliches ist, entlastet enorm. In einem Wochenseminar besuchten wir ein Radiostudio. Die Feststellung, dass auch Profis zittern und Angst haben, erstaunte. Jemand sagte: "Das hat mir viel geholfen" (zum eigenen Stressabbau).


2. Ängste nicht verdrängen

Wer die Redeangst verdrängt. verstärkt den inneren Druck. Dies führt zwanesläufig zu vermehrten Schwierigkeiten, zu Pannen oder Fehlern. Stressenergien lassen sich meist sinnvoll umsetzen.
Wichtig ist:
Wir müssen die Angst akzeptieren lernen.




Was Menschen Angst macht.

Wussten Sie, dass die meisten Menschen vor öffentlichem Auftreten mehr Angst haben als vor Insekten, Hunden oder "Angst vor grossen Höhen" usw? Nachfolgende Untersuchung veranschaulicht dieses Phänomen.


Öffentlich reden 41% 41%
Grosse Höhen 32% 32%
Ungeziefer-Geldsorgen-Tiefes Wasser 22% 22%
Krankheit, Erbrechen, Tod 19% 19%
Fliegen 18% 18%
Einsamkeit 14% 14%
Hunde 11% 11%
Auto (steuern, mitfahren) 9% 9%
Dunkelheit, Fahrstühle 8% 8%
Rolltreppen 5% 5%
Aus: "The book of lists" von William Morrow Inc. New York, Angaben in % der Befragten

3. Bewegung baut Stress ab

Stress kann via Bewegung abgebaut werden. Personen, die bewusst ruhig sein wollen und alle Bewegungen unterdrücken (z. B. ohne Gestik), bewegen sich zwangsläufig mit "falschen" Bewegungen. Mit Bewegungen, die nicht zur Aussage gehören, wird dann der Stress abgebaut (z. B. mit Kratzen, Zucken, mit den Fingern spielen, mit den Füssen wippen, mit Körperwindungen usw.). Dank bewusst eingesetzter Gestik kommen wir viel schneller in die völlig natürliche Kommunikationssituation. Gestik muss aber die Aussage unterstützen (muss synchron sein zum Inhalt)!
Wichtig: Die Bewegung muss nach oben verlagert werden, d. h., wir sollten mit dem Boden fest verankert sein (stabil sitzen, "geerdet" stehen und die Bewegung in die Arme verlagern).


4. Bewusstes Entspannen vor dem Auftritt lockert Körper und Denken

Ob wir vor dem Auftritt einen kurzen Spaziergang machen oder irgendeine Entspannungstechnik anwenden, spielt keine Rolle. Viele Techniken haben sich bewährt, wie z. B.:
  • Autogenes Training
  • Atmen/Gähnen/Lachen
  • Mentaltechniken (sich geistig positiv einstimmen)
  • Autosuggestivtechniken (sich laut sagen: "Mir geht es gut, ich bin ruhig. Ich freue mich auf den Auftritt. usw.")
  • Progressive Muskelentspannungsübungen.
An Angeboten von Entspannungstechniken fehlt es wahrlich nicht (Yoga, Meditation usw.). Beschränken wir uns auf eine Methode, die sich in der Praxis bewährt hat. Experimentieren lohnt sich. Übrigens: Auch eine lockere Kleidung, die nicht einegt, kann viel zur Entspannung beitragen.


5. Atmen

In der Praxis hat sich gezeigt. dass bereits eine einzige Voll- oder Tiefenatmung, sehr viel bewirkt. (Der ganze Körper wird gleichsam mit Luft von unten nach oben gefüllt - Die Luft fliesst unhörbar langsam ein und aus. Siehe auch die spezielle Seite über Atmung ). Übrigens: Wer in ausgeatmetem Zustand zu sprechen beginnt, kommt zusätzlich zu einer Vollatmung -> Zwang zur Vollatmung beim Luftholen vor dem Sprechen. Die Beruhigung durch die Zwerchfellatmung erfolgt fast schlagartig (Herzschlag geht zurück, Gehirn und Muskeln werden besser durchblutet. Hauttemperatur sinkt, Schweissaustrieb wird reduziert usw.). Wichtig: Atem nicht provozieren - Atem beobachten lernen! (Siehe Atemübungen.)


6. Sich gut vorbereiten

All jene, die ihre Aussagen auf verschiedene Art nach einem Stichwortkonzept laut vorbereiten (wenn möglich mit einem Tonbandgerät, das man abhört), die reden viel sicherer. Freies Formulieren ist lernbar! Frei formulieren heisst, den Gedanken jedes Mal neu formulieren. Roter Faden ist die Stichwortreihe. Gute Vorbereitung entlastet. Wichtig: Nur Stichworte (nie auswendig lernen!).


7. Training fördert das Selbstvertrauen

Es gibt nicht nur das Training mit dem Diktiergerät. Wer sein Verhalten mit dem Hilfsmittel Video (Video als Spiegel) oder an Seminaren bei Auftritten trainiert, der trägt ebenfalls viel zur Förderung, des Selbstbewusstseins (und damit zum Angstabbau) bei.
Wichtig: Auftritte wagen. Jede Chance nützen. Begabung allein genügt nicht. So wie wir nur im Wasser schwimmen lernen leren wir Reden nur durch Reden. Das heisst: Alle brauchen praktische Uebung, fachgerechtes Coaching, ein praxisorientiertes Training. Prozessorientiertes Lernen lohnt sich. Beispielsweise im Rede-Simulator.

Martin Suter

Wicki beim Interview Training

von Martin Suter, Quelle: TA Magazin Nr 30/05.
Peter und Monika Wicki-Strähl sitzen am berühmten Esszimmertisch. Die Kinder sind im Bett. Wicki trägt sein Jackett, die Krawatte ist nicht gelockert. Monika hat einen Stenoblock vor sich liegen und einem Kugelschreiber in der Hand.
"Also, schiess los." "Du wirkst verkrampft."
"Bin ich nicht." "Dann versuch, keine Fäuste zu machen, die Knöchel werden weiss."
Wicki legt die Hände flach vor sich auf den Tisch.
"Besser so?" "Jetzt siehst du aus wie ein Schulbub. Vielleicht solltest du die Arme ausbreiten und die Hände auf die Tischkante legen. Offen, locker, steht hier."
"So?" "Nicht festklammern, einfach drauflegen."
"Also. Schiess los." "Bist du bequem? Hier steht, du musst bequem sitzen."
"Ja. Fang schon an. Erste Frage." "Du bist nicht positiv eingestellt. Es ist ganz wichtig, dass du positiv eingestellt bist."
"Ich bin aber positiv eingestellt." "Dann schau mich nicht so genervt an. Der Journalist ist kein Feind, er ist ein Partner."
Wicki lächelt süss.
"Also, zur ersten Frage, wenn ich bitten darf". "Nicht heranschleimen. Freundlich, souverän, präsent. Sonst glaubt der, du hast etwas zu verbergen."
"Das üben wir dann separat. Komm endlich zur ersten Frage". "Herr Wicki, fühlen Sie sich eigentlich Ihrer Aufgabe gewachsen?"
"Was soll das?" "Eine Überfallfrage. Damit musst du rechnen, steht im Buch. Also?"
"Wie war die Frage?" "Du bist nicht fokussiert. Deine ganze Aufmerksamkeit muss dem Journalisten gehören."
"Frag mich jetzt etwas aus meiner Liste der wahrscheinlichen Fragen" "Die Hände."
"Hände?" "Sind wieder verkrampft."
"Kunststück!" "Also: Herr Wicki, ähm, ... Das fragt der doch nie."
"Was?" "Das über deinen Werdegang."
"Ich wäre froh, wenn du dir deine Kommentare sparen und endlich zu den scheiss Fragen kommen könntest." "Jetzt hast du die Ader an der Stirne."
"Weil ich mich aufrege!" "Das wirkt aber nicht souverän."
"Das ist mir scheissegal, wie das wirkt. Stell endlich die verdammten Fragen." "Wenn du schon von mir so leicht aus der Ruhe zu bringen bist..."
Wicki springt vom Stuhl auf und beginnt, auf und ab zu tigern. "Soll ich dich nun coachen oder nicht?"
Wicki antwortet nicht. "Dann geh ich nämlich jetzt ins Bett."
Wicki setzt sich wieder.
"Typisch! Von meiner Karriere profitieren, aber wenn du einmal, EINMAL!, einen Beitrag dazu leisten solltest..." "Also: Herr Wicki, wie hält es eigentlich Ihre Frau mit Ihnen aus?"
Wicki verlässt das Esszimmer und knallt die Tür hinter sich zu. So mangelhaft vorbereitet, muss er sich am nächsten Tag dem Interview von "Interna", der halbjährlich erscheinenden Hauszeitschrift, stellen.




8. Antizipation (gedankliche Vorwegnahme einer Situation)

Jede Redesituation lässt sich gedanklich vorwegnehmen. Wir können uns den Auftritt detailliert vorstellen. Es geht um die nämliche Technik, die sich beim Sport bewährt hat. Ein Slalomfahrer geht den Lauf immer wieder im Kopf durch. Auch beim Reden kann ich den Ablauf möglichst konkret durchgehen: Ich stelle mir die Situation in Gedanken möglichst genau vor: "100 Augenpaare schauen mich an. Ich stehe ganz allein neben dem Prokischreiber." Nebengedanken tauchen vielleicht plötzlich auf, die wichtig sein können, z. B.:
"Kenne ich die Bedienung des Gerätes? Sie müsste noch getestet werden. Der Saal ist gross. Ich rede mit kräftiger Stimme ..."
All diese laut gesprochenen Gedanken tragen mit dazu bei, dass der Angstpegel sinkt und dann der Auftritt besser gelingt.


9. Guter Start

Mit den ersten Sätzen muss das Interesse der Anwesenden geweckt werden. "Aufmerksamkeit gewinnen" ist der Zweck der Eröffnung. Es lohnt sich deshalb, den Start eingehend zu bedenken (ein Aufhänger, ein Gag?). Wie beginnen wir?
  • Geschichte?
  • Behauptung?
  • Rhetorische Frage?
  • Etwas Persönliches erzählen?
Nur wer einen Start gründlich durchdacht hat, kann beim Auftritt unter Umständen noch einen besseren Start finden (beispielsweise sich auf eine Aussage des Vorredners beziehen).


10. Aussagen veranschaulichen

Wem es gelingt, die Aussage mit einem Bild, einer Zeichnung, einer Foto, einer Skizze, einern Vergleich, einer Folie, einem Gegenstand zu veranschaulichen, kommt der Redner zu angenehmen Verschnaufpausen. Übriggens können wir auch mit Worten veranschaulichen. Wir müssen Sachverhalte nur so bildhaft beschreiben, dass wir die Aussagen "mit den Ohren sehen". Nur wer gedanklich etwas sieht, kann die Gedanken erfassen. Zusammen werden kurze, konkrete, bildhafte Aussagen viel besser verstanden (er-fasst?).


11. Startpause

Gewöhnen Sie sich Startpausen an. Meist ist das "Warten", das "Ruhig-Dastehen" vor dem ersten Satz für Redner peinlich. Noch peinlicher ist jedoch das zügellose "Hineinrennen in die Aussage" -
(Gestresste Redner warten nie - sie ertragen keine Startpause). Die Startpause hat aber viele Vorteile:
  • Der Redner kann sich während der Startpause in die Situation hineindenken (Gedanken sammeln)
  • Er kann mit dem Publikum Augenkontakt aufnehmen (siehe Abschnitt 13. "Blick - als Brücke zum Du")
  • Sich "einstehen" (sich mit dem Boden verbinden "Grounding")
  • Atmen (ruhig Ein- unid Ausatmen) Sich positiv einstimmen
  • Spannung erzeugen (Ruhe bringt Aufmerksamkeit. Übrigens: Profis zelebrieren dies bewusst.)


12. Ventiltechnik: Stimmkraft

Zurückhaltung bei der Stimme (Startphase) verstärkt den Angstdruck. Eine "aufgeblendete" Stimme entspannt (analog der Bewegung - Stressabbau). Eine frische, tragende Stimme ermutigt selbst den Redner (er hört sich und merkt: "Das Reden funktioniert"). Eine zögernde Stimme, das Flüstern, fördert die innere Verkrampfung (Spannung).


13. Augenkontakt vor dem Reden suchen
(Blick als "Brücke zum Du")

Es ist eine altbekannte Tatsache - Wer den Augenkontakt am Start meidet, bleibt meist mit den Augen auf dem Blatt Papier, dem Boden oder an der Decke haften. Jene, die den mutigen Schritt, den "Blick zum Publikum" vor dem Auftritt gewagt haben, betrachten die Adressaten nachher viel mehr. Denn: Die Brücke wurde bereits vor dem Reden gebaut. Dies entlastet enorm. Während der Stressphase ist es schwieriger, zusätzliche Brücken zu bauen.
Wer die verschiedenen Punkte durchgelesen hat, ist nicht unbedingt ein besserer Redner. Doch hat er vielleicht erkannt, dass wir die Redeangst Überwinden können. An Ventiltechniken fehlt es nicht. Die trockene Theorie gilt es nun in die Tat umzusetzen, sei es, indem wir vor jedem Auftritt eine Ventiltechnik bewusst bedenken, oder sei es, indem wir ein Seminar besuchen. Nur etwas bringt uns weiter: Das praktische üben - üben - üben! Reduzieren wir aber das Lampenfieber nur dann - wenn es stört! Verlieren wir die Spannung vor Auftritten nie - es wäre schade! Viel Erfolg im Alltag!




M. Knill, Natuerlich Reden Literatur: Marcus Knill, Natürlich, zuhörerorlentiert, aussagezentriert reden. Verlag SVHS, 4434 Hölstein, JSGN 3-908236-19-3.



Eine kompetente Kommunikationsberatung z.B. bei K+K hilft Ihnen gerne weiter (individuelles Coaching).





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